Kampf gegen Insektensterben:Mitsummen im Chor

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Die Initiative "Blühender Landkreis" will die Lebensgrundlage von Bienen und anderen Tieren erhalten. Weil der Kreistag ihr eine Personalstelle verweigert, setzt sie jetzt auf die Synergien eines bundesweiten Netzwerks.

Von Bernhard Lohr, Landkreis

Wenn jemand von blühenden Landschaften erzählt, sind die Gedanken schnell beim Landkreis München. Angesichts florierender Unternehmen ist für viele die Welt in der Region ziemlich in Ordnung. Doch mit dem Wohlstand wachsen auch die Sorgen, dass die Entwicklung auf Kosten der Vielfalt von Flora und Fauna geht. Dem will der Landkreis mit der Initiative "Blühender Landkreis München" etwas entgegensetzen. Konkret soll damit dem Insektensterben Einhalt geboten werden. Zuletzt gab es allerdings einen Rückschlag, als der Kreistag sich weigerte, in diesem Jahr für die Koordination des Projekts eine halbe Personalstelle im Landratsamt zu bewilligen.

Grünen-Kreisrat Oliver Seth hat selbst erlebt, was für Probleme eine Monokultur auf Feldern und Wiesen schafft. Seth wohnt in Holzhausen in der Gemeinde Straßlach-Dingharting, mitten im Grünen. Deshalb kam er auf die Idee, sich Bienenvölker zuzulegen und Honig zu produzieren. Doch was er als leichte Übung ansah, entwickelte sich zum schwierigen Geschäft. Die Bienen fanden kaum Nahrung. In fünf Jahren produzierten sie 15 Kilo Honig. Eine magere Ausbeute, im Vergleich zu dem, was ein Kollege mit seinen Stadtbienen zusammenbrachte.

Für die Monokultur und ihre gravierenden Folgen hat der Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Bayern soeben die Landwirtschaft und ein missglücktes EU-Förderwesen mitverantwortlich gemacht hat. Es ist eben nicht nur schön anzuschauen, wenn es im Garten, auf dem Balkon oder am Straßenrand blüht. Insekten sind als Nahrungsquelle darauf angewiesen. Und für viele Tiere sind wiederum Insekten unverzichtbar. Andreas Segerer, Insektenforscher an der Zoologischen Staatssammlung München, hat das Jahr 2016 als das schlechteste Jahr seiner rund 50-jährigen Forschungstätigkeit erlebt. Die Bestände vieler Schmetterlingsarten seien dramatisch rückläufig. Er befürchte eine "ökologische Katastrophe", deren Folgen den Menschen noch nicht klar seien, sagt er.

Kürzlich schreckte eine Studie auf, der zufolge die Zahl der Insekten um 76 Prozent gesunken sein soll. Das von Seth initiierte Projekt "Blühender Landkreis München" kam zur rechten Zeit. Das zeigte auch das Auftakttreffen im vergangenen Herbst. "Da hat man gemerkt, dass Interesse besteht", sagt Seth. Alle seien sich einig gewesen: "Man muss dringend etwas machen."

Die Nachbarn in Ebersberg machen es vor

Eine Steuerungsgruppe sollte eingerichtet werden. Naturschutzverbände, Imker, Landwirte, Gärtner und Kreispolitiker sollten sich unter Anleitung des Landratsamts dauerhaft vernetzen, um Strategien zu entwickeln, wie Kommunen, Vereine und Bürger dem Insektensterben entgegensteuern könnten. Doch ohne die Personalstelle hängt man nun in der Luft. Allerdings will sich Seth nicht entmutigen lassen. Er und seine Mitstreiter knüpften Kontakt zur Organisation "Deutschland summt". Der Landkreis Ebersberg ist bereits Mitglied in dem Netzwerk und profitiert von dessen Aktivitäten. "Das wäre genau das, was wir im Landkreis brauchen", sagt Seth.

Sabine Kirchner war gerade nach Grafing im Landkreis Ebersberg gezogen, als ihr vor vier Jahren auf dem Weg zu einer Probe des Jugendorchesters die Idee kam, eine Initiative mit dem Namen "Grafing summt" zu gründen. Ihre Kinder hatten den Anstoß dazu gegeben. "Deutschland summt" kannte sie damals noch gar nicht.

Vergangenes Jahr schlossen sich die Grafinger dem bundesweiten Netzwerk an. Organisatorisch sind sie heute beim Familien- und Bürgerzentrum in Grafing angeschlossen. Sabine Kirchner besuchte vergangenes Jahr 16 Schulklassen und vermittelte, was man tun muss, damit es Honig- und Wildbienen gut geht. Wie Oliver Seth beobachtet sie reges Interesse am Thema. Als bestes Beispiel sieht sie die Reaktion des Ebersberger Landrats Robert Niedergesäß (CSU) an, den sie per E-Mail um Unterstützung bat. Er meldete sich noch am selben Tag zurück.

Bald darauf war der Nachbarlandkreis auch Mitglied der Initiative - als "Der Landkreis Ebersberg summt". 13 Gemeinden tauschen sich dort heute darüber aus, wie Grünanlagen gestaltet werden können, damit Insekten profitieren. 16 Gartenbauvereine sind Mitglied, Imker- und Bienenzuchtvereine. Der Bauernverband ist dabei, die Naturschutzwacht und Jagdverbände, der Landesbund für Vogelschutz und auch das Staatliche Schulamt.

Artenvielfalt im Sturzflug - Das große Insektensterben: Insektenforscher Andreas Segerer von der Zoologischen Staatssammlung München spricht am kommenden Dienstag, 30. Januar, von 19 Uhr an im Lehrbienenstand Hohenbrunn, Eduard-Buchner-Straße 5 (Ecke Siegertsbrunner Straße). Segerer gibt einen Überblick darüber, was nach Ansicht von Wissenschaftlern auf die Menschen zukommt. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 24.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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