„In der Schule kann man aus meiner Sicht Wunder erbringen“, sagt Zakaria Ermili. Der 39-Jährige ist einer von über 140 ehrenamtlichen Kulturdolmetschern der Caritas im Landkreis München. Kulturdolmetscher sind Menschen mit Migrationsgeschichte, die Deutsch und ihre Muttersprache sprechen, und sich in zwei Kulturen zu Hause fühlen. Sie helfen, sprachliche und kulturelle Unterschiede zu überwinden. Dazu vermittelt die Caritas sie nach einem Qualifizierungskurs an Bildungs-, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen. Dabei kann jeder seinen Schwerpunkt selbst wählen.
Zakaria Ermili ist vor allem in Schulen tätig, manchmal auch in Kitas oder im Hort. Überall, wo es um die Entwicklung junger Menschen geht, ist der dreifache Vater zur Stelle. Seit mehr als fünf Jahren ist er dafür von Unterschleißheim bis Haar, von Grünwald bis Höhenkirchen unterwegs. Seine Rolle vergleicht der in Marokko aufgewachsene Kulturdolmetscher mit der eines Adapters. Kulturen träfen wie zwei verschiedene Stromstärken aufeinander und er stehe als vermittelnde Instanz dazwischen.
Deshalb übersetze er nicht nur die Sprache. „Oft sagt der Lehrer im Elterngespräch einen Satz, und ich übersetze fünf Minuten lang“, erzählt Ermili. Das liege daran, dass er viel erklären müsse. Etwa die Nuancen des Gesagten, oder auch das grundlegende Konzept. Das fange bei Dingen wie Elternbriefen und Lernentwicklungsgesprächen an, betreffe aber auch die Fahrt ins Schullandheim. „Für Deutsche ist das selbstverständlich, aber das ist es nicht.“
Für die Lehrer sei es oft frustrierend, wenn die Eltern ihrer Schüler etwa Elternbriefe nicht unterschrieben oder zu Elternabenden nicht erschienen. Es sei dann leicht, ihnen zu unterstellen, dass sie sich nicht kümmern wollten. Dabei sei das Problem meist eher, dass die Eltern nicht wüssten, dass so etwas wichtig sei und worum es dabei genau gehe. „Meine Eltern waren nie in meiner Schule, außer ich habe etwas Schlimmes gemacht“, erklärt Ermili. Und genau so gehe es auch vielen anderen Migranten. Wenn er diese Dinge dann anhand seiner eigenen Erfahrungen und der seiner Kinder erkläre, seien die meisten Eltern schnell einsichtig. Dabei helfe es auch, ganz konkret zu erklären, was deutsche Lehrer erwarten und wie die Familien das in ihren Alltag integrieren könnten.
Dass es beim Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen leicht zu Missverständnissen kommen kann, liegt für Ermili auf der Hand. Er selbst habe allerdings keinen Kulturschock erlebt, als er 2006 nach Deutschland kam. „Ich glaube, das liegt an meinem Deutschlehrer in Marokko“, sagt er. Dieser habe ihm nicht nur die Sprache beigebracht, sondern auch mit vielen Anekdoten aus seinem Leben in Deutschland deutsche Eigenheiten erklärt.
Seine Vokabelhefte von damals habe er immer noch und zeige sie manchmal seinen Kindern. „Viele sagen, Deutsch lernen ist schlimm oder schwer, aber ich habe es echt genossen“, sagt Ermili. Die Entscheidung, nach dem Abitur Deutsch zu lernen und seine Heimat zu verlassen, sei kein großer Traum gewesen. Vielmehr sei er einfach einem Trend gefolgt, habe aber schnell gemerkt, dass dieser Weg genau der richtige für ihn sei.
In München besuchte er ein Jahr lang das Studienkolleg und studierte zwei Jahre Romanistik. Relativ bald zog er in ein katholisches internationales Studentenwohnheim in Schwabing. Dort habe er sich als Muslim stets willkommen gefühlt und den Austausch zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen kennengelernt.
Nach zwei Jahren brach Ermili sein Studium ab, weil er damit keine Zukunft für sich sah. „Ich wollte etwas Handfestes machen“, erklärt er. So habe er eine Ausbildung in der Hotellerie absolviert und bis 2015 in einem Hotel gearbeitet. Dann schloss sein Hotel. Gleichzeitig kamen immer mehr Geflüchtete nach München und die Regierung suchte nach Menschen, die die Unterkünfte betreuen können. Ermili bewarbt sich mit seiner Erfahrung aus dem Hotelgewerbe, bekam den Job und arbeitete sich hoch.
Die Ehrenamtskultur in Deutschland hält er für eine tolle Sache
Heute ist er als Teamleiter für acht Unterkünfte verantwortlich. Zeit für sein Ehrenamt im Landkreis hat er trotzdem noch. „Ich finde die Ehrenamtskultur in Deutschland eine tolle Sache“, sagt er. So toll, dass er nicht nur dreimal im Monat als Kulturdolmetscher unterwegs ist, sondern auch die Fußballmannschaft seines Sohnes trainiert und bei Bedarf für die Bahnhofsmission übersetzt.
Ermili hilft, weil er gebraucht wird. Besonders in Schulen sei der Einsatz von Kulturdolmetschern sehr gefragt, teilt die Caritas mit. Leider müssten allerdings die Qualifizierungskurse für weitere Kulturdolmetscher aufgrund der allgemeinen Bundeshaushaltskürzungen vorerst ausgesetzt werden. Und so bewältigt Ermili mit den 139 anderen bereits ausgebildeten Ehrenamtlern die Anfragen so gut wie möglich. „Die Schulen sind das A und O“, ist sich Ermili sicher. Hier könnten dank ihrer Arbeit Kompromisse gefunden und Missverständnisse ausgeräumt werden, sodass junge Menschen auf einen guten Weg kämen.
„Leider Gottes gibt es auf beiden Seiten auch Negativbeispiele“, sagt der Kulturdolmetscher. Auf der einen Seite stünden Leute, die Menschen mit Migrationshintergrund sagten, sie gehörten nicht dazu. Auf der anderen Seite stünden Menschen mit Migrationshintergrund, die dann wiederum als Reaktion darauf gar nicht mehr dazugehören wollten. Deshalb wolle er mit den Leuten reden, bevor es so weit komme.
Für Ermili ist außerdem wichtig zu zeigen, dass man eigene Werte behalten und gleichzeitig annehmen kann, was in Deutschland üblich sei. Er sehe sich selbst als „Deutsch plus“ – als Deutscher, der noch eine Kultur kennt. Sein Deutschsein lasse er sich dabei von niemandem absprechen. Aber auch auf seinen marokkanischen Hintergrund, der ihm helfe zu vermitteln, sei er stolz.
Ermilis Frau arbeitet als Lehrerin an einer Mittelschule. Von ihr bekomme er mit, wie sehr den Lehrkräften die Kinder am Herzen lägen. „Das Ziel ist bei Eltern und Lehrern gleich, aber die Information stimmt überhaupt nicht“, fasst er die Situation in den meisten Gesprächen zusammen. Nach seinen Einsätzen bekomme er deshalb oft sowohl den Dank der Eltern als auch den der Lehrkräfte.