Im Amt:Die Grenzen des Machbaren

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Auch im Neubiberger Rathaus haben die Mitarbeiter immer mehr zu tun. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Verwaltungen in den Rathäusern des Landkreises haben mit immer mehr Vorschriften zu kämpfen. Ohne Fachkräfte und Juristen kann die ständig wachsende Bürokratisierung kaum bewältigt werden

Von Daniela Bode Und Bernhard Lohr, Landkreis

Längst hat im Haarer Rathaus das Stühlerücken begonnen. Letzte freie Ecken werden gesucht, um Mitarbeitern einen Arbeitsplatz zu bieten. Mittlerweile wird sogar darüber nachgedacht, das im Jahr 2010 wegen gestiegener Verwaltungsaufgaben erst um 17 Büros erweiterte Rathaus erneut zu vergrößern. Nach dem Umzug des Seniorenheims direkt gegenüber könnten dort bald Verwaltungsangestellte sitzen. Für Haar gilt wie für die anderen Rathäuser im florierenden Münchner Umland: Es gibt immer mehr zu tun. Es wird geplant, gebaut und alles getan, um den Zuwachs organisiert zu bekommen. Dazu kommen Klagen über mehr und mehr Bürokratie in den Amtsstuben.

Der Kampf mit dem Papier frisst Arbeitszeit auf

Die sind nicht ganz neu. Gemeindetagspräsident Uwe Brandl, der selbst in Abensberg Bürgermeister ist, verschafft sich alle paar Jahre Luft und schickt einen Warnruf hinaus ins Land, dass die Bürokratie den Beschäftigten in den Rathäusern das Leben erschwere. Vor allem kleine Verwaltungen täten sich schwer, den Überblick über Vorschriften und Spezialnormen zu behalten. Der Kampf mit dem Papier fresse einen erheblichen Teil der Arbeitszeit auf, gab Brandl direkt nach der Kommunalwahl 2014 den neuen Verantwortlichen in den Rathäusern mit auf den Weg.

Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) kam damals ins Amt und weiß mittlerweile zu gut, was Brandl meinte. Als sie kürzlich im Gemeinderat die zunehmende Bürokratie ansprach und mehr beiläufig ankündigte, darüber nachzudenken, eigens einen Fachmann für Auftragsvergaben und EU-Ausschreibungen in die Verwaltung zu holen, merkten einige Gemeinderäte auf. Müller sprach die steigenden Personalkosten wegen fünf neuer Stellen an und zweifelte an, dass bei dem Mehraufwand für den Bürger etwas herauskommt. Antonius van Lier (FWG) forderte jüngst, an übergeordneter Stelle die Bürokratie "dringendst" abzubauen. Mike Seckinger (Grüne) macht gar ein gesellschaftliches Problem aus. Er rief die Menschen dazu auf, "in einen anderen Modus" zu kommen. Die vielen Vorschriften lenkten nur von den zentralen Fragen des Zusammenlebens in den Kommunen ab.

Das Gebäudemanagement wird professionalisiert und bindet Personal, Brandschutz wird systematisiert. Neuerdings werden Feuerwehrbedarfspläne aufgestellt und fortgeschrieben. Datenschutzbeauftragte sind zu bestellen und Beauftragte für Informationssicherheit. Ob es um Verkehr, Schulentwicklung oder Einzelhandel geht: Überall stehen Veränderungen an und neue Bestimmungen sind umzusetzen. Gutachten werden erstellt. Die Ergebnisse müssen ausgewertet und in Verwaltungshandeln umgesetzt werden. Von einem regelrechten Systemwechsel in den Kämmereien der Rathäuser ist die Rede, weil bis Ende 2020 Leistungen der Kommunen künftig dem Umsatzsteuerrecht unterliegen. Plötzlich steht die Frage im Raum, ob die Gemeinde Haar die Volkshochschule noch über ihre Telefonanlage laufen lassen darf, oder ob das eine umsatzsteuerpflichtige Leistung ist.

Wenn man einen formalen Fehler macht, kann es sein, dass einer dagegen klagt

Die Entwicklung kennt man auch in Garching, wo es bald eine Steuerfachkraft geben wird, die sich mit dem Umsatzsteuer-problem auseinandersetzt. Einen Bereichsleiter für Gebäudeunterhalt hat man in der Stadtverwaltung neuerdings auch. In Neubiberg bereiten wie in Haar die aufwendigen Ausschreibungen Kopfzerbrechen. Bürgermeister Günter Heyland (Freie Wähler) bestätigt, dass dadurch die Verwaltung immer mehr beansprucht wird. "Das hängt auch mit den Regelungen auf europäischer Ebene zusammen", sagt er. Das Knifflige sei es zudem, so auszuschreiben, dass man am Ende das bekomme, was man wolle, aber keinen Anbieter auf dem Markt benachteilige. "Wenn man einen formalen Fehler macht, kann es sein, dass einer dagegen klagt und man muss noch einmal bei Null anfangen", sagt er. Als die Gemeinde an der Ausschreibung für den Kunstrasenplatz im Sportzentrum an der Zwergerstraße arbeitete, ging durch die Presse, dass es Produkte beim Granulat gebe, die gesundheitsschädlich sind. Für die Gemeinde war klar, dass sie ein solches Produkt nicht haben wolle und der Planer sollte es entsprechend ausschreiben. "Dagegen hat dann eine Firma, die Kunstrasenplätze vertreibt, Widerspruch eingelegt und die Regierung von Oberbayern hat uns gerügt", sagt Heyland.

Die Gemeinde hätte ihre Ausschreibung also nicht so konkret formulieren dürfen. Die Verwaltung musste dann tatsächlich noch einmal neu ausschreiben. "Es ist dann gut ausgegangen, aber wir brauchten eben zwei Anläufe", sagt Heyland. So etwas bedeutet Arbeit und kostet Zeit. Um von vornherein zu wissen, welche Fallstricke es gibt, brauchen die Gemeinden Gutachter, spezialisierte Fachplaner und Juristen. Ohne externes Personal, das etwa der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum anbietet, funktioniert nur noch wenig.

Wilfried Schober, Geschäftsführer des Bayerischen Gemeindetags, beobachtet den Trend mit Sorge. "In Deutschland gibt es nichts, was nicht geregelt ist", sagt er. Schober macht aber zumindest in der Bayerischen Staatskanzlei ein Problembewusstsein aus. Ein Meilenstein war für ihn, als Staatskanzleichef Marcel Huber die Proteste von Vereinen registrierte, die aufgrund der vielen Vorschriften Traditionen wie das Maibaumaufstellen in Gefahr sahen. Daraufhin habe man zügig eine Vereinfachung erreicht, sagt Schober. Eine fest installierte Normenprüfstelle in der Staatskanzlei sei bei den Landtagsabgeordneten berüchtigt, weil sie vieles verhindert habe. "Wir hätten wahrscheinlich in Bayern viel mehr Vorschriften", sagt Schober. Aber es gibt eben nicht nur den bayerischen Gesetzgeber. Schober sagt nur: EU-Datenschutzgrundverordnung.

"Wachsende, lähmende Angst"

Wer das Wort in eine Internet-Suchmaschine eingibt, sieht, dass diese Verordnung, die im Mai 2018 in Kraft treten wird, viele jetzt schon beschäftigt. "Was Sie beachten müssen", ist zu lesen. "Es gibt viel zu tun", und: "Sind Sie darauf vorbereitet?" Die Verordnung unternimmt laut Schober den durchaus sinnvollen Versuch, das Datenschutzrecht in Europa zu vereinheitlichen. Doch genau dieser weit gefasste Rahmen ist das Problem. Denn die Kommunen müssen laut Schober erst herausfinden, was für sie von Bedeutung ist. "Welche der 100 Vorschriften betreffen uns?" Zudem seien der bayerische und der bundesdeutsche Gesetzgeber bei dem Spiel nicht raus. Durch Öffnungsklauseln lasse die EU-Verordnung diesen auch die Möglichkeit, Dinge separat zu regeln.

Hier die Verfügbarkeit von Daten und die berechtigte Forderung der Bürger nach Transparenz - und dort die vielen Fallstricke. Wilfried Schober registriert eine wachsende, lähmende Angst in Verwaltungen, Fehler zu machen. Und er sieht die Gefahr, dass auch eine gelungene Vereinfachung wie bei den Bestimmungen für Brauchtumsfeste nur solange Bestand haben, bis jemand in einem Streitfall ein Gericht anruft und neue Fakten schafft oder Fragen aufwirft, die wieder neu in Bestimmungen geregelt werden müssen.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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