Petra überlegt kurz, dann greift die Zweitklässlerin sich eines der bunten Pappkärtchen, die vor ihr auf dem Tisch liegen. "Dieser Junge duscht", sagt sie und deutet auf die Abbildung. Susanne Wiegmann-Henze lächelt. "Bist du dir sicher?", fragt sie über den Tisch. "Was denkst du, Sofie?" Petras Sitznachbarin schüttelt leicht den Kopf. Ist das nun duschen oder baden, was der Junge auf dem Bild tut? Gar keine so einfache Frage. Schließlich verfügt so manche Badewanne auch über einen Duschkopf. Beim nächsten Kärtchen sind sich dafür alle einig: "Dieses Mädchen springt - mit einem Seil", sagt Sofie stolz. Wiegmann-Henze nickt zufrieden. "Sehr gut", lobt sie.
Bevor Petra und Sofie vor etwa zwei Jahren mit ihren Familien in den Landkreis zogen, redeten die beiden Mädchen in ihrer jeweiligen Muttersprache. Als sie in Ismaning in die Schule kamen, wurde plötzlich überall um sie herum Deutsch gesprochen. Sofie und Petra sind keine Einzelfälle. Nicht selten kommt es vor, dass Familien ohne lange Vorlaufzeit umziehen, auch über Ländergrenzen hinweg. Die Kinder müssen sich dann vom einen auf den anderen Tag in einem neuen Umfeld mit einer ihnen unbekannten Sprache zurechtfinden. "Wir haben in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass sich Kinder sehr schwer tun, in der Klasse anzukommen", sagt Marianne Schütte. Die Sozialpädagogin vom Kreisjugendring München-Land leitet die Sozialarbeit an der Camerloher Grundschule. Um diesem Missstand entgegenzuwirken, hat Schütte das Projekt "Junge Integration" initiiert.
Seit Beginn dieses Schuljahrs können Kinder, deren Deutsch noch nicht gefestigt ist, an der Camerloher Grundschule zusätzliche Sprach- und Lernförderung erhalten. "Sprache ist ein Schlüssel, um sich wohlzufühlen in einer Gruppe", betont Schütte. Wer sich verständigen kann, dem fällt auch die Integration in die Klassengemeinschaft leichter. Und wer sich wohl fühlt, der lernt leichter. In Susanne Wiegmann-Henze konnte Schütte eine erfahrene Erzieherin und Sozialpädagogin für die neue Stelle gewinnen. Etwa 22 Stunden pro Woche stehen ihr für das neue Förderprogramm zur Verfügung. Wichtig ist Schütte und Wiegmann-Henze dabei, individuell auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen. "Das Niveau ist sehr unterschiedlich", sagt Wiegmann-Henze. Sie arbeitet deshalb viel in Kleingruppen oder einzeln mit den Kindern. Aber auch im Unterricht unterstützt sie ihre Schützlinge, wenn das nötig ist. Außerdem organisiert Wiegmann-Henze Klassenprojekte. "So merken die Kinder: Wir sind eine Klasse, egal woher wir kommen", sagt sie. Bei der "Spielewerkstatt" am Nachmittag kann jeder mitmachen, gleich welche Muttersprache er oder sie hat. Hier versucht die Sozialpädagogin, den Kindern spielerisch Sprache näherzubringen.
Das Konzept der Jungen Integration verfolgt der Kreisjugendring im Landkreis schon seit bald zehn Jahren. Es gibt Einrichtungen in Unter- und Oberschleißheim, an den Grundschulen in Garching sowie an der Mittelschule in Oberhaching. Die jeweilige Kommune und der Landkreis teilen sich die Kosten dafür. Jede Einrichtung hat ihr Konzept speziell auf sich zugeschnitten. Für Ismaning war Schütte besonders wichtig, dass das Programm flexibel bleibt. Das heißt, es werden nicht nur Kinder gefördert, die sich am Anfang des Schuljahres angemeldet haben. "Das Ziel soll sein, alle Kinder, die es brauchen, aufzufangen", sagt sie - auch dann, wenn ein Kind mitten im Schuljahr neu zu einer Klasse dazustößt. Außerdem wird die Arbeit mit Wiegmann-Henze in den Schulalltag der Kinder integriert, der Sprachunterricht findet also während der normalen Unterrichtszeiten - meist während der Deutschstunde - statt. Andernfalls würden die Kinder aus dem Schulganztag herausfallen, fürchtet Schütte.
Um zu erkennen, wer Förderbedarf hat, sind Schütte und Wiegmann-Henze in regem Austausch mit den Lehrern. So können sie auch auf spezielle Wünsche reagieren, wenn ein Kind beispielsweise Hilfe bei der Vorbereitung auf eine bestimmte Form der Probe benötigt. Eines ist den beiden Schulsozialarbeiterinnen dabei wichtig: Sie wollen sich nicht als Förderlehrerinnen verstanden wissen. "Unser Ansatz ist immer ein sozialpädagogischer", sagt Schütte.
Elf Kinder kommen derzeit regelmäßig zum Sprachtraining zu Wiegmann-Henze. Geboren sind sie in Italien, Rumänien, Indien, Russland, Dubai oder Afrika. Jedes von ihnen bringt eine eigene Geschichte, eine Muttersprache, einen eigenen kulturellen Hintergrund, eine eigene Vorstellung von Schule, Gemeinschaft und Sozialverhalten mit. Auch darauf geht Wiegmann-Henze bei ihrer Arbeit ein - und lernt dabei selbst viel Neues. "Man muss sich schon ein wenig schlau machen", sagt sie und lächelt. Kulturelles Verständnis hilft dabei, die Kinder dabei zu unterstützen, in ihrer neuen Schulklasse und ihrer Schulgemeinschaft anzukommen. Auch die Eltern sollen dabei einbezogen werden. Die Teilnahme an dem Programm ist freiwillig. Das Ziel ist laut Schütte, die Kinder möglichst bis ans Ende ihrer Grundschulzeit in Ismaning zu fördern.