Demokratie:Erwachsene sind auch nicht informierter

Demokratie: Viele Jugendliche engagieren sich politisch - wie etwa bei den Fridays-for-Future- Demonstrationen für Klimaschutz; wählen dürfen sie aber noch nicht.

Viele Jugendliche engagieren sich politisch - wie etwa bei den Fridays-for-Future- Demonstrationen für Klimaschutz; wählen dürfen sie aber noch nicht.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Der Politikwissenschaftler Martin Gross plädiert bei einer Diskussion in Hohenbrunn für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre - und entkräftet das Gegenargument auf überraschende Weise.

Von Hannah Wilholt, Hohenbrunn

Können 16-Jährige schon eine fundierte politische Entscheidung treffen? Das ist die Kernfrage in der Debatte über das Wählen ab 16, die auch am Dienstagabend im Café Hohenbrunn heiß diskutiert wurde. Mit von der Partie war neben den Gemeinderäten Manfred Haucke und Andreas Schlick vom Hohenbrunner Bürgerforum, das das Treffen organisiert hatte, auch der Politikwissenschaftler Martin Gross, der vertretungsweise den Lehrstuhl für politische Systeme und europäische Integration an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) innehat.

Durch das Internet, die schnellere Daten- und Wissensbeschaffung und Bewegungen wie Fridays for Future hat sich das politische Bild der Jugendlichen in Deutschland stark verändert, seit das Wahlalter 1970 von 21 auf 18 herabgesenkt wurde. Seitdem ist die politische Beteiligung deutlich gestiegen und das Interesse nicht mehr nur auf Deutschland bezogen und diversifizierter geworden, wie Gross anmerkte. Zudem erklärte er, dass politische Teilhabe mehr vom Bildungsstand als vom Alter abhängt und dass "das politische Wissen von 16- und 17-Jährigen sich nicht von dem der 18- und 19-Jährigen unterscheidet".

Demokratie: Professor Martin Gross (hinten rechts) diskutierte auf Einladung des Bürgerforums über die Absenkung des Wahlalters.

Professor Martin Gross (hinten rechts) diskutierte auf Einladung des Bürgerforums über die Absenkung des Wahlalters.

(Foto: Claus Schunk)

Von der Gegenseite wird trotzdem immer wieder argumentiert, dass die Jugendlichen zu uninformiert seien und die Hälfte von ihnen nicht einmal wisse, was die Erst- und was die Zweitstimme ist. Doch Gross zufolge kommt man bei der Befragung der Gesamtbevölkerung zu dem Thema auf dasselbe Ergebnis. Generell stellt er in Frage, "warum wir von 16-Jährigen politisches Interesse verlangen, von 43-Jährigen aber nicht".

Der örtliche JU-Chef widerspricht

Auch Christine Himmelberg, die stellvertretende Vorsitzende der Jungsozialisten im Landkreis München, hält das für ein "vorgeschobenes Argument". Es sei die Pflicht der Schulen und der Politik, die Jugendlichen zu informieren und nicht nur "fertige kleine Arbeiterinnen und Arbeiter auszuspucken". Anders sieht das jedoch der Vorsitzende der Jungen Union in Hohenbrunn-Riemerling, Kilian Fritzmaier. Er findet, "dass 18 ein gutes Alter zum Wählen ist". Seiner Meinung nach ist ein 18-Jähriger schon reifer und kann sich seine Meinung besser und fundierter bilden.

Die Forschung hat ergeben, dass junge Erwachsene, die noch zu Hause wohnen oder studieren, oft ein größeres Interesse an Politik aufweisen als solche, die eine Ausbildung absolvieren, erklärt Gross. Zurückzuführen sei das auf Zeitmangel und anderweitigen Stress. Auch um eine Spaltung in diese zwei Gruppen zu verhindern, spricht sich der Politikwissenschaftler für eine Herabsenkung des Wahlalters aus. Die meisten anderen Teilnehmer des Abends in Hohenbrunn pflichteten ihm bei. Manfred Haucke merkte dazu an, dass die Politik, die jetzt gemacht wird, die Jugendlichen deutlich mehr betrifft als die, die schon wählen dürfen, insbesondere was Klimapolitik oder die Wehrpflicht angeht.

In Österreich, Brasilien, Ecuador, Nicaragua, Argentinien und Kuba darf man zwar schon ab 16 wählen, trotzdem beeinflusst diese Wählergruppe das politische Bild der Länder kaum. Gross zufolge bestehen höchstens zwei bis drei Prozent der Wahlprogramme der Parteien aus Themen, die spezifisch für die Jugend interessant sind. Im Nachbarland Österreich gingen junge Erwachsenen früher in die Politik, wodurch sich die Parteien ihren Nachwuchs sichern. Auch in Deutschland können manche Jugendliche die politische Landschaft zumindest auf Landesebene mitbestimmen: In Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ist das Wahlalter bei Landtagswahlen bereits abgesenkt. Außerdem dürfen bei der Europawahl nächstes Jahr alle 16- und 17-Jährigen aus der Europäischen Union ihre Stimme abgeben.

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