Interview:"Am Ende kommen bei fast allen die gleichen Fragen"

Interview: Brigitte Schmitt-Hausser ist Krankenschwester und Palliative-Care-Fachkraft. Sie bildet Sterbebegleiter aus. Welche Schwierigkeiten es in Familien mit Migrationshintergrund geben kann, weiß sie aus eigener Erfahrung.

Brigitte Schmitt-Hausser ist Krankenschwester und Palliative-Care-Fachkraft. Sie bildet Sterbebegleiter aus. Welche Schwierigkeiten es in Familien mit Migrationshintergrund geben kann, weiß sie aus eigener Erfahrung.

(Foto: Claus Schunk)

Brigitte Schmitt-Hausser bildet Menschen mit Migrationshintergrund zu interkulturellen Hospizbegleitern aus

Von Christina Hertel, Oberhaching

61 000 Menschen mit ausländischen Wurzeln leben im Landkreis München. Das heißt auch: Viele von ihnen werden hier sterben. Um sie und ihre Familien besser zu unterstützen, bietet das Hospiz-Zentrum der Caritas in Oberhaching eine neue Schulung an: Ehrenamtliche mit einem Migrationshintergrund können sich zum interkulturellen Hospizbegleiter ausbilden lassen. Es ist laut Caritas das erste Angebot dieser Art in Deutschland. Die ersten fünf Ehrenamtlichen beendeten nun ihre Ausbildung. Sie stammen aus der Türkei, Griechenland, Afghanistan und Pakistan und sollen künftig Sterbenden, die auch Migrationshintergrund haben, helfen. Im Interview erklärt Kursleiterin Brigitte Schmitt-Hausser, Krankenschwester und Palliative-Care-Fachkraft, warum das Angebot wichtig ist - obwohl Menschen am Lebensende ganz ähnliche Dinge beschäftigen, egal woher sie kommen.

SZ: Die Schulung, die Sie anbieten, ist einmalig in Deutschland - wie ist die Idee dazu entstanden?

Brigitte Schmitt-Hausser: Schon seit einiger Zeit bildet die Caritas Kulturdolmetscher aus. Das sind Migranten, die gut Deutsch sprechen und anderen Migranten kulturelle Hintergründe erklären. Ein Teil dieser Ausbildung befasst sich mit Hospizarbeit. Das Interesse daran war besonders groß. Außerdem merken wir in unserer Arbeit, dass bisher nur wenige Menschen mit Migrationshintergrund eine Hospizbegleitung bekommen. Ich glaube, weil viele gar nicht wissen, auf welche Hilfe sie einen Anspruch hätten. Ein Ziel ist deshalb, dass die interkulturellen Hospizbegleiter in ihren Communitys erzählen, welche Angebote es für sterbende Menschen gibt.

Oder nehmen deshalb so wenige Migranten das Angebot in Anspruch, weil der Umgang mit Tod und Trauer anders ist?

Das glaube ich nicht. Wie groß die Angst vor dem Tod und dem Sterben ist, hat eher mit der Persönlichkeit des Einzelnen zu tun. Doch es ist wichtig, über diese Sorgen zu sprechen. Das klappt natürlich nicht gut, wenn man die Sprache des anderen nicht versteht. Vergangenes Jahr begleitete ich eine türkische Familie, bei der der Großvater im Sterben lag. Da waren vier Generationen in einem Raum, doch nur der Sohn sprach Deutsch und übersetzte. Bei den Angehörigen herrschte eine große Aufregung, ob sie alles richtig machen. Die Situation hätte viel ruhiger sein können, wenn ein Hospizbegleiter da gewesen wäre, der die Sprache gekonnt hätte.

Was unterscheidet die Ausbildung zum interkulturellen Hospizbegleiter von der regulären?

Wie in der normalen Ausbildung zum Hospizbegleiter lernen die Teilnehmer zum Beispiel Grundlagen der Palliativmedizin, Strategien über den Tod zu sprechen und was beim Sterben vor sich geht. Wir sprechen über den eigenen Umgang mit dem Tod und über die Rolle, die sie als Hospizbegleiter später einnehmen. Denn sie sind kein Freund, kein Pfleger und keine Haushaltshilfe, sondern jemand, der mit dem Sterbenden spazieren geht oder ihm vorliest, einfach schaut, was er braucht und dadurch auch die pflegenden Angehörigen entlastet. Das ist alles auch in der regulären Ausbildung zum Sterbebegleiter Thema. Zusätzlich haben wir Vertreter der verschiedenen Glaubensrichtungen eingeladen und zum Beispiel über die verschiedenen Rituale gesprochen.

Warum war das notwendig?

Es ging dabei nicht darum, jemanden zu missionieren, sondern Verständnis für den anderen zu entwickeln. Am Ende stellten wir fest: Es gibt viel mehr, was uns verbindet, als dass uns trennt. Trotzdem ist es wichtig, zu wissen, was in den verschiedenen Kulturen üblich ist. Im Christentum darf man den Toten zum Beispiel ein, zwei Tage aufbahren. Im Islam geht das nicht, weil der Verstorbene möglichst schnell bestattet werden soll.

Bekommt Spiritualität am Lebensende einen größeren Stellenwert?

Ich persönlich glaube: Spiritualität gehört zu jedem Menschen. Am Ende kommen bei fast allen Menschen die gleichen Fragen - ganz egal, welchen kulturellen oder religiösen Hintergrund sie haben. Was bleibt von mir? Wer erinnert sich an mich? Welchen Sinn hat das Ganze? Da spielt es keine Rolle, ob ein katholischer Pfarrer oder ein Imam am Bett sitzt. Doch für einen Hospizbegleiter ist es wichtig, für solche Fragen eine Sensibilität zu entwickeln.

Welche Voraussetzungen müssen die Ehrenamtlichen sonst mitbringen?

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, wie der eigene Umgang mit Tod und Trauer ist. Alle haben Trauererfahrungen. Nicht nur, weil sie ein Familienmitglied verloren, sondern auch, weil sie ihre Heimat verlassen haben. Das heißt: Sie bringen traumatische Erlebnisse mit. Das muss kein Nachteil sein. Doch es ist wichtig, sich klar zu machen, dass man in der Arbeit immer wieder in Situationen gerät, die einen berühren. Außerdem brauchen die Ehrenamtlichen Zeit. Der Kurs umfasst 106 Stunden, einmal die Woche abends und ein paar Samstage kamen auch dazu.

Der nächste Kurs zum Interkulturellen Hospizbegleiter beginnt am 11. September 2020. Näheres gibt es unter 089/613 97 170 beim Zentrum für Ambulante Hospiz- und Palliativ-Versorgung der Caritas in Oberhaching.

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