Hohenbrunn:Bürgerbeteiligung statt Konzept

Hohenbrunn: Seit Jahrzehnten wird in Hohenbrunn über eine Bebauung westlich der Bahnlinie (auf dem Luftbild oberhalb des Orts) diskutiert. Auf Betreiben der CSU startet die Gemeinde jetzt eine Bürgerbeteiligung. Dabei gibt es bislang gar kein Konzept.

Seit Jahrzehnten wird in Hohenbrunn über eine Bebauung westlich der Bahnlinie (auf dem Luftbild oberhalb des Orts) diskutiert. Auf Betreiben der CSU startet die Gemeinde jetzt eine Bürgerbeteiligung. Dabei gibt es bislang gar kein Konzept.

(Foto: Claus Schunk)

Freie Wähler, SPD und Grüne werfen der CSU vor, sich in der Diskussion um eine Wohnbebauung westlich der Bahnlinie in Hohenbrunn aus der Verantwortung zu stehlen

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

Wenn die Leute Neuperlach hören, haben sie gleich ein Klischee im Kopf: sozialer Brennpunkt zwischen hässlichen Betonklötzen. Die Siedlung entstand Anfang der Siebzigerjahre. Etwa zur gleichen Zeit begannen die Überlegungen, auch in Hohenbrunn zu bauen, nämlich westlich der Bahn. Fast 50 Jahre später ist der Gemeinderat immer noch zu keinem Schluss gekommen. Wohl auch aus Angst vor diesem Schreckgespenst Neuperlach, vor einem Aufstand der Bürger, die um ihre Lebensqualität fürchten.

Gleichzeitig steigen in der Region rund um München die Mieten. Auch in Hohenbrunn muss man heute für eine Wohnung pro Quadratmeter etwa fünf Euro mehr zahlen als noch vor sechs Jahren. Wer in der Gemeinde eine Doppelhaushälfte mit Gärtchen sucht, findet momentan gerade mal zwei Angebote. In einem Fall geht es um eine sanierungsbedürftige Doppelhaushälfte für fast eine Million Euro. Wo sollen also in Zukunft Erzieher, Verkäufer, Altenpfleger wohnen? Obwohl sich dieses Problem in Zukunft wohl noch verschärft, geht der Gemeinderat das Projekt Wohnbebauung westlich der Bahn gemächlich an. Vor zwei Jahren einigte sich der Gemeinderat auf die maximal vage Formulierung, dass er "Chancen einer Bebauung" sieht. Vor ein paar Wochen beschloss er, die Bürger einzubinden. In welcher Form ist unklar. Was sich der Gemeinderat an der Stelle konkret vorstellt, auch. Einfamilienhäuser? Oder Wohnungen? Wie soll der Bahnhof aussehen? Soll es ein Bürgerhaus geben? Gewerbe?

Dem Gemeinderat Karl-Heinz Vogelsang von den Freien Wählern geht die ganze Diskussion zu langsam. Er fürchtet, dass eine Bürgerbeteiligung mehr Ängste schürt als sie ausräumt, wenn sich der Gemeinderat zuvor nicht über die groben Vorstellungen geeinigt hat. Auch die Grünen-Gemeinderätin Martina Kreder-Strugalla sieht ein Risiko, dass die Beteiligung schief gehen könnte, wenn sie nicht gut vorbereitet ist. Und Regina Wenzel von der SPD kritisiert, dass sich alles in die Länge ziehe. "Ich möchte jetzt nicht mit Schuldzuweisungen anfangen. Aber vielleicht ist einfach der Wille für eine Bebauung nicht da."

Den Antrag auf eine Bürgerbeteiligung stellte die CSU. Letztlich stimmte eine Mehrheit zu, auch wenn sich Freie Wähler, Grüne und SPD ärgerten. In einer Klausurtagung vor einem Jahr habe sich der Gemeinderat bereits geeinigt, die Bürger einzubeziehen, sagt Martina Kreder-Strugalla. "Wir haben uns die ganze Zeit gefragt, wann der Bürgermeister das Thema auf die Tagesordnung setzt." Doch es sei nichts passiert. Fast ein Jahr lang sprach der Gemeinderat nicht mehr über das Thema. Bis die CSU im September die Bürgerbeteiligung beantragte.

Das Problem, das die Fraktionen nun haben: Würde sich jemand klar gegen die Bürgerbeteiligung aussprechen, würde er wie ein Kommunalpolitiker aus dem vergangenen Jahrtausend wirken. "Aber der Gemeinderat ist doch dafür verantwortlich, einen Rahmen vorzugeben, den Bürgern ein Bild aufzuzeigen", sagt Vogelsang. Auch Regina Wenzel findet: "Wir haben eine funktionierende Verwaltung, einen Bürgermeister und einen Gemeinderat. Klar ist es schwierig, eine Entscheidung zu treffen. Aber wir waren auf einem guten Weg." Zum Beispiel hat der Gemeinderat verschiedene Verkehrsgutachten für eine Umgehungsstraße in Auftrag gegeben. Am Ende verwarf der Gemeinderat alle Trassen - bis auf zwei. Die eine liegt näher, die andere weiter entfernt von einer Bebauung westlich der Bahn. "Wenn wir das jetzt alles wieder völlig offen lassen, frage ich mich: Was haben wir eigentlich die vergangenen fünf Jahre gemacht?", fragt Vogelsang. Und vielleicht, meint Kreder-Strugalla, bräuchte Bürgermeister Stefan Straßmair (CSU) auch etwas mehr Mut zur Ehrlichkeit. Denn aus ihrer Sicht würde keine der geplanten Trassen die Entlastung bringen, die den Bürgern all die Jahre versprochen wurde.

Straßmair gibt sich derzeit als Vorreiter für Bürgerbeteiligung und Transparenz, obwohl er für beides in der Vergangenheit nicht gerade bekannt war: "Ich halte es für falsch, den Bürgern ein fertiges Konzept vorzulegen, dass wir im stillen Kämmerlein beschlossen haben." Doch das ist gar nicht das, was Vogelsang will. Er würde sich nur etwas mehr Struktur wünschen und glaubt, dass die Bürgerbeteiligung in diesem Fall in Wahrheit nur einen Zweck hat: Verantwortung abzuschieben. Die CSU sei sich selbst nicht sicher, was sie eigentlich will und könne sich so um eine klare Haltung drücken. Tatsächlich räumt CSU-Fraktionsvorsitzender Anton Fritzmair ein: "Wir haben noch keine abschließende Meinung gebildet." Es gebe aber keine grundsätzliche Ablehnung.

Der Bürgermeister ist sich indes sicher: "Die Verärgerung kommt daher, weil den Antrag die CSU gestellt hat, und die anderen nicht darauf gekommen sind."

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