Integration:Eine Matrikelnummer ist für Flüchtlinge wie ein Hauptgewinn

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Lucas Höfer (ganz links) und Veronika Diem stehen Ahmad Almesh aus Syrien und Abdallah Kalash aus Gaza (von links) an der Technischen Universität als sogenannte Buddies zur Seite. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Für Flüchtlinge, die studieren wollen, gibt es viele Hürden. Mancher Bewerber überwindet sie, manch anderer kämpft mit den Widrigkeiten des Systems.

Von Christina Hertel, Garching/Oberschleißheim

Mehr als 40 000 Menschen studieren an der Technischen Universität, eine kleine Stadt. Sieben von ihnen sind Flüchtlinge, und einer von ihnen ist Abdallah Kalash. 24 Jahre alt, kräftig, braune Augen, braune Haare, aus Gaza, einer Stadt, wo Krieg zum Alltag der Menschen dazu gehört, wo es nur ein paar Stunden am Tag Strom gibt. Und jetzt wohnt Kalash in Oberschleißheim, macht seinen Master in "Research on Teaching and Learning" an der Technischen Universität. Er setzt sich damit auseinander, wie das Lehren und das Lernen verbessert werden können.

Mit der Immatrikulation hat es bei ihm relativ unproblematisch geklappt, weil er schon einen Bachelorabschluss und auch schon als Englischlehrer gearbeitet hat. Die Hochschulen entscheiden nämlich selbst, ob sie einen ausländischen Bachelorabschluss anerkennen oder nicht - je nachdem, ob dafür Leistungen erbracht worden sind, die mit denen in Deutschland vergleichbar sind. Außerdem werden in Kalashs Studiengang die Seminare und Vorlesungen auf Englisch gehalten.

Das erste Jahr in Deutschland bestand für Kalash aus Warten. Die Behörden wussten nicht, was sie mit ihm anfangen sollten. Bis er selbst im Internet herausfand, dass sein Bachelor möglicherweise anerkannt wird. Er wandte sich an die Hochschule, und es klappte. "Ich dachte mir nur: Wieso hat mir das keiner vorher gesagt?", erzählt Kalash.

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So leicht geht es bei den meisten Flüchtlingen nicht. Vor allem nicht, wenn sie anders als Kalash noch keinen Bachelorabschluss haben. Die Kultusminister der Länder legen gemeinsam fest, mit welchen Schulabschlüssen Ausländer ein Hochschulstudium aufnehmen können. Ob ein Abschluss anerkannt wird, hängt vom Herkunftsland ab. Menschen aus Äthiopien, Eritrea, Afghanistan oder dem Irak müssen noch ein sogenanntes Studienkolleg besuchen, wo sie sprachlich und fachlich auf ein Studium in Deutschland vorbereitet werden. Syrer haben in der Regel - wenn sie in ihrem Abiturzeugnis mindestens 70 Prozent der Maximalpunktzahl erreicht haben - einen direkten Zugang zu allen Hochschulen. Eine Hürde gibt es trotzdem: die Sprache.

Ahmad Almesh hat in Syrien schon ein paar Semester Informatik studiert. Hier in München würde er gerne weitermachen, aber noch geht das nicht. Voraussetzung ist ein Zertifikat über seine Deutschkenntnisse, die Prüfung dafür hat er noch nicht bestanden.

Gasthörerprogramm für Flüchtlinge

An den Vorlesungen und Seminaren an der TU in Garching nimmt er trotzdem schon teil. Vor einem Jahr hat die Universität begonnen, ein Gasthörerprogramm für Flüchtlinge anzubieten. Sie können alle Studiengänge, für die es keinen Numerus clausus gibt, kostenlos besuchen. Mehr als 250 Flüchtlinge nutzen das Angebot in diesem Wintersemester. Die meisten kommen wie Almesh aus Syrien, aber auch aus Afghanistan oder Eritrea sind welche dabei.

Ziel ist es, sie an das deutsche Bildungssystem heranzuführen. "Hier läuft ja alles ganz anders", sagt David Schneider, der die Flüchtlingsarbeit an der TU koordiniert. Eigenständig sein, den Stundenplan selbst zusammenstellen, nicht nur auswendig lernen. Und eben weil alles so anders ist, bekommen die Flüchtlinge an der TU Hilfe - von Studenten und Mitarbeitern, die sich auskennen. "Buddies for Refugees" heißt das Programm.

Buddies, die beim Eingewöhnen helfen

Auch Kalash und Almesh werden von zwei Buddies unterstützt. Denn ganz so einfach wäre es ohne Hilfe bei Kalash wohl auch nicht gegangen. Veronika Diem, die eigentlich in der Bibliothek arbeitet, unterstützt ihn. Bei der Wohnungssuche, dem Ausfüllen von Formularen - zum Beispiel für die Krankenversicherung oder das Bafög. Denn sobald ein Flüchtling als Student eingeschrieben ist, steht ihm kein Geld mehr durch das Asylbewerberleistungsgesetz zu. Er muss sich jetzt selber darum kümmern, wie er seine Miete bezahlen kann. Wie jeder andere Student kann auch ein Flüchtling einen Bafög-Antrag stellen und wie bei jedem anderen Studenten kann es dauern, bis dieser genehmigt wird. Kalash hat sich deshalb um ein Stipendium gekümmert. Und Viktoria Diem hat beim Ausfüllen der Formulare geholfen.

Bei dem Syrer Almesh ist es noch nicht so weit. Er wohnt in Siegsdorf, südlich von Traunstein. Bis nach Garching braucht er mehr als zwei Stunden. Er würde gerne nach München ziehen, aber er findet keine Wohnung. Lucas Höfer will ihm dabei helfen. Er schreibt gerade seine Promotion in Elektrotechnik. Anfragen haben die beiden schon viele verfasst, zu einer Besichtigung oder einem WG-Casting wurde Almesh aber noch nicht eingeladen.

Seit zwei Jahren lebt der Syrer in Deutschland. Viel passiert ist seitdem nicht. "Es geht so viel Zeit verloren", sagt er. Mit warten, im Zug sitzen. Einmal war er eigentlich schon zum Studium zugelassen, Informatik in Rosenheim. Doch dann wurde nichts daraus - er hatte das falsche Deutschzertifikat erworben. Beim Test für das richtige fiel er knapp durch. Jetzt muss er ihn noch mal schreiben. Bis dann irgendwann hoffentlich das echte Studentenleben beginnt.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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