VogelschutzgebietKünstliches Paradies für Haubentaucher, Schnatterente und Co.

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Tummelplatz für Tausende von Vögeln aus ganz Europa: der Ismaninger Speichersee.
Tummelplatz für Tausende von Vögeln aus ganz Europa: der Ismaninger Speichersee. (Foto: Robert Haas)

Während andernorts Gewässer austrocknen, bleibt der Wasserspiegel des Ismaninger Speichersee weitgehend konstant. Der Klimawandel ist dennoch zu spüren: Tausende Vögel aus ganz Europa verbringen dort mittlerweile den Winter.

Von Sabine Wejsada, Ismaning

Karin Haas kennt natürlich den besten Platz für den Blick auf den See. Sie ist seit 2010 Gebietsmanagerin für den Speichersee im Landesbund für Vogelschutz (LBV) und weiß naturgemäß, von wo aus sich Schwäne, Graugänse, Reiher und Enten besonders gut beobachten lassen. Der Weg führt an diesem Morgen von der Straße durch den dichten und schattigen und nach der Trockenheit in den vergangenen Wochen und Monaten erstaunlich grünen Auwald hinauf. Im Geäst und Dickicht liegt ganz offensichtlich noch die Feuchtigkeit der vorigen kühlen Nacht. Oben angekommen, zeigt sich dann die ganze Schönheit des für die Stromgewinnung am Mittleren Isarkanal 1929 künstlich angelegten Gewässers und seiner gefiederten Gäste. Ganz ruhig liegt es da an diesem klaren und sonnigen Tag. Die Wasseroberfläche des Stausees glitzert und glänzt. Unmengen an Wasservögeln sitzen wie auf einem riesigen Spiegel, ungestört vom Zivilisationslärm - und machen dem europaweit bekannten, bedeutenden Vogelparadies zwischen Ismaning, Aschheim, Kirchheim, Pliening und Finsing alle Ehre.

Ein Mitteldamm teilt den 1929 künstlich angelegten Stausee in zwei Becken

Der Speichersee ist an die sieben Kilometer lang und bis zu 1300 Meter breit, ein Mitteldamm teilt das Gewässer in ein West- und ein Ostbecken, in dem sich verschiedene Vogelarten in unvorstellbar großer Anzahl tummeln. 50 000 bis 60 000 Tiere sind in der Hochsaison im Juli zu Gast, jetzt dürften es noch 30 000 bis 40 000 sein. Sie kommen aus ganz Europa zur Mauser und finden am Speichersee ideale Bedingungen, um ihr Gefieder abzuwerfen. Der LBV schätzt laut Haas, dass alles in allem mehr als 100 000 Wasservögel zur Mauser nach Ismaning fliegen. Kein Wunder, dass das Vogelschutzgebiet bei Ornithologen besonders beliebt ist. Seit 1929 sind am Speichersee und den Teichen mehr als 280 Arten (ohne Zooflüchtlinge und andere Exoten) beobachtet und in den Archiven der Ornithologische Gesellschaft in Bayern (OG) verzeichnet worden. Diese betreut das Gebiet seit 1929 ornithologisch, führt Zählungen durch und dokumentiert Sichtungen.

Hat den Speichersee und das Teichgut fest im Blick: Karin Haas, Gebietsmanagerin des Landesbundes für Vogelschutz (LBV).
Hat den Speichersee und das Teichgut fest im Blick: Karin Haas, Gebietsmanagerin des Landesbundes für Vogelschutz (LBV). (Foto: Robert Haas)

Für die Kolben- und die Schnatterente etwa ist der Speichersee im Laufe der vergangenen Jahre laut Haas zu einem der wichtigsten Rückzugsräume zur Mauser geworden. In den Monaten Juli und August hätten in den vergangenen zehn Jahren jeweils mindestens 15 000 dieser beiden Entenarten ihre Flugfedern am Speichersee abgeworfen, berichtet Haas, ehe sich die allermeisten von ihnen in Richtung Camargue in Frankreich aufmachen. Die diplomierte Biologin ist zwei bis drei Mal in der Woche am See und beim Teichgut unterwegs, in den Sommermonaten stehen zudem jedes zweite Wochenende Zählungen auf dem Programm. Verortet und gezählt werden darunter zum Beispiel Blässhühner, Haubentaucher, Höckerschwäne, Reiher, Kormorane, vereinzelt gesichtet werden zudem Bruchwasser- und Kampfläufer, die in Deutschland auf der Roten Liste stehen.

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Für viele der gefiederten Gesellen, die aus den nördlichen Gefilden kommen, ist der Speichersee anders als in der Vergangenheit nicht nur im Sommer der Ort ihrer Wahl zur Mauser; sie bleiben, auch wenn die Tage wieder kürzer werden und die Temperaturen sinken. Die Anzahl der Überwinterungsgäste hat zugenommen, haben Haas und die Vogelzähler festgestellt. Der Klimawandel macht's möglich.

Und auch in umgekehrter Richtung ist dieser durchaus spürbar. Zum Beispiel, dass heutzutage auch die Mittelmeermöwe das große Vogelschutzgebiet zum Brüten anfliegt - und dort nach Nahrung, also kleineren Vögeln wie Enten Ausschau hält, wie Karin Haas berichtet. An diesem Vormittag am See lässt sich keine blicken, auch ein fernes Rufen, das wie "kijo kijo kijo" klingt, ist nicht zu vernehmen. Zum Glück für die unzähligen Gäste auf dem See. Ein bisschen gestört fühlen sie sich trotzdem und ziehen sich weiter auf die Mitte des Westbeckens zurück, als Karin Haas oben am Damm ihr wasserdichtes Spektiv aufstellt, mit dem sich die einzelnen Vögel ganz aus der Nähe betrachten lassen, und viel Wissenswertes zu Schwan, Ente und Reiher erzählt.

Der Reiher.
Der Reiher. (Foto: Claus Schunk)
Ein Blässhuhn ist am Bergfeldsee durch einen Steinwurf verletzt worden.
Ein Blässhuhn ist am Bergfeldsee durch einen Steinwurf verletzt worden. (Foto: Florian Peljak)
Der Haubentaucher.
Der Haubentaucher. (Foto: Felix Kästle/dpa)

Ansonsten aber lassen sich die Folgen von Erwärmung und Trockenheit im Speichersee mit bloßem Auge so gut wie gar nicht erkennen. Das liegt zum einen daran, dass der See von Isarwasser gespeist ist. Wegen seiner geringen Tiefe, die mancherorts laut Haas nur bei einem bis zwei Meter liegt, an anderen Stellen aber an die vier Meter beträgt, ist das Staugewässer ohnehin recht warm. Auch ein Trockenfallen, wie das Versickern oder Verdunsten im Fachjargon genannt wird, muss beim Speichersee und der Teichkette laut Haas nicht befürchtet werden, weil Isar und Münchner Abwässer zufließen. Der Wasserspiegel variiert gewöhnlich ohnehin um eine Marke von 80 Zentimetern. Eine Gefahr, dass der See nach Unwettern oder Starkregenereignissen "überlaufen" könnte, besteht ebenso wenig. Auch ein Einschwemmen von Treibgut und Großstadtmüll ist ausgeschlossen, weil dieses am südlichen Zulauf mit einem Rechen abgefangen und herausgefischt wird. Was Haas und die Vogelzähler jedoch beobachten können, ist eine Zunahme der Überwinterungsgäste am See.

Neben der Wasserregulierung der Kraftwerke am Isarkanal und dem Hochwasserschutz dient der See darüber hinaus der natürlichen Nachklärung des Münchner Klärwassers aus Großlappen, das immer noch nährstoffreich ist. Baden ist verboten, Wassersport auch, aber es kann gefischt werden. Der von der Isar kommende Isarkanal verzweigt sich direkt nach Unterquerung der Autobahn A 99 ein erstes Mal. Ein Seitenkanal dient der Wasserversorgung der Teiche des Guts Birkenhof, dessen Karpfenzucht im Jahr 2000 wegen wirtschaftlicher Gründe aufgegeben wurde. In diesem Bereich wird ein Teil des Klärwassers durch das Hauptpumpwerk von Uniper zwischen Unterföhring und Ismaning über eine unterirdische Druckrohrleitung in die Fischteiche gepumpt, ehe das Wasser aus den Teichen im weiteren Verlauf mithilfe eines Ableitungskanals wieder aufgenommen wird. Nach weiteren drei Kilometern versorgt ein Kanal den Speichersee. Um das Vogelschutzgebiet dauerhaft zu sichern, finanziert der Bayerische Naturschutzfonds das Erhaltungs- und Pflegemanagement.

Eine bemerkenswerte Entwicklung hat die Biologin in den vergangenen Jahren festgestellt: Weil die Kläranlage in Großlappen durch den Einbau moderner Technik dem Abwasser Phosphor entzieht, liegt der Phosphorgehalt des Speichersees heute bei 20 bis 40 Mikrogramm pro Liter. Dass Wasser ist nicht mehr so nährstoffreich wie früher - und vor allem viel klarer. "Wir haben hier kein superreines Wasser, aber auch kein dreckiges", sagt Karin Haas und zeigt auf den See unterhalb des Steilufers. Seitdem wachsen darin viele Wasserpflanzen, die Licht brauchen, und weniger Algen im Gewässer. Die großen Veränderungen im Gut Großlappen fanden in den Neunzigerjahren statt. Damals gab es durch den Phosphatrückgang einen gewaltigen Einbruch bei den Vogelzahlen, weil Vögel und Karpfen um Nahrung konkurrierten. Erst nach der Aufgabe der Fischbewirtschaftung im Teichgut habe sich das im Laufe der Jahre wieder eingependelt. Die Vogelzahlen seien heute mindestens wieder auf dem alten Stand, so Haas.

Bis zu 30 000 Schnatterenten fliegen ein und verbringen den Sommer am Speichersee nördlich von München.
Bis zu 30 000 Schnatterenten fliegen ein und verbringen den Sommer am Speichersee nördlich von München. (Foto: Robert Haas)

Die Konsequenzen für die Vögel seien ganz unterschiedlich gewesen, so Haas. Pflanzenfressende Arten wie die Kolbenente hätten profitiert, bei den Reiherenten, die am liebsten "einen schlammigen Boden" hätten, um Insekten zu naschen, gingen die Bestände zurück. Am Speichersee aber muss sich niemand Sorgen um diese Populationen machen: Die ehrenamtlichen Wasservogelzähler und -zählerinnen registrieren jeden Sommer gut 30 000 Schnatter- und Kolbenenten im Vogelparadies nördlich von München, die zum Federnwurf einfliegen, sich dort für drei bis fünf Wochen "einmieten", weil sie während der Mauser flugunfähig sind, und wenn überhaupt erst im Herbst weiter gen Süden aufbrechen. Ob nach dem viel zu heißem und zu trockenen Sommer 2022 ein wiederum zu warmer Winter folgt, bleibt abzuwarten.

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