Hohenbrunn:Alltagspoesie mit Nachhall

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Was Antonia Lunemann beschäftigt, bringt sie beim Poetry Slam auf die Bühne. Sie will dem Publikum zu denken geben

Von Laura Zwerger, Hohenbrunn

Wenn sie auf die Bühne geht, dann wird sie davor ganz ruhig, konzentriert sich nur noch auf ihren Text - und auf die Botschaft, die sie damit ausdrücken möchte. "Letztens haben sogar zwei Leute aus dem Publikum geweint", erzählt Antonia Lunemann. Die Studentin an der Münchner Schauspielschule "Zerboni" steht oft auf bayerischen Bühnen und reist von ihrer Heimatgemeinde Hohenbrunn aus immer wieder bis nach Rosenheim oder Regensburg, um dort bei Poetry Slams anzutreten. "Dass die Leute dabei weinen, ist nicht mein Ziel - aber es freut mich, wenn meine Texte emotional ankommen", sagt die 21-Jährige.

Bei einem Poetry Slam, sozusagen einem Wettbewerb unter Dichtern, treten mehrere Poeten gegeneinander an und tragen ihre selbstgeschriebenen Texte vor. Nach jeder Runde entscheidet der Applaus, wer zu den Finalisten gehört und letztendlich auf dem Siegertreppchen steht. Auch Lunemann hat dabei schon einige Siege verbuchen können, darunter beispielsweise beim Poetry Slam "Reimrausch" in Wolfratshausen, bei dem sie in diesem Jahr den ersten Platz gewann.

Poetry-Slams sind mittlerweile sogar so beliebt, dass in bekannten Slam-Etablissements wie der Bar "Substanz" in München die Poeten nur auf explizite Einladung des Veranstalters hin ausgesucht werden. Auch Lunemann durfte Anfang Oktober zum ersten Mal auf der traditionsreichen Bühne stehen.

Seit einem Jahr trägt die Hohenbrunnerin mittlerweile ihre Lyrik in verschiedenen Städten und Bars vor, teils sogar bis zu drei Mal die Woche. Sie war schon immer von den gerappten Texten in Hip-Hop-Liedern beeindruckt, Poetry Slam sei so ähnlich, sagt sie, "nur eben ohne Musik." Vor mehr als einem Jahr haben sie dann Freunde mit zu einem Poetry Slam genommen, wenige Wochen später stand Lunemann schon selbst auf der Bühne.

Was die Poeten bei einem Slam vortragen, ist ihnen meist selbst überlassen. Häufig sorgen die Texte für Lacher im Publikum; Lunemann setzt jedoch auf ernsthaftere Texte, in denen sie Luxusprobleme, die Gleichgültigkeit oder auch die Reizüberflutung in unserer modernen Gesellschaft hinterfragt. Inspiration schöpft die 21-Jährige oft aus ihrem eigenen Leben, viele ihrer Gedanken hält sie in ihrem Tagebuch fest. Über sich selbst und ihr Umfeld gibt sie dadurch dann häufig viel preis.

In einem Text prangert die junge Poetin beispielsweise an, welche Reaktionen und Vorurteile sie während ihrer Schulzeit an der Montessorischule in Hohenbrunn erlebt hat. Sie selbst und ihr bester Freund, der das Down-Syndrom hat, seien immer wieder mit Aussagen konfrontiert worden, die ihr bis heute bitter aufstoßen. In dem Text "Ich rauche nicht, ich paffe!" etwa macht Lunemann das zum Thema und greift die Unbedachtsamkeit mancher Menschen auf. Dort heißt es: "Weißt du, ich glaube, ich hab noch so zu denen gehört, die sich jeden Tag aufs Neue dachten: Check, Schule, wird'n guter Tag! Und dann kamst du ums Eck und hast mich ernsthaft, ohne einmal nachzudenken, gefragt, ob auf 'ner Montessori-Schule nicht nur Behinderte rumlaufen, die sich Leinenhosen kaufen, ihren Namen tanzen und den ganzen Tag statt Unterricht nur Blümchen pflanzen. Aber im Nebensatz dann, mit Behinderten meine ich ja keine Behinderten, also keinen Mongo oder Spast oder so."

Die junge Poetin möchte durch ihre persönlichen Inhalte das Publikum tiefergehend erreichen, sagt sie. "Ich möchte gerne etwas mitgeben, woran man am Abend noch zurückdenkt." Auch sie denke oft noch über die Texte der anderen Dichter nach, wenn sie von einem Slam nach Hause komme, erzählt Lunemann.

Gerade weil sie in ihren Texten gerne kritische Themen aufgreift, braucht die Hohenbrunnerin viel Fingerspitzengefühl. Besonders bei ihrem Text über die Reaktionen gegenüber Menschen mit Behinderung sei sie sehr behutsam vorgegangen, erzählt sie. "Ich habe davor mit meinem besten Freund und seiner Familie über den Text und die geplanten Auftritte geredet", sagt Lunemann. "Sie fanden es aber sehr gut, da ich ihn ja positiv darstelle und ihn nicht in irgendeiner Weise angehe." Um besonders bei sensiblen Themen die richtigen Aussagen zu finden und diese auch in die passenden Wort zu kleiden, steckt Lunemann viel Mühe in jede einzelne Zeile ihrer Gedichte: Steht das Grundgerüst, nimmt sie ihren gesprochenen Text auf und hört ihn sich wieder und wieder an - bis auch wirklich jedes Wort seine Berechtigung hat. Bevor sie ihre Texte auf großer Bühne vorträgt, zeigt sie das Geschriebene außerdem erst ihrer Mutter und engen Freunden. "Sie sagen mir dann, was gut ist und was ich noch ausbauen soll", erzählt die junge Poetin. "Dann kann ich auch schon mal die ersten Reaktionen sehen."

Eben um diese Reaktionen geht es Lunemann mit ihren Texten: Sie möchte Gedanken anstoßen. "Oft beschäftigen wir uns mit Luxusproblemen", sagt sie. "Dabei haben wir es doch eigentlich alle gut."

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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