Süddeutsche Zeitung

Prävention:"Seid Gentlemen und schaut nicht weg"

Gemeinsam mit der Aktion "Sichere Wiesn für Frauen und Mädchen" sowie dem Verein Condrobs versucht der Kreisjugendring, Jugendliche während des Oktoberfests für das Thema sexuelle Belästigung zu sensibilisieren.

Von Laura Richter, Höhenkrichen-Siegertsbrunn

Damit aus dem "Ozapft is" auf dem Oktoberfest kein "Ograpscht is" wird, leistet der Kreisjugendring München-Land (KJR) und die kommunale Jugendpflege Aufklärungsarbeit an den weiterführenden Schulen im Landkreis München. Bei den Pausenhof-Aktionen, die heuer bereits zum zehnten Mal stattfinden, erhalten Schülerinnen und Schüler von der achten Klasse aufwärts Tipps für einen sicheren Wiesn-Besuch. "Natürlich gehen viele Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Landkreis München auf die Wiesn", sagt Carina Lange vom KJR. Deshalb sei das Ziel der Präventionskampagne, die Jugendlichen bereits früh dafür zu sensibilisieren, wie sie respektvoll und achtsam feiern können, so Lange.

Auf dem Oktoberfest sind sexuelle Übergriffe aufgrund der Anonymität unter vielen Besuchern und des exzessiven Alkoholkonsums keine Seltenheit. Auf den Wiesn 2019 wurden der Polizei 47 Sexualdelikte gemeldet, ein Anstieg um 4,4 Prozent gegenüber 2016. In der Statistik finden sexuelle Übergriffe auf dem Heimweg jedoch keine Berücksichtigung. Und die Dunkelziffer ist hoch: "Etwa 90 Prozent der Frauen zeigen eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung nicht an, aus Angst, man könne sie aufgrund ihres Verhaltens für die Tat verantwortlich machen", informiert die Aktion "Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen" in ihrem Flyer, der heuer wieder an allen weiterführenden Schulen des Landkreises ausliegt. So auch an der Erich-Kästner-Schule in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, an der Vertreter des KJR und seiner Kooperationspartner mit den Zehntklässlern der Mittelschule über die möglichen Gefahren des Wiesn-Besuchs sprechen.

"Jeder Übergriff, jedes Foto unter das Dirndl, ist eins zu viel"

"Wir dürfen die Grenzen unserer Mitmenschen beim Feiern nie vergessen, dann haben alle Spaß", erzählt Patrick Hey den Schülern im Foyer. Hey arbeitet für den Verein Condrobs, der hinter der Aktion "Wiesn-Gentleman" steht und die Sozialarbeiter der kommunalen Jugendpflege und des KJR für die Präventionskampagne geschult hat. "Jeder Übergriff, jedes Foto unter das Dirndl, ist eins zu viel", sagt Hey. Wenn sie ein Mädchen oder eine Frau sehen, die sich in einer eventuellen Notsituation befindet, sollten die Schüler sowie alle Oktoberfestgänger besser einmal zu viel nachfragen, ob Hilfe notwendig ist. Die jungen Erwachsenen sollten einander auch darauf hinweisen, wenn sie in ihrem Umfeld verbale oder körperliche Gewalt gegenüber ihren Mitmenschen mitbekommen.

"Nehmt die Hinweise wörtlich, seid Gentlemen und schaut nicht weg, wenn sich jemand in Not befindet", sagt der Rektor der Erich-Kästner-Schule, Torsten Bergmühl. Auf seine Frage, wie viele von ihnen einen Wiesn-Besuch planten, hebt etwa ein Drittel der versammelten Zehntklässler nach diesem Vortrag zögerlich die Hand. Doch Bergmühl will seinen Schülern den Spaß am Feiern nicht verderben: Für ihn sei der Oktoberfestbesuch quasi in der bayerischen DNA verankert, sagt er. Solange man auf seine Mitmenschen aufpasse, stehe einer guten Zeit im Bierzelt nichts im Weg. Nach dem Vortrag bekommen die Schüler Infomaterialien, Anstecker, Aufkleber, eine symbolische Fahrradklingel und die Zeit, Fragen zu stellen.

"Uns ist es wichtig, gezielt junge Leute anzusprechen und für das Thema zu sensibilisieren. Die Mädchen sollen früh ein Bewusstsein dafür bekommen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen müssen, nur weil sie ein schickes Dirndl tragen", sagt Lisa Löffler vom Frauennotruf München, die ebenfalls nach Höhenkirchen gekommen ist. Gemeinsam mit den Vereinen Amyna und Imma hat der Frauennotruf im Zuge der Aktion "Sichere Wiesn für Mädchen" und Frauen einen "Safe Space" auf dem Festgelände geschaffen, also einen sicheren Ort für Personen, die kostenfreie und auf Wunsch anonyme Hilfe suchen. Auch die Wiesn-Gentlemen sind täglich auf der Festgelände vertreten und sprechen gezielt Jungs und Männer an. Abends an den Wochenenden helfen ihre "Streetworker" außerdem, verlorene Freunde wieder ausfindig zu machen, oder alarmieren in Notsituationen die Polizei oder den Rettungsdienst.

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