Süddeutsche Zeitung

Leben mit Behinderung:Blind für Barrierefreiheit

Ausgerechnet bei der Nachbesetzung eines Sitzes im Inklusionsbeirat erlebt der sehbehinderte Unterschleißheimer Stadtrat Bernhard Schüßler Ausgrenzung.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Das Leben erzählt manchmal Geschichten, die kann man sich gar nicht ausdenken. In Unterschleißheim saßen letztens die Stadträte beisammen, um in geheimer Wahl einen vakanten Sitz in dem mit sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern besetzten Inklusionsbeirat zu vergeben. Und ausgerechnet bei der Wahl dieses Gremiums erlebte der fast blinde Stadtrat Bernhard Schüßler von den Grünen, wie leichtfertig Menschen mit körperlichen Einschränkungen von Beteiligung ausgeschlossen werden.

Denn der Stimmzettel war so gestaltet, dass Schüßler unmöglich abstimmen konnte. Es standen Namen darauf, und in Kästchen dahinter war ein Kreuz zu setzen. Weil das für jemanden, der praktisch nichts sieht, ein unmögliches Unterfangen ist, monierte Schüßler das Prozedere der Wahl der Beiratsmitglieder, die in Unterschleißheim übrigens regelmäßig mit großem Aufwand und Ernst vollzogen wird. Es ist ein demokratisches Ritual, das in besonderem Maße zeigt, wie die Stadt ihre Bürger einbezieht in ihre Arbeit. Und eins, bei dem regelmäßig zu erleben ist, wie sich CSU-Fraktionschef Stefan Krimmer ärgert, weil die Kandidaten von SPD und Grünen die Oberhand behalten.

Der junge Grünen-Stadtrat Bernhard Schüßler tritt bisher zurückhaltend auf. Er stelle keine Forderungen, sagt er ein paar Tage nach der Sitzung am Telefon, und ergänzt sogleich: "Wenn es keine politischen Forderungen sind." Die nach einem anderen Stimmzettel kam an. Er bekam flugs ein leeres Blatt in die Hand, auf das er den Namen seines Kandidaten schreiben konnte.

Auf einem Parteitag ist dem Grünen Ähnliches passiert

Dem Rathaus will Schüßler keinen Vorwurf machen. So etwas passiere leider allzu oft. Dass er den Stimmzettel im Stadtrat monierte, hatte ihm zufolge auch damit zu tun, dass ihm vor kurzem bei einem Grünen-Parteitag Ähnliches widerfahren war. Auch da war ihm eine Kandidatenliste vorgelegt worden, auf der er ein Kreuzchen machen hätte sollen. Die Frage war nur: wo? Dem Ganzen verlieh es natürlich eine besondere Note, weil es diesmal um den Inklusionsbeirat ging, in dem sich Schüßler zwei Jahre selbst dafür eingesetzt hatte, allen in der Stadt Teilhabe zu ermöglichen. In der Rückschau findet er, dass man dort "zu leise" und "zu angepasst" agiert habe. Als Stadtrat will er sich nun Gehör verschaffen: "Es ist ein Teil meiner Aufgabe, auf solche Sachen hinzuweisen." Bürgermeister Christoph Böck (SPD) gelobte jedenfalls für die Zukunft Besserung.

Bei der umkämpften Wahl setzte sich übrigens am Ende Veronika Kurz durch. Sie gehört weder der SPD oder den Grünen an noch der CSU, sondern der Freien Bürgerschaft. Wegen eines Patts bei der knappen Abstimmung entschied am Ende das Los.

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