Ismaning:Seelenporträtist

Das Kallmann-Museum widmet sich in seiner neuen Ausstellung "Stationen" Leben und Werk von Hans Jürgen Kallmann

Von Udo Watter, Ismaning

Die meisten Menschen, die eine Kamera auf sich gerichtet sehen, beginne zu lächeln. Um die Mundwinkel in die gewünschte Form zu bringen, sagen Menschen in Gruppen gerne noch "Cheese" oder "Geschlechtsverkehr" und auch der charakteristische fotografische Akt unserer Zeit, das Selfie, fördert im Allgemeinen die Neigung der Porträtierten, sich als sonnige Frohnatur zu präsentieren.

Der Maler Hans Jürgen Kallmann war eher keine Frohnatur. Sich selbst porträtiert hat er dagegen oft, freilich mit Pinsel oder Zeichenstift. Dass er dabei stets ernst, gedankenumwölkt und manchmal auch finster bis schwermütig aussieht, ist aber gar nicht so ungewöhnlich (und ein gemaltes Selbstporträt ohnehin nicht wirklich vergleichbar mit einem Foto). Fleißige Selbstporträtisten in der Geschichte der Malerei wie Rembrandt oder Lovis Corinth haben sich ja auch selten als grinsende Sonnyboys dargestellt. In der aktuellen Ausstellung "Stationen", die jetzt im Kallmann-Museum in Ismaning zu sehen ist, hängen etliche Selbstbildnisse von Hans Jürgen Kallmann, die aus allen Phasen seines Lebens stammen: Eine frühe Kohlezeichnung, der mittelalte Künstler in der Theatergarderobe, der ältere Künstler im Malerkittel oder auch ein Werk, das den damals 82-Jährigen nur wenige Wochen vor seinem Tod 1991 in Pullach zeigt. Kallmann, der seit den Fünfzigerjahren zahlreiche Bildnisse von prominenten Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer, Ernst Jünger, Theodor Heuß, Papst Johannes XXIII, Bertolt Brecht, Franz Josef Strauß oder Rolf Hochhut schuf, sagte einst in einem Vortrag über diese spezielle Annäherung ans menschliche Sujet: "Die großen Bildnisse sind Seelenporträts, denn sie sind eine Offenbarung des Wesens, das Äußere wird zum Spiegel der Seele." Wenn nun aber der Maler den Scheinwerfer auf sich selbst richtet, als Schöpfer außer sich selbst steht und von der Kulisse in den Mittelpunkt rückt, muss er nach dem Eintauchen in die eigenen Seelengründe die gleiche "tiefe Indiskretion wagen" beim malerischen Akt: "Da enthüllt sich der innere Dialog in seiner tiefen Einsamkeit. Der Maler stellt sich den ewigen Fragen und beantwortet sie", erklärte er.

Die Werkschau in Ismaning ist retrospektiv angelegt. Sie widmet sich neben dem künstlerischen Schaffen Kallmanns auch dessen durchaus bewegtem Leben, das in Dokumenten wie Briefen oder Zeitungs-Rezensionen und Fotografien beleuchtet wird. Zu sehen sind vor allem unbekanntere Arbeiten des 1908 in Wollstein in der damaligen Provinz Posen geborenen Künstlers, die aus der Sammlung von Gerda Haddenhorst-Kallmann, der Witwe des Malers, stammen - sie hielt bei der Eröffnung auch eine Einführungsrede.

hans-jürgen kallmann

Sich selber abbilden, bedeutet auch, einen inneren Dialog mit der Einsamkeit führen: Kallmamn im Malerkittel.

(Foto: oh)

Es sind Arbeiten aus allen Werkphasen, von frühen Pastellen und Kohlezeichnungen aus den Dreißigerjahren bis zu den letzten, in Filzstift ausgeführten Bildern. Auch wenn sich bei Kallmann die Trias der Sujets auf Porträt/Selbstporträt, Landschaft und Tiere verdichten lässt, beeindruckt die Ausstellung durch Vielfalt und Abwechslungsreichtum. Das technische Können und der Wunsch nach zeichnerischer Entfaltung waren bei Kallmann schon in jungen Jahren zu erkennen. Der Vater, ein Arzt und ein (meist nur beobachtender) Jäger, nahm ihn und seinen Bruder schon früh mit auf die Pirsch, und vermittelte seien Söhnen die Liebe zu Tier und Landschaft. Später, in Halle an der Saale, wohnten die Kallmanns in der Nähe des Zoos, wo der jugendliche Hans Jürgen gerne weilte und Skizzen von Tieren anfertigte. In Ismaning sind etliche dieser frühen Zeichnungen in einer Vitrine zu sehen, die das besondere Talent des Künstlers schon andeuten. Die Anatomie der Dinge war für ihn damals schon wichtig, das verstärkte sich noch mit seinem Medizinstudium, das er nach acht Semestern freilich abbrach. 1930 ging er nach Berlin, lernte dort bekannte Künstler wie Max Liebermann oder Max Slevogt kennen und hatte schon 1931 seine erste Ausstellung. Das oft düstere, fast farblose Kolorit fällt bei Werken aus dieser Zeit auf sowie der Sinn für Atmosphärische, etwa im Bild "Waldweg". "Er ist da schon stark und eigenständig in seinen Landschaftsbildern" sagt Rasmus Kleine, der Leiter des Kallmann-Museums. Aufenthalte an der Nordsee inspirierten den Künstler zu mystischen Zeichnungen. "Er hat seine Blätter mit sibirischer Kohle schwarz angestrichen und vom Dunklen ins Helle radiert", erklärt Kleine. Er schätzt generell Kallmanns zeichnerische Klasse: "Bei ihm hat jede Linie einen eigenen Ausdruckswert." Eher ungewöhnlich sind die Illustrationen zu Knut Hamsuns Buch "Hunger" oder das eher flächige ins Abstrakte drängende Bild "Die alten Männer". Während der NS-Zeit galt er als "entarteter" Künstler, hat aber dennoch Arbeiten ausstellen können. Eine weitere Werkschau 1943 in Berlin fand nicht statt, weil einen Tag vor Eröffnung britische Bomber die Galerie zerstört hatten.

Auch die nächsten Jahre sind bewegt, Kallmann lebte zwischendurch in Tirol, entzog sich geschickt der Einberufung und landete 1949 in Caracas/Venezuela, wo er eine Professur an der Kunstakademie übernehmen sollte. Er blieb einige Jahre dort, seine Farbpalette hellte sich unter der südamerikanischen Sonne auf. In Ismaning sind aus dieser Zeit einige Werke zu sehen, spannender sind freilich in einem weiteren Raum hängende Skizzen zu den Porträts bekannter Zeitgenossen der Nachkriegszeit. Kallmann wurde nach seiner Rückkehr durch seine Bildniskunst berühmt - im Winter 2015/16 gab es in Ismaning die Ausstellung "Die Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Porträts von Hans Jürgen Kallmann". Diesmal sind noch eindrucksvolle Stillleben oder Porträts von Gerda Haddenhorst zu sehen sowie landschaftliche Bilder wie "Dorffriedhof", bei dem das fahl-diffuse Winterlicht vor dem Kirchlein atmosphärisch eingefangen ist. Im letzten Ausstellungsraum schließlich hängt auch das allerletzte Selbstbildnis des Malers.

dorffriedhof, kallmann

Zu sehen sind Arbeiten aus allen Werkphasen, hier: "Der Dorffriedhof".

(Foto: oh)

Die Ausstellung "Stationen. Leben und Werk von Hans Jürgen Kallmann" im Kallmann-Museum Ismaning, Schloßstraße 3b, dauert bis 5. Februar. Geöffnet ist das Museum dienstags bis sonntags von 14.30 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet vier Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: