SZ-Serie: Wer wohnt denn da?Was Piktogramme über die Gesellschaft verraten

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In Robert Risingers Garten in Ismaning eröffnen sich die wahren Ausmaße seiner Sammelleidenschaft, die von außen kaum zu erahnen sind.
In Robert Risingers Garten in Ismaning eröffnen sich die wahren Ausmaße seiner Sammelleidenschaft, die von außen kaum zu erahnen sind. (Foto: Robert Haas)

Vor 25 Jahren beginnt alles mit der "Edeltraudstraße". Seitdem sammelt der Ismaninger Robert Risinger Hinweistafeln Er dekoriert damit sein Haus am Wasserturm - und erzählt vom Wandel.

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Zwei Mal war die Polizei schon da. Es kam den Beamten im Vorbeifahren wohl doch komisch vor - dieses Haus mit den vielen Straßenschildern an der Außenmauer. Von Robert Risingers Heim in Ismaning gleich neben dem Wasserturm aus weisen Schilder den Weg zum Flughafen München, nach Neubiberg, zum Föhringer Ring und zum Fußballplatz; zum Bürgersaal geht es angeblich auch und der Wareneingang ist gleich unten in der Tiefgarage. Doch die Beamten zogen jedes Mal nach einem kurzen Gespräch wieder beruhigt ab, erzählt Risinger und grinst ein wenig schelmisch.

Seine Schilder hat der Ismaninger allesamt legal erworben. Auf den Bauhöfen in der Umgebung kennen sie ihn schon, wenn er vorbeischaut, um zu sehen, ob wieder ein paar interessante Stücke dabei sind in den Containern. Straßenschilder müssen regelmäßig ersetzt werden, damit sie immer lesbar bleiben, manchmal ändert sich auch die Straßenverkehrsordnung oder das Design. Die ausrangierten Stücke erwirbt Risinger dann meist zum Materialpreis bei den Bauhöfen. Auch bei der Autobahnmeisterei ist er schon fündig geworden oder auf Urlaubsfahrten im Ausland.

Risingers Fundstücke schmücken längst nicht mehr nur die Außenfassade seines Wohnhauses. Die wahre Fülle seiner Sammlung - mehrere Hundert sind es inzwischen - eröffnet sich erst, wenn man den großen Garten der Mehrfamilienanlage betritt. An dem knapp drei Meter hohen Holzzaun, der das Grün vom Lärm der Straße abschirmt, prangen Schilder in allen Formen und Farben.

Wo geht's lang? Im Schilderwald von Risinger kann man so einiges lesen.
Wo geht's lang? Im Schilderwald von Risinger kann man so einiges lesen. (Foto: Robert Haas)

Risinger hat sie mit einem Nachbarn kunstvoll arrangiert. Manche stehen Kopf, andere verändern in Verbindung mit den daneben hängenden ihre Aussage. Einige haben Risinger und seine Partnerin, die Grafikdesignerin Edeltraud Obermayr, weitergedacht und mit kleinen Grafiken verziert. "Im Verkehr stellt ein Schild nur eine Anweisung dar. Wenn ich ein Schild in einen absurden Zusammenhang bringe, fängt bei den Leuten das Gedankenkarussell an", sagt Risinger.

Diese Idee gefällt dem Ismaninger sichtlich. An den Schilderwänden lässt sich außerdem eine kleine Studie der Schrift im öffentlichen Raum vornehmen. Eine Zeitlang kommen die Ziffern auf den Tempobeschränkungen mit Serifen daher, dann stehen sie glatt und gerade, schließlich zieht ein sanfter Schwung ein.

Auch die Fahrzeuge auf deutschen Straßen haben eine Evolution hinter sich, wie die Schilder dokumentieren: Sitzt der Motorradfahrer in den Fünfzigerjahren noch recht entspannt auf seiner Maschine, muss er sich heute schon festklammern auf seinem davonrauschenden Gefährt. Die Verkehrsschilder zeichnen auch ein Gesellschaftsbild ihrer Zeit nach. Wer hält auf dem Schild ein Kind an der Hand, Mann oder Frau? Tragen die Piktogramme soziale Geschlechter-Erkennungsmerkmale wie Rock und Hut oder sind sie möglichst abstrahiert dargestellt?

Das Haus des leidenschaftlichen Sammlers von außen.
Das Haus des leidenschaftlichen Sammlers von außen. (Foto: Robert Haas)

Doch nicht nur Verkehrsschilder finden in Risingers Sammlung einen Platz. Er hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, die Schilder aufgegebener Geschäfte und Lokale aus der Gegend aufzubewahren. "Ich finde es schade, wenn man so etwas wegwirft", sagt er. "Die Schilder haben ja auch einen gewissen historischen Wert."

So können Risingers Gäste heute noch in der Gartenlaube beim "Fischerwirt" speisen, der einst in Unterföhring Menschen verköstigte. Am Zaun erinnern große Lettern an das Reisebüro Kamhuber und den inzwischen geschlossenen Uhrmacher Prinz in der Gemeinde Ismaning. Als das Eiscafé "Dolomiti" in seinem Heimatort 2019 nach mehr als 30 Jahren zusperrte, rettete Risinger auch diesen Schriftzug. Seither prangt im Innenhof des Hauses eine große Eistüte, die schon manchmal, so erzählt es der Hausherr, Kinder auf der Suche nach einer köstlichen Erfrischung in die Irre geführt hat.

Risingers persönliches Lieblingsschild hängt etwas versteckt an einem Teil des Gartenzauns. "Nacktbaden verboten", mahnt der Hinweis; er stammt ursprünglich vom Feringasee. Das Stück, mit dem alles anfing, vor gut 25 Jahren, liegt in der Garage verborgen. Es ist das einzige Verkehrsschild, das er tatsächlich demontiert hat, damals, gesteht Risinger. Die "Edeltraudstraße" brachte er seiner Partnerin mit, als Überraschungsgeschenk. Sie hält es bis heute in Ehren und hat sich auch revanchiert. Seit einigen Jahren quert den Innenhof inoffiziell die "Robert-Risinger-Allee".

Risinger gesteht, dass er ein Schild vor zig Jahren demontiert hat: das mit der Aufschrift "Edeltraudstraße" für seine Partnerin Edeltraud Obermayr.
Risinger gesteht, dass er ein Schild vor zig Jahren demontiert hat: das mit der Aufschrift "Edeltraudstraße" für seine Partnerin Edeltraud Obermayr. (Foto: Robert Haas)

Nun aber noch einmal zur Grundfrage: Wie kommt man darauf, so viele Verkehrsschilder anzusammeln? "Man braucht Muße, um über Jahre zu sammeln - und Platz", sagt Risinger und grinst. Davon weiß sein Garten und auch die Wohnung zu berichten. Risinger ist wohl das, was man einen kreativen Tausendsassa nennt.

Hauptberuflich verkauft er seit knapp 30 Jahren über den eigenen Laden ausgefallene Beleuchtungs- und Dekorationsartikel. Doch das ist nicht genug. Die Zeugnisse seiner vielen Ideen sind an allen Ecken zu entdecken. Hier dreht sich ein metallisch glänzendes Oberlicht im Wind, am Zaun erinnern ausrangierte Leuchtstoffröhren und der Schriftzug "Ismaning leuchtet" an die Lichtkunstprojekte, mit denen Risinger und seine Mitstreiter jahrelang die umgebenden Orte bereichert haben, bis der Rücken nicht mehr mitspielen wollte.

Risingers Sammelleidenschaft beschränkt sich nicht auf Straßenschilder. Plastik, Spiegel, schöne Steine stapeln sich im Garten, bereit, im nächsten Projekt einer neuen Bestimmung zugeführt zu werden. Auf einer Bank steht ein prall gefüllter Sack mit Plastikmüll. "Auch ein Projekt", erklärt er. 1980 besuchte er mit Obermayr eine Ausstellung in der modernen Sammlung in München über Verpackungen und war fasziniert.

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Einerseits von der Ausdrucksstärke solcher Alltagsgegenstände, andererseits von dem sich aufdrängenden Gedanken: "Das haben wir doch alles auch auf dem Speicher." Seither sortiert er Plastikverpackungen von Buttermilch, Shampoo oder Margarine, reinigt sie und fügt sie seiner eigenen Sammlung hinzu. 40 000 Stück sind das Ziel, nach Kategorien sortiert. "Das ist auch eine Zeitdokumentation", sagt Risinger.

Warentitel, Barcodes, Ernährungsampeln, die Aufdrucke auf den Produkten des täglichen Bedarfs erzählen von der Entwicklung des Lebens. Einen Termin für die geplante Ausstellung hat er auch bereits: Am 1. August 2030 von 19.30 Uhr an will er seine Sammlung der Öffentlichkeit präsentieren, sagt er mit einem Augenzwinkern. Dann wird er exakt 50 Jahre lang Verpackungen gesammelt haben.

© SZ vom 16.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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