Integrative Band "Tintenfisch":Handicap null

Bei der Band "Tintenfisch" machen behinderte und nicht behinderte Künstler gemeinsam Musik. Auf dem Tollwood sorgte die musikalische Leistung der Gruppe für Begeisterung.

Dirk Wagner

Es ist entwürdigend, mit welch herablassendem Wohlwollen manch einer Kunst rezipiert, wenn diese von Menschen mit Behinderungen geschaffen wurde. Als verdiente der Umstand, dass Menschen trotz ihrer Behinderungen kreativ sein können, mehr Beifall als ihre Kreativität selbst.

integrative Band Tintenfisch Tollwood 2010

Bei der integrativen Band "Tintenfisch" machen behinderte und nichtbehinderte Künstler zusammen Musik.

(Foto: oh)

Als hätten Menschen wie der geistig behinderte LoFi-Musiker Klaus Beyer mit seinen gelungenen Beatles-Adaptionen nicht längst bewiesen, dass auch Menschen mit Handicap ein Recht darauf haben, dass ihre Werke künstlerisch respektiert, also auch mal verrissen werden müssen, wenn sie als Produkt einer Kunst- oder Musiktherapie dem ästhetischen Vergleich auf dem Markt nicht genügen.

Wenn in einem freien Musikmarkt dann eine Band auch noch ihren integrativen Ansatz betont, nach dem nichtbehinderte mit behinderten Menschen gemeinsam musizieren, stinkt das nicht selten nach der musikalischen Selbstverwirklichung eines Sozialarbeiters, der seine Mittelmäßigkeit über den spastischen Triangelspieler in der Band rechtfertigen mag.

Die 15-köpfige Formation Tintenfisch bildet als Integrationsprojekt der Lebenshilfe Donau-Ries darum auch eine der herausragenden Ausnahmen in diesem Bereich. Denn erstens ist die Band im Gegensatz zu vielen gleichlautenden Projekten tatsächlich integrativ, was man daran erkennt, dass auch führende Instrumente von den sogenannten betreuten Personen gespielt werden.

Und zweitens spielen diese ihre Instrumente mit großer Versiertheit. Man wird lange nach einem so exakten Schlagzeuger suchen wie dem autistischen Max, der während des Spiels allen Schlagzeuglehrern zum Trotz seinen Oberkörper metronomartig vor- und zurückschaukelt, sonst aber mit den Stöcken so selbstverständlich über die Trommeln wirbelt, wie andere Menschen atmen.

Seine Begabung war dann auch ein wenig die Initialzündung für seinen Musiktherapeuten Jürgen Hiemeyer, der in solchem Talent nicht nur die Möglichkeit, sondern geradezu eine Notwendigkeit erkannte, sich damit auch außerhalb des geschützten Raums der Sozialarbeit zu behaupten. Zum Beispiel im Andechser Zelt auf dem Tollwoodfestival, wo der "Behindertenbonus" der Band recht schnell ausgespielt war, um Platz zu machen für eine rein musikalisch bestimmte Begeisterung.

"Wir werden euch sofort integrieren"

Da mag es noch so auffällig erscheinen, dass einem Percussionisten die Instrumente auf einen riesigen Gummiball geschnallt wurden, am Ende zählte nur, wie treffsicher und taktgenau er auf diese einschlug. "Das hat mich gefreut, dass eine Band, die mir so am Herzen liegt, tatsächlich so gut ist", kommentiert die Wirtin des Andechser Zelts, Victoria Raith, den Auftritt von Tintenfisch.

In einer Zeitung habe sie mal von der Band gelesen und war sofort neugierig, so die Wirtin, die sich ihre Neugier auch eine angemessene Gage kosten lässt. Mit derselben Professionalität führt auch Hiemeyer die Band, für die er vor Monaten den Fürstenfeldbrucker Rapper Michael Hahn engagierte, nachdem er ihn auf dem Sprungbrett-Wettbewerb im Feierwerk bewundert hatte, wo dessen Band Jungbrunn zur "Band des Jahres" gewählt wurde.

Die nichtbehinderten Musiker der Band sind allesamt Profis, studieren oder unterrichten Musik. Schön anzusehen ist während des Auftritts, wie vorbildlich eine von zwei Flötistinnen die betreute Flötistin nur so weit wie nötig stützt, indem sie im Wesentlichen die gleichen Melodien spielt, dann aber der betreuten Spielerin die Führung überlässt.

Solches hätte man auch dem Gesangstrio in der Band gegönnt. Nicht dass die drei Sängerinnen es nicht verstanden hätten, das Publikum in ihren Bann zu ziehen, trotzdem oblag die gesangliche Führung hier nur allzu deutlich dem Rapper aus Fürstenfeldbruck und einer Musikstudentin mit rosafarbenen Haaren.

Weil es aber in einem integrativen Projekt nicht darum gehen kann, dass nichtbehinderte Musiker hier nur der Unterstützung der behinderten Musiker dienen, ist das für die Musik der Band selbst nicht weiter von Belang. Die stammt mit der Ausnahme von Miriam Makebas "Pata Pata" vom Bandleader und Percussionisten Hiemeyer. Soulfunk mit deutschen Texten, die im Sinne der Band darauf verweisen, dass Verschiedenheit nur normal ist.

"Liebe Freunde der Integration, wir werden euch sofort integrieren", begrüßt darum der Gitarrist das Publikum und entschuldigt zugleich eine technisch bedingte Verzögerung, bevor ein Rhythmusexzess das Konzert dominiert, das vom Publikum nicht wohlwollend, sondern begeistert gefeiert wurde.

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