Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Laptops und Lehrer-Fortbildungen

SPD und Grüne sorgen sich um die Bildungsgerechtigkeit. Weil der Erfolg des Home-Schoolings stark von den Mitteln der Eltern und den IT-Kenntnissen der Pädagogen abhängt, soll der Freistaat Kinder mit Hardware ausstatten und Schulungen zur Pflicht machen.

Von Stefan Galler und Iris Hilberth

Kinder, Eltern und Lehrer werden sich wohl noch lange an dieses außergewöhnlichen Schuljahr erinnern. Der Unterricht hat im zweiten Halbjahr bislang in den meisten Jahrgangsstufen praktisch nur zu Hause stattgefunden, Regelungen über das Vorrücken in die nächste Klasse wurden ausgesetzt. Nicht alle sind mit dem Krisenmanagement von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) zufrieden, Kritiker monieren, dass die Familien mit der belastenden Situation alleine gelassen werden. SPD und Grüne im Landkreis haben das Thema jetzt in Veranstaltungen aufgegriffen. Der Grundtenor war bei beiden Diskussionen ähnlich: Um die soziale Spaltung in der Bildung nicht noch weiter zu vergrößern, müsse die Digitalisierung vorangetrieben werden. Dazu gehöre die Ausstattung von Schülern mit Hardware ebenso wie Fortbildungen für Lehrer.

So forderte der Ismaninger SPD-Bürgermeister Alexander Greulich bei einer vom Kreisvorsitzenden Florian Schardt moderierten Online-Runde das Kultusministerium auf, "endlich ein echtes Konzept" für die Bildung in Bayern vorzulegen. Derzeit hänge zu viel von der finanziellen Ausstattung der Kommunen ab: "Wir sind in der glücklichen Lage, es uns leisten zu können, etwa die Hardware für den digitalen Unterricht zu beschaffen. Aber es kann doch nicht sein, dass Bildung in einer Gemeinde vom Gewerbesteueraufkommen abhängt."

SPD-Landeschefin Natascha Kohnen schlug in die gleiche Kerbe: "Kultusminister Piazolo will ein Konzept vorlegen und das muss er auch", sagte die Neubibergerin. Die Sozialdemokraten sorgten sich vor allem darüber, dass die soziale Schere noch weiter auseinanderklaffe, wenn in manchen Haushalten ein Smartphone das einzige digitale Endgerät ist, auf das die ganze Familie Zugriff hat. "Wir laufen hier Gefahr, eine riesige soziale Spaltung zu bekommen", so Kohnen.

Genau das befürchten die Grünen auch. Die Wochen ohne Betreuung zementierten Bildungsungerechtigkeit, stellten Kommunalpolitiker aus Unterhaching und Umgebung bei einem Online-Gespräch mit Landtagsabgeordneten fest. Sie waren sich einig: "Kinder, die weniger zu Hause gefördert werden, holen das Versäumte nicht mehr auf. Es folgen Probleme über die ganze Bildungskarriere."

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Bela Bach berichtete von den Maßnahmen der großen Koalition, dieser Spaltung entgegenzuwirken: Alleine 500 Millionen Euro würde die Regierung zur Verfügung stellen für Schüler ohne digitale Endgeräte. "Das ist der größte Punkt, wenn es um Bildungsgerechtigkeit geht", so Bach, die sich auch im Landkreis München für dieses Thema stark macht: Zusammen mit dem AWO-Kreisverband sammelt sie ausrangierte Laptops und Tablets, um sie bedürftigen Kindern zur Verfügung zu stellen. "180 sind laut einer aktuellen Erhebung nötig, 70 haben wir schon gesammelt, zehn weitere haben wir in Aussicht." Freiwillige Helfer setzen die Geräte neu auf, dann werden sie an die Schulen weitergegeben. Die SPD-Kreistagsfraktion hat beantragt, dass der Landkreis einen Zuschuss von 150 Euro pro Kind für die Beschaffung von Laptops gewährt. Gefördert werden sollen Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien, die über keinen eigenen Computer verfügen. Dennoch dürfe sich "der Freistaat bei der Bildung nicht aus der Verantwortung stehlen, es gibt nun einmal einen staatlichen Bildungsauftrag", so Bela Bach.

1,5 Millionen Euro erhält der Landkreis München von den etwa 75 Millionen, die vom Bund an den Freistaat Bayern fließen. "Ein guter erster Schritt", sagen die Grünen-Landtagsabgeordneten Claudia Köhler und Markus Büchler. Damit digitale Bildung dauerhaft gelinge, müsse der Freistaat endlich die Kommunen und Schulen bei der Systemadministration unterstützen. Denn mehr Geräte bedeuteten auch viel mehr Aufwand bei Wartung und Pflege. Doch auch wenn das Geld bereits da ist, heißt das nicht, dass die Schüler alsbald die neuen Rechner in Empfang nehmen können. Wie die Geschäftsführerin des Zweckverbands des Ernst-Mach-Gymnasiums Haar, Elke Heiß, diese Woche in einer Sitzung erläuterte, muss der Kauf der Geräte europaweit ausgeschrieben werden, was die Sache nicht nur verkompliziere, sondern auch verzögere. Die Landkreis-Grünen fordern in einer Mitte Juni verabschiedeten Resolution für finanziell schwächere Familien unbürokratischen Zugang zu notwendiger Hard- und Software.

Bei SPD und Grünen kamen auch Betroffene zu Wort, die ihre Erfahrungen aus der monatelangen Schließung der Schulen teilten. "Die Motivation bei den Lehrern war schwach, in drei Monaten hatten wir nur drei Online-Stunden", sagte etwa Korbinian Harlander, Elftklässler am Gymnasium Kirchheim. Auch ist das Unterrichtstool Mebis laut dem Schüler "recht benutzerunfreundlich".

Antje Zeisler, Direktorin der Grundschule an der Camerloherstraße in Ismaning, unterstrich, dass der sporadisch eingesetzte Unterricht über das Internet weniger an der Motivation der Lehrer gelegen habe: "Da fehlt es an Fortbildungen und auch an eindeutigen Vorgaben, welche Tools man benutzen kann." Natascha Kohnen erwiderte, dass genau darauf eine zentrale Forderung der SPD abziele: "Jeder Lehrer muss mindestens eine Woche im Jahr eine digitale Fortbildung absolvieren."

Eine "Aus- und Fordbildungsoffensive für Lehrkräfte und Lehramtsstudierende in der digitalen Bildung" halten auch die Grünen für dringend notwendig. Hier müssten die Bedürfnisse von Jüngeren und Familien in den Fokus. "Es ist nicht nur das Endgerät", berichtete Beate Gsänger, Gemeinderätin in Unterhaching und Gymnasiallehrerin in Neuperlach. Probleme hatte sie bei den jüngeren Schülern bis zur siebten Klasse festgestellt, aber auch bei den Lehrkräften. "Da brauchen wir eine Professionalisierung", sagte sie. Die Situation sei so unterschiedlich gewesen wie die Schüler und hänge auch von der Bildungsmotivation im Elternhaus ab. Es habe Einzelne gegeben, die sich gar nicht gemeldet hätten, "da war es schwierig, die einzufangen". Wer vorher schon Schwierigkeiten hatte, sei durch Home-Schooling auf der Standspur geblieben.

Gsänger ist aber auch davon überzeugt, dass es nicht reicht, nur Arbeitsaufträge hin- und herzuschicken. Sie sei daher schnell dazu übergegangen, Video-Konferenzen einzuführen. Ausgesprochen wichtig sei das Feedback, das habe sie auch bei ihren eigenen Kindern, sechste und achte Klasse am Gymnasium Unterhaching, festgestellt. Derzeit gebe es das Problem, dass nicht benotet werde. "Viele haben das Bedürfnis, eine gewisse Verpflichtung zu sehen." Für das kommende Schuljahr plant ihre Schule derzeit mit beiden Szenarien: Präsenzunterricht für alle sowie weiterhin geteilte Klassen mit Home-Schooling. Dann würde sie sich ein Live-Streaming wünschen. Dafür fehlten jedoch die technischen Möglichkeiten.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2020/hilb
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