Süddeutsche Zeitung

Mitten in Oberhaching:Die Hausgrille muss draußen bleiben

Wer eine Bäckereifiliale an der Bahnhofstraße betritt, befindet sich garantiert in einer insektenfreien Zone.

Wenn Bäcker außen an der Ladentür Hinweise anbringen, dann preisen sie meist ihre tagesaktuellen Angebote an: Heute drei Krapfen zum Preis für vier, Osterfladen frisch eingetroffen, Wiesnbrezn XXL - solche Sachen. Dass sie aber darauf hinweisen, was es hier alles nicht gibt, ist eher ungewöhnlich. Der Hofpfisterei ist es offenbar aber ein Bedürfnis, ihren Kunden gleich beim Betreten des Verkaufsraums an der Bahnhofstraße in Oberhaching unmissverständlich mitzuteilen: "Es werden keine Insekten oder Erzeugnisse aus Insekten verwendet, darauf können Sie sich verlassen." Das Wort "keine" ist unterstrichen.

Die meisten Kunden dürften darüber erleichtert sein. Enttäuscht dagegen allenfalls wenige, die mit großem Appetit an Brezn denken, aus denen die Beine der Wanderheuschrecke herausschauen, oder die begeistert das Knacken der Chitinpanzer von Käfern hören, wenn sie herzhaft in eine Semmel beißen, und den Anblick des gelben Mehlwurms herbeisehnen, während sie das Bauernbrot aufschneiden. Alles vorstellbar nach einer neuen EU-Richtlinie, die kürzlich in Kraft getreten ist.

Allerdings hat man bei der EU nicht beabsichtigt, dass zukünftig mit dem Semmelholen eine Dschungelprüfung verknüpft sein sollte. Daher sind Acheta domesticus, die Hausgrille, und Alphitobius diaperinus, die Larven des Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers, für die Beimengung in Lebensmittel nur in Pulverform zugelassen. Wenn man also das Kleingedruckte auf Lebensmitteln nicht liest - heimliches Beimischen ist verboten - merkt man mitunter gar nicht, dass man soeben Biene Maja und ihre Freunde verspeist. Wobei die Grille ein wenig nussig rüberkommen soll. Und wenn man sie vor dem Verzehr mit Rosmarin füttert, so ist auf einschlägigen Seiten von Insekten-Experten nachzulesen, schmecken sie tatsächlich nach Rosmarin.

Hierzulande ist es aber sicherlich noch so, dass den meisten beim Gedanken an der große Krabbeln auf dem Teller die Übelkeit überkommt, wenn nicht gar Schweißausbrüche ausgelöst werden und Ohnmachtsanfälle zu erwarten sind. Das ist aber ein eingeübtes Phänomen: Wovor man sich ekelt, ist kulturell unterschiedlich. Sarden lieben Schafmilchkäse mit Maden, in Kambodscha zählen frittierte Spinnen zu den Spezialitäten, und gebratene Schlange gilt in Vietnam als Delikatesse.

Wer das alles etwas zu eklig findet, dem sei gesagt: Farbstoff aus getrockneten und ausgekochten Läusen wird auch bei uns schon lange verwendet: als Karminrot im Lippenstift, für den Überzug von Schokolinsen oder als Bindemittel. Es heiß nur halt E 120 und E 904. Wenn allerdings Hausgrille drin ist, steht auch Hausgrille drauf. Wie beim Bienenstich.

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