Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis:Weiter warten auf die Spritze

Im Prinzip darf sich seit Montag jeder gegen Corona impfen lassen, tatsächlich aber sind in den vier Zentren im Landkreis frühestens in zwei Wochen Termine verfügbar. Mehr als 81 000 Einwohner sind schon angemeldet.

Von Sabine Wejsada

Der "Impfturbo" sollte längst geschmeidig laufen, doch er stottert nach wie vor ganz schön vor sich hin: Weil es nicht genügend Impfstoff gibt, um alle Willigen zu immunisieren, werden die Wartelisten in den Arztpraxen und Impfzentren immer länger. Allein im Landkreis München müssen sich laut Kreisbehörde womöglich mehr als 81 000 Bürger weiter gedulden, bis sie eine Einladung zur ersten Spritze über das Registrierungsportal Bayimco erhalten. Während am Montag in ganz Deutschland die Priorisierung aufgehoben worden ist, sich also alle unabhängig von Alter, Vorerkrankung, Risiken für einen schweren Verlauf oder Berufsstand um einen Termin bemühen können, hält Bayern bis auf Weiteres in den Impfzentren an den Prio-Regeln fest. Das gilt auch für die vier Impfstandorte im Landkreis.

Wie eine Sprecherin mitteilt, haben an den vier Standorten in Haar, Oberhaching, Planegg und Unterschleißheim alle anderen so lange keine Chance, bis alle Angemeldeten aus den Prioritätsgruppen eins bis drei einen Termin erhalten haben, "da die Gründe für die Priorisierung ja nach wie vor gültig sind". Erst danach bekämen Impfwillige aus der Gruppe vier eine automatisierte Einladung nach Anmeldereihenfolge. Auf diese Weise solle für jedes Impfzentrum sichergestellt werden, dass zunächst alle mit höherer Priorität geimpft würden, so die Sprecherin.

Aufgeschlüsselt für den Landkreis München, warten aktuell noch 243 Impfwillige der Gruppe eins auf eine Immunisierung, hinzu 3619 Menschen zwischen 70 und 79 Jahren. In der Gruppe drei sind laut Landratsamt 34 781 und in der vierten Gruppe 42 555 Landkreisbürger im Wartestand. Diese Zahlen seien jedoch mit Vorsicht zu behandeln, denn sie spiegelten die registrierten Accounts im Bayern-Portal wider, "die nicht zwingend mit der Anzahl der noch wartenden Personen übereinstimmen". Die Kreisbehörde geht davon aus, dass in der Statistik auch Dubletten, Karteileichen, Verstorbene, Familien-Verbünde und Ähnliches enthalten sind. Derartige Dopplungen können entstehen, wenn sich etwa jemand auf Bayimco registriert hat, zwischenzeitlich aber beim Hausarzt geimpft worden ist und seinen Account nicht gelöscht hat und deswegen weiter als Impfwilliger gelistet ist. Das Landratsamt bittet eindringlich darum, in solchen Fällen die zentrale Registrierung eigenhändig zu löschen. Nur so sei garantiert, "dass alle Registrierten, die auf einen Impftermin warten, diesen auch baldmöglichst erhalten".

Im Landkreis sind die Wartelisten für die beiden höheren Prio-Gruppen schon einmal kürzer gewesen, derzeit verzeichne man leicht steigende Zahlen, so die Sprecherin. Erklären lasse sich das durch Neuanmeldungen: Angesichts der Erleichterung für Geimpfte etwa bei Reisen entscheiden sich mehr Menschen nun doch für die Spritze. Hinzu kommen aber auch Menschen, die inzwischen die Altersgrenzen überschritten haben oder bei denen neuerdings Vorerkrankung aufgetreten sind. Hinzu kommen Genesene, die sich laut ärztlicher Empfehlung frühestens sechs Monate nach einer überstandenen Coronavirus-Infektion immunisieren lassen sollen und sich nun registriert haben.

Ob mit oder ohne Priorisierung - letzten Endes entscheidet aber nur ein Faktor über den Zeitpunkt, wann wer eine Spritze gegen das Coronavirus erhalten wird: der Vorrat an Impfstoff. Dass dieser im Landkreis weiterhin Mangelware ist, zeigt nicht nur der Blick auf die täglich veröffentlichte Impfstatistik: Seit Sonntag wurden nur 895 Erstimpfungen gesetzt, dafür aber 2158 Zweitimpfungen. Wie überall im Freistaat liegt der Fokus derzeit in den Impfzentren und auch in den Praxen auf der Vervollständigung der Immunisierung. Erst in zwei Wochen, also zwischen 21. und 27. Juni, sollen in den Impfzentren aller Voraussicht nach wieder Erstimpfungen möglich sein. Allerdings hat das Landratsamt derzeit nach eigenen Angaben keine näheren Informationen darüber, wann der Landkreis wieder Impfstoff bekommen soll und wie groß die Liefermenge sein wird, so die Sprecherin.

Für Friedrich Kiener, Hausarzt und Leiter des Impfzentrums in Unterschleißheim, ist die Kombination aus einer Aufhebung der Priorisierung und dem steten Mangel an Impfstoff mehr als fragwürdig. "Die Verärgerung bei den Patienten ist groß", sagt Kiener. In den Praxen gebe es seit Wochen viele Diskussionen mit Angehörigen der Prio-Gruppe drei und im Impfzentrum habe er für die nächste Zeit das achtköpfige Ärzte-Team auf zwei bis drei Kollegen reduzieren müssen. Dort herrsche nun "quasi Kurzarbeit, weil wir keine Vakzine haben". Der Mediziner kreidet der Politik an, dass sie "Dinge verspricht, die nicht zu halten sind". Dass die Hausärzte "wieder einmal den Ausputzer spielen müssen", sei man bei der stolpernden Impfkampagne ja seit Ende Dezember gewohnt.

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SZ vom 08.06.2021/hilb
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