Wie viele Rechtsextreme gibt es in der AfD? Vorwürfen, die Partei sei zumindest in Teilen von Extremisten unterwandert, begegnet die Führung mit dem Verweis auf ihre 13 Seiten umfassende Unvereinbarkeitsliste. Danach schließen sich eine Parteimitgliedschaft mit der Tätigkeit in einer rechtsextremen Organisation aus. Doch in der Praxis sieht es anders aus, das zeigt der Fall von Tim Schulz aus Hohenbrunn bei München. Der 23-Jährige gehört dem Vorstand des AfD-Kreisverbands München-Land an und ist nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks zugleich bei der Identitären Bewegung aktiv. Diese Gruppierung wird vom Verfassungsschutz wiederum als gesichert rechtsextrem eingestuft und steht auf der Seite neun der AfD-Unvereinbarkeitsliste.
Laut BR-Bericht soll Tim Schulz an Aktionen der Regionalgruppe „Lederhosen Revolte“ beteiligt gewesen sein. Das kooptierte Vorstandsmitglied der Kreis-AfD ist demnach auf Fotos einer Wanderung der Gruppierung im September in den Berchtesgadener Alpen zu sehen. Auf einem Gruppenbild soll er die sogenannte White-Power-Geste gezeigt haben, ein rassistisches Erkennungszeichen. Auf einer Rechercheplattform wird Tim Schulz als „Prototyp der nachrückenden AfD-Generation“ bezeichnet. Er soll unter anderem eine Lebensrunen-Tätowierung auf dem Oberarm tragen.
Vor allem in der FDP im Landkreis München ist das Entsetzen groß. Denn Schulz kommt aus einer Familie, die fest in der FDP verwurzelt ist. Sein Vater ist der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Jimmy Schulz, der 2019 gestorben ist, seine Mutter die Hohenbrunner FDP-Gemeinderätin Petra Schulz-Geßl. Sohn Tim hatte 2020 bei der Kommunalwahl auf der FDP-Liste für den Gemeinderat kandidiert. FDP-Ortsvorsitzender Wolfgang Mathis zeigt sich auf SZ-Anfrage entsprechend „ziemlich entsetzt“ über die Enthüllung des BR, die den Ortsverband am Donnerstag wie ein Schlag traf.
Er selbst habe nichts von der AfD-Mitgliedschaft und auch nichts über die Aktivitäten von Tim Schulz bei der Identitären Bewegung gewusst, sagt Mathis. „Ich bin aus allen Wolken gefallen.“ Schulz war laut Mathis von Januar 2020 bis Juli 2020 Mitglied der Jungen Liberalen. Er habe ihn dort als völlig „unauffällig“ erlebt und auch nur mäßig engagiert. Weder habe er rechtsgerichtete noch besonders auffällige politische Positionen vertreten, teilt Vincent Roszik, der Kreisvorsitzende der Jungen Liberalen, auf Anfrage per Mail mit. Das Auftreten von Schulz sei insgesamt „unpolitisch“ gewesen, er habe sich nicht an thematischen Debatten beteiligt. Aufgrund „bestimmter Beiträge“ auf seinem Instagram-Profil sei ihm jedoch vom damaligen Kreisvorstand nahegelegt worden, aus der Organisation auszutreten. Das habe Schulz auch getan.
„Worte und Taten klaffen diametral auseinander“, so der CSU-Abgeordnete Florian Hahn
Hohenbrunns FDP-Chef Mathis zeigte sich am Donnerstag auch enttäuscht von seiner Parteikollegin Schulz-Geßl. Er hätte erwartet, dass diese ihn als Ortsvorsitzenden zumindest vertraulich über ihren Sohn und dessen exponierte Stelle bei der AfD informiere. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Hahn reagierte nach Bekanntwerden von Tim Schulz’ Aktivitäten mit einer Pressemitteilung, in der er die AfD als „Wolf im Schafspelz“ bezeichnet. „Nach außen postulieren bayerische AfD-Funktionäre, sie würden sich einen strikten Ausschlusskatalog geben, um extremistische Mitglieder ausschließen zu können oder ihnen gar den Zugang zur Partei zu verwehren“, so Hahn darin, „doch Worte und Taten klaffen diametral auseinander!“
Schulz mache in keiner Weise einen Hehl aus seiner Nähe zur Identitären Bewegung. Trotzdem sei er im AfD-Kreisverband München-Land in den Vorstand aufgenommen worden. „Da frage ich mich schon, mit welchen Leuten sich die AfD-Kreisvorsitzende Christina Specht ganz wissentlich umgibt oder ob die Wähler hier gar bewusst getäuscht werden sollen“, so Hahn, der für den Wahlkreis München-Land im Bundestag sitzt.

Die AfD-Kreisvorsitzende Specht erklärte am Donnerstag auf Anfrage schriftlich, der Kreisverband sei erst vor einigen Wochen aufmerksam gemacht worden. Schulz sei seinerzeit die Unvereinbarkeitsliste vorgelegt worden, er habe mitgeteilt, in keiner der Organisationen tätig zu sein. „Sollte sich herausstellen, dass er Mitglied der Identitären Bewegung ist, wird er aus der Partei ausgeschlossen.“ Bei den Neuwahlen des Kreisvorstands Anfang November erlöschten zudem die Kooptierungen. „Somit wird Herr Schulz wahrscheinlich nicht mehr im Kreisvorstand sein.“ Von Tim Schulz selbst gibt es keine Stellungnahme.