Süddeutsche Zeitung

Innovation:Der Anfang vom Ende der Retouren

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Eine Firma aus Aschheim will Rücksendungen bei Online-Käufen unnötig machen. 3-D-Modelle sollen Kunden bereits auf dem Bildschirm vermitteln, wie ihnen die bestellte Kleidung steht.

Von Irmengard Gnau, Aschheim

Im Besprechungsraum schaut eine klassische Schneiderpuppe den Mitarbeitern der Assyst GmbH über die Schulter, wenn sie sich hier zur Konferenz versammeln. Der rote Blazer fällt ihr über die Schultern. Wollte der Designer noch etwas an seinem Entwurf korrigieren, er zückte wahrscheinlich zwei Stecknadeln. Im Raum gleich nebenan kann man einen Blick wagen in das, was viele als die Zukunft der Modebranche beschreiben. Auf dem Fensterbrett liegen zwei Virtual-Reality-Brillen; auf einem großen Bildschirm zupft Designerin Sandra Stempfhuber den abgesetzten Kragen eines Sportblousons zurecht - alles digital. Darauf hat sich die Firma Assyst mit Sitz in Dornacher Gewerbegebiet spezialisiert: Mit Hilfe von 3D-Modellen visualisiert sie Kleidung am Bildschirm. Damit will das Unternehmen die Branche schneller und flexibler machen - und könnte bald auch dabei helfen, ein Umweltproblem zu mindern.

Wie Studien zeigen, bestellen die Menschen in Deutschland einen wachsenden Anteil ihrer Kleidung über Online-Shops. Forscher sprechen von bis zu einem Fünftel der neu gekauften Kleidungsstücke. Der Haken daran: Gerade bei Mode ist es bislang schwierig, nur aufgrund einer Abbildung auf der Internetseite zu entscheiden, welche Größe passt. Dementsprechend hoch ist die Rücksendequote - je nach Produkt werden zwischen 25 und 50 Prozent der gekauften Stücke zurückgeschickt. Eine große Belastung für die Umwelt, schließlich fällt der Transport doppelt an. Hinzu kommt, dass es für die Händler teilweise kostengünstiger ist, zurückgegebene Ware zu vernichten anstelle sie zu reinigen und neu zu verpacken. "Diese Retouren sind ein riesiger Kostenfaktor für die Hersteller - und eine Ressourcenverschwendung", sagt Alexandra Seidl, Marketing-Chefin bei Assyst. Retouren wegen falscher Größen sollen daher möglichst überflüssig werden, indem Kunden von Anfang an genau erkennen können, ob das Kleidungsstück passt.

"ECOmmerce" nennt sich das Projekt, das Assyst zu diesem Ziel gerade entwickelt gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Textil- und Faserforschung (DITF) in Denkendorf bei Ingolstadt und der Avalution GmbH, die wie Assyst zur Unternehmensgruppe Human Solutions mit Sitz in Kaiserslautern gehört. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt finanziert das Projekt mit einem Budget von knapp 450 000 Euro. Ende 2020 sollen die Ergebnisse vorliegen, noch in diesem Jahr hofft Seidl, erste Demonstrations-Varianten präsentieren zu können. "Die Herausforderung war lange, ein Kleidungsstück am Bildschirm so realistisch abzubilden, dass es wie echt aussieht - mit der heutigen 3D-Technik ist das möglich", sagt Seidl.

Tatsächlich schmiegt sich der Rock auf Designerin Stempfhubers Bildschirm in verschiedenen Posen naturgetreu an die Knie der weiblichen 3D-Puppe. Vidya heißt das Programm, das Assyst dafür entwickelt hat. Das Besondere daran: Die 3D-Simulation, die der Kunde sieht, setzt sich direkt aus dem konkreten Schnittmuster in 2D zusammen. "Wenn ich zum Beispiel sehen möchte, wie eine Bluse mit längeren Ärmeln aussehen würde, muss ich den Stoff im Schnittmuster verlängern", erklärt Stempfhuber. Auch die Eigenschaften bei Faltenwurf, Glanz oder Beweglichkeit verändern sich, je nachdem, welcher Stoff zur Verwendung kommt. "Seide fällt eben anders als Baumwolle, das soll der Kunde auch sehen", sagt Seidl.

Damit der Online-Käufer nicht nur erkennen kann, wie eine Bluse oder Hose in Realität aussehen wird, sondern auch imstande sein soll, nachzuvollziehen, welche Größe ihm passt, geht ECOmmerce noch einen Schritt weiter. Der dritte Projektpartner, die Firma Avalution, hat in den vergangenen Jahren die nach eigenen Angaben weltgrößte Datenbank mit Bodyscans aufgebaut.

Unter dem Titel "Size Germany" fuhren Mitarbeiter mit einer Scan-Kabine durch die ganze Republik und vermaßen circa 14 000 Menschen im Alter zwischen sieben und 89 Jahren, wie Seidl erzählt, um die Bevölkerung Deutschlands repräsentativ abzubilden. Diese Daten sollen nun mit der 3D-Darstellung von Assyst verknüpft werden: Wenn sich ein Kunde etwa im Online-Shop eine Hose bestellen will, kann er das gewünschte Modell einem Avatar anziehen, der nach Körpergröße, Alter, Gewicht und Geschlecht auf seine persönliche Figur angepasst ist.

Eine Kostprobe ihrer 3D-Software gibt die Firma Assyst auf der Sportmesse Ispo, die vom 3. bis zum 6. Februar in München-Riem stattfindet.

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Quelle:
SZ vom 26.01.2019
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