Integration:Das Lehrstück von der bitteren Mandel

Integration: Die Liebesgeschichte von Najiba und Atiqullah Aziz begann in Indien. Sie heirateten 14 Jahre nach dem ersten Treffen in Deutschland. Heute ist Garching die zweite Heimat für ihre Familie geworden.

Die Liebesgeschichte von Najiba und Atiqullah Aziz begann in Indien. Sie heirateten 14 Jahre nach dem ersten Treffen in Deutschland. Heute ist Garching die zweite Heimat für ihre Familie geworden.

(Foto: Catherina Hess)

Najiba Sharif-Aziz und Atiqullah Aziz kamen auf unterschiedlichen Wegen von Afghanistan nach Deutschland. Heute setzt sich das Paar für Integration ein

Von Gudrun Passarge, Garching

Der Weg nach Deutschland war weit. Ihr älterer Bruder musste den jüngsten, behinderten Bruder auf dem Rücken tragen, durch Maisfelder, über Feldwege, endloses Warten auf die Schlepper und immer die Angst, entdeckt zu werden. Najiba Sharif-Aziz ist 1991 von Teheran aus über Indien, Russland und Tschechien nach Deutschland gekommen.

Die afghanische Diplomatentochter hat sich durchgebissen, die Sprache gelernt, einen Beruf erlernt, und sie hat Atiqullah Aziz geheiratet und ist zu ihm nach Garching gezogen, wo sie mit ihren drei Kindern leben. "Es ist für uns eine Art zweite Heimat geworden", sagt sie. "Es ist ein Privileg, in Garching zu leben", sagt er.

Es sei nicht üblich in Afghanistan, dass Frauen einen Doppelnamen haben, "aber ich bin ein toleranter Mann", betont Aziz. Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, dass er der begeisterte Hobbykoch ist, der seine Familie und auch die Gäste gerne verwöhnt. Immer wieder geht er in die Küche, um Getränke zuzubereiten oder Kleinigkeiten zum Naschen zu bringen. Die beiden sind eine Art Vorzeigepaar von Flüchtlingen, die in Deutschland angekommen sind, in jeder Hinsicht.

Atiqullah Aziz kam bereits 1979 nach Deutschland. Er wollte nur einen kleinen Bus und gebrauchte Kopiergeräte kaufen. Die Kopiergeräte brauchte er, damit er zu Hause nicht mehr die Flugblätter gegen das verhasste kommunistische Regime mit der Hand schreiben musste. Mit dem Bus wollte er von Hamburg aus heimfahren. Dort hatte er eine gute Stelle im Lager bei der Firma Hoechst, die in Kabul Medikamente produzierte. Doch seine Mutter ließ ihm mitteilen, er solle in Deutschland bleiben, weil einige Mitstreiter der Protestbewegung gegen das Regime verhaftet worden waren.

Auch sein Vater kam ins Gefängnis, "wegen mir". Atiqullah Aziz blieb in Deutschland und bekam Asyl. "Ich habe nie Geld oder Unterstützung von den Behörden verlangt", betont der 63-Jährige. Er wohnte bei einem Freund in München, arbeitete in einer Firma als Außendienstmitarbeiter. Später machte er sich selbständig, heute betreibt er einen Limousinenservice. Den Einstieg erleichtert hat ihm sicherlich, dass er sein Abitur an der deutschen Schule in Kabul abgelegt hat. Er sprach also deutsch.

Das war bei seiner Frau ganz anders. Die 50-Jährige war als Kind viel herumgekommen, da ihr Vater in verschiedenen Botschaften gearbeitet hat. Irgendwann musste sich ihr Vater die Frage stellen, ob es nicht zu gefährlich wäre, nach Afghanistan zurückzukehren, weil er politisch andere Ansichten vertrat als die Regierung und die Gefahr groß war, ins Gefängnis gesteckt zu werden. Ihr Abitur hat Najiba Sharif-Aziz in Teheran gemacht, danach ging die Familie nach Indien. Ein Versuch, nach Kanada zum älteren Bruder auszureisen misslang, deswegen entschied der Vater, nach Deutschland zu gehen. Vielleicht auch, weil er die Sprache gut beherrschte, denn auch er hatte sein Abitur an der deutschen Schule in Kabul gemacht.

Für seine Familie begann mit der Ankunft in Deutschland eine harte Zeit. "Es gab niemanden, der uns betreut hätte", erinnert sich Najiba Sharif-Aziz. Es gab aber ein paar "gutmütige Menschen", die ihnen etwa ein Fahrrad schenkten. Sie lebten zu fünft in einem 18-Quadratmeter-Container in Essen, zum Deutschkurs fuhren sie eineinhalb Stunden lang, wenn der Bruder zum Arzt musste, setzten sie ihn auf das Fahrrad und fuhren ihn hin. Trotz ihrer anfangs geringen Deutschkenntnisse gelang es ihr, eine Ausbildung als Krankenschwester zu machen. Mit dem Geld, das sie verdiente, und dem Geld, das ihr Bruder bei McDonald's bekam, richteten sie sich eine Wohnung ein.

Unterstützung vom Staat gab es nicht. Najiba Sharif-Aziz erinnert sich, wie sie einmal im Kaufhaus war, um Bettwäsche zu besorgen. Die Verkäuferinnen lästerten über sie, sagten, dass Deutschland ein schönes Land für Ausländer sei. Sie kämen hierher, bekämen Geld und kauften damit die Kaufhäuser leer. "Das hat mich richtig getroffen", sagt sie, aber es gebe ein Sprichwort: Von einer bitteren Mandel zwischen süßen Mandeln solle man sich nicht unterkriegen lassen. Es gab auch viele positive Erlebnisse.

Najiba Sharif-Aziz und ihr Mann engagieren sich beide im Helferkreis Asyl, sie ist auch im Integrationsbeirat. Integration, sagt sie, erfordere von beiden Seiten etwas. "Die Bereitschaft zur Integration muss da sein." Manche kapselten sich nur mit ihren Familien und Landsleuten ab. Auf der anderen Seite müssten die Menschen hier Akzeptanz und Toleranz gegenüber anderssprechenden und andersgläubigen Menschen aufbringen.

Und natürlich ist da noch die Sprache, "das ist das A und O". Ihr Mann fügt an, dass gerade junge Flüchtlinge jemanden bräuchten, der sie bei der Hand nimmt und ihnen erklärt, was Pünktlichkeit bedeutet oder Sauberkeit, oder wie man mit Papieren umgeht. "Die haben null Ahnung", hat er festgestellt und deswegen wünschte er sich, dass sich Landsleute der Flüchtlinge fänden, die sich auskennen und die jungen Leute einführten in die Gesellschaft. Damit sie ihren Weg finden, wie Familie Aziz, die sich in Garching willkommen fühlt.

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