JubiläumDen ganzen Menschen im Blick

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Petra Hünnefeld und Brigitte Vath (von links) blickten mit Landrat Christoph Göbel auf 50 Jahre Familienberatung zurück.
Petra Hünnefeld und Brigitte Vath (von links) blickten mit Landrat Christoph Göbel auf 50 Jahre Familienberatung zurück. (Foto: Catherina Hess)

Vor 50 Jahren entsteht die Familienberatung in Ismaning als eines von acht Modellprojekten. Heute hilft die staatlich anerkannte und geförderte Einrichtung jährlich Hunderten Schwangeren in persönlicher und existenzieller Not.

Von Elisabeth Marx, Ismaning

Eine Schwangerschaft verändert alles. Für viele ist sie die Erfüllung eines langgehegten Wunsches. Aber eine ungewollte Schwangerschaft, sagte Petra Hünnefeld einmal, „versetzt die Frau oft in einen Schockzustand“. Und dann ist Rat und Hilfe dringend vonnöten. Seit 50 Jahren steht die Familienberatung Ismaning Frauen und deren Partnern zur Seite. Seit dem ersten Tag geht es in der Einrichtung, die die Sozialpädagogin Hünnefeld mit ihrer Kollegin Brigitte Vath leitet, immer um den ganzen Menschen: um finanzielle Nöte, die Wohnung, den Job und Probleme mit dem Partner. Nicht zuletzt spiegelt Familienberatung gesellschaftliche Debatten wider.

Hunderte Menschen suchen jedes Jahr die Einrichtung auf, die über den Landkreis München hinaus für die Landkreise Erding, Freising und Ebersberg zuständig ist. Viele Rat- und Hilfesuchende kommen auch aus der nahen Landeshauptstadt München. Bei einer Feier blickten jetzt rund 70 Gäste in der Hainhalle in Ismaning auf fünf Jahrzehnte Arbeit zurück.

Landrat Christoph Göbel (CSU) ist Vorsitzender des Zweckverbands Kommunaler Schwangerenberatung für die Region München Nord/Ost. In seiner Rede würdigte er die „fachlich gute, konstruktive, anonyme und niederschwellige“ Arbeit der Beraterinnen und Berater. Der vierfache Vater betonte die Vielfalt der Aufgaben und die Pionierleistung der Gründerinnen.

Zuletzt hätten „querbeet“ 1679 Frauen, meist zwischen 20 und Ende 40 Jahre alt, die kostenlose Hilfe wahrgenommen, sagte Hünnefeld bei der Feier in Ismaning. „Die allermeisten kommen durch Mundpropaganda zu uns, über Freundin, Bekannte oder Arbeitskollegin.“ Seit mehr als 15 Jahren sind Hünnefeld und Brigitte Vath in der Einrichtung tätig, seit Anfang 2023 leiten die beiden Diplom-Sozialpädagoginnen als erste Doppelspitze das Team aus sieben Beraterinnen und drei Verwaltungsangestellten. Ein Psychologe, eine Gynäkologin und eine Familienjuristin ergänzen je nach Klientin die Beratung. Drei Sexualpädagoginnen gehen in Schulen und bieten Präventionsworkshops an.

Warteraum mit Spielecke: In der Familienberatung ist natürlich auch an die Kinder der Klientinnen gedacht.
Warteraum mit Spielecke: In der Familienberatung ist natürlich auch an die Kinder der Klientinnen gedacht. (Foto: Stephan Rumpf)

Gesellschaftliche Debatten prägen die Arbeit der Einrichtung. Zuletzt ging es um eine strittige mögliche Legalisierung von Abbrüchen bis zum dritten Schwangerschaftsmonat. Auf der anderen Seite stehen konservative Gruppierungen, die Abbrüche bekämpfen und so wie die Schwangeren selbst oft Beratungsstellen im Visier haben. Mit den Geflüchteten aus der Ukraine und vielen anderen Ländern kamen kulturelle und sprachliche Barrieren hinzu. „Da musste man sein eigenes Englisch oder Französisch hervorkramen, Dolmetscher organisieren“, sagt Hünnefeld. „Und man muss auch mehr erläutern“, ergänzt Vath. Wo ist welcher Antrag zu stellen? Welche Ansprüche hat man? Eine große Hilfe seien die Helferkreise für Geflüchtete.

Die gesetzlichen Regelungen ändern sich immer wieder

Dazu ändern sich immer wieder gesetzliche Regelungen: Es gibt heute Partnerschaftsmonate und die Möglichkeit der vertraulichen Geburt. Eltern- und Kindergeldregelungen änderten sich. Was wie eine rein bürokratische Veränderung scheint, fordert oft die Beraterinnen. „Da müssen wir aufpassen, dass die Elterngeld-Plus-Beratung nicht in eine Finanzberatung ausufert“, sagt Hünnefeld. Die Corona-Pandemie belastete die Arbeit. „Das war schon sehr eigenartig“, sagt Hünnefeld und erzählt von Gesprächen mit Klientinnen in einem großen Raum, fünf Meter voneinander entfernt und durch eine Stellwand getrennt, bei offenem Fenster und mit Maske im Gesicht. Während der Lockdowns gab es Sonderregelungen. Vath: „Insbesondere die Schwangerschaftskonfliktberatung musste weitergehen.“

Die Familienberatung in Ismaning entstand als eine von acht bundesweiten Modelleinrichtungen, die einen geschützten Raum bot, um über den damals tabuisierten Schwangerschaftsabbruch zu reden. Hünnefeld sagt: „Als die ersten drei Beraterinnen am 1. Oktober 1974 in einer Vierzimmerwohnung anfingen, wusste niemand, wo die Reise hingeht.“ Seit 1981 ist man als staatliche Beratungsstelle anerkannt, die den Konfliktberatungsschein ausstellt. Gemäß Paragraf 218a des Strafgesetzbuches ist vor einer Abtreibung eine „unabhängige, ergebnisoffene“ Beratung Pflicht.

Petra Hünnefeld ermutigt Klientinnen, sich Hilfe zu suchen und erzählt von ganz unterschiedlichen Erfahrungen: „Die Beratung dauert dann so lange, wie die Betroffenen es brauchen, einmal, mehrere Monate lang oder nach Jahren wieder. Das ist ganz individuell.“ Nicht nur die Aufgaben änderten sich, auch die Räumlichkeiten wechselten. Auf die kleine Wohnung aus Gründungszeiten folgten Räume an der Emil-Kurz-Straße, etliche Jahre im Sozialzentrum.

Seit drei Jahren hat die Familienberatung ihren Sitz an der Reichenbachstraße. „Es ist schöner, größer, heller, moderner und klimatisiert“, erzählt Hünnefeld. Beste Voraussetzungen um weitere 50 Jahren Frauen und Paaren „einfach, menschlich und professionell“ die Unterstützung zu bieten, die sie brauchen. Wer Rat und Hilfe suche, könne anrufen, eine E-Mail schreiben oder das Kontaktformular ausfüllen. Größtenteils treffe man sich, auch Telefonate oder Video-Gespräche seien möglich. Regelmäßig fänden Sprechstunden in Ebersberg, Erding, Freising und Neufahrn statt.

Die „Familienberatung Ismaning“, staatlich anerkannte Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen, ist erreichbar in der Reichenbachstraße 1, 85737 Ismaning, Telefon 089/693 14 93-40 oder -41, E-Mail: info@familienberatung-ismaning.de, Internet: www.familienberatung-ismaning.de.

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