Süddeutsche Zeitung

Höhenkirchen-Siegertsbrunn:Genuss aus dem Gemeinschaftsgarten

Mit solidarischer Landwirtschaft versorgt Siggi Fuchs seine Abnehmer im Landkreis und in München mit saisonalem Gemüse. Der Waldgärtner bewirtschaftet einen Hektar in Höhenkirchen. Dort experimentiert er auch mit alten Tomatensorten

Von Johanna Mayerhofer, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

"Wer bietet schon einen Salat mit sechs verschiedenen Geschmäckern", sagt Siggi Fuchs, während er sich mit sonnengebräuntem Gesicht und Gummistiefeln an den Füßen über ein Salatbeet beugt. Um ihn herum erstrecken sich Feldreihen, auf denen sich grüne und rote Blätter durch die Erde bohren. Am Horizont sind die Wälder des Höhenkirchener Forstes zu erkennen. Seit April dieses Jahres baut Siggi Fuchs in seinem Reich bis zu 50 Gemüsekulturen an. Seine Ernte liefert der Münchner aber nicht an Großkonzerne oder Supermärkte. An vier Abholstationen in München und Umgebung können sich seine Abnehmer aus erster Hand ihren wöchentlichen Gemüsevorrat gegen einen monatlichen Geldbeitrag auffüllen.

Frische, Geschmack und ökologische Unbedenklichkeit - als Community Supported Agriculture hat die alternative Lebensmittelversorgung in Amerika seinen Ursprung. Unter dem Stichwort Teikei ernährt sich rund ein Viertel aller Japaner auf diese Weise. Als Siggi Fuchs vor sechs Jahren mit einem kleinen Hügelbeet im Hinterhof seines Mietshauses im Westend mit dem Konzept der geteilten Ernte begann, gab es sieben solcher Landwirtschaftsgemeinschaften in Deutschland. Inzwischen stieg die Zahl auf siebzig an. Nach einer Station in Johanneskirchen siedelte Fuchs im vergangenen Jahr mit seiner Waldgärtner Wirtschaftsgemeinschaft nach Höhenkirchen um. Eine große Anbaufläche als Nicht-Bauer zu erwerben, sei schwierig, sagt Fuchs. Zu dem Feld in Höhenkirchen kam der Münchner durch Zufall. Die Bauern als Besitzer des Feldes sind in Rente gegangen, ihr Sohn ist sein Nachbar im Westend. Im April läutete Fuchs die erste Höhenkirchener Saison ein - mit der Grünkohlernte.

Auf dem etwa einen Hektar großen Gelände finden neben den Feldpflanzen in zwei großen und drei kleinen Treibhäusern Gewächshauskulturen wie Tomaten, Auberginen, Paprika oder Zucchini optimale Anbaubedingungen vor. Gepflanzt und gesät wird nach einem genauen Plan: Auf Kohlrabi, Mairüben und Frühlingszwiebeln im Frühling folgen Kohlsorten im Herbst. Die Fruchtfolge muss genau eingehalten werden. "Sonst gehen die Pflanzen auch mal ein, solche Fehler passieren immer mal wieder", sagt der Experte. Im Garten sei er ein Autodidakt, sagt Fuchs. Der gelernte Elektriker und studierte Sozialarbeiter hat sich seine Kenntnisse über Pflanzen und Anbauweisen selbst erarbeitet.

Geerntet wird in Höhenkirchen ausschließlich an den Abholtagen. "Man hat einfach nie altes Gemüse, es verliert keinen Geschmack", sagt Fuchs. Salat ist fast saisondurchgehend erntereif. Dabei sorgt der 48-Jährige mit der Ernte von jungen Rote Bete- oder Grünkohlblättern, sogenanntem Baby Leaf, für eine große Geschmacksvielfalt auf den Tellern seiner Mitglieder. In der Schrammstraße im Westend, in Johanneskirchen, in Sendling und in Höhenkirchen selbst können die Abnehmer wöchentlich für 75 Euro im Monat die Ernte abholen. Um eine Abnahmegarantie gewährleisten zu können, muss eine Mitgliedschaft mindestens eine Saison lang Bestand haben.

Die direkte Verbindung zwischen Verbraucher und Erzeuger beruht auf gegenseitigem Vertrauen: Bei der Abholung nehmen sich die Mitglieder ihre Anteile selbst aus dem Bestand. Dabei wird nach Stückzahl und per Waage die Ernte gerecht verteilt. Nur in der Schrammstraße ist Fuchs selbst anwesend. Das setzt Ehrlichkeit voraus. "Alle müssen verstehen, was solidarisch heißt." Dazu gehört auch, dass die Mitglieder Verständnis zeigen, wenn nach schlechten Wetterperioden wie dem Sturmtief im vergangenen März das Angebot begrenzt ist. "Sie dürfen deswegen nicht denken, wir arbeiten zu wenig."

In einem der drei kleinen Gewächshäuser kniet Sina Burckhardt in grüner Latzhose vor einer Schnittlauchreihe. Mit einer Harke befreit sie die Pflanzen von Unkrautkonkurrenten. Hinter ihr wachsen Peperoni- und Petersilienpflanzen aus der Erde. Als Mitglied der Gemeinschaft hilft sie an diesem Tag Fuchs bei der Arbeit. "Es ist bewundernswert wie er das alles hinkriegt", sagt sie. Die Kirchseeonerin holt sich fast jeden Mittwoch ihr Gemüse selbst. Mit ihrem Nachbarn, der ebenfalls Mitglied der Gemeinschaft ist, wechselt sie sich ab. Die halbstündige Anfahrt nehmen beide für die frischen Produkte gerne in Kauf. Die Arbeit auf dem Feld übernehmen größtenteils Siggi Fuchs und sein Mitarbeiter. Die Gemeinschaftsmitglieder können aber auch selbst Hand anlegen. "Wenn viel Hilfe nötig ist, sende ich eine Rundmail an alle und bitte um Unterstützung", sagt Fuchs. Auf einer Jahresversammlung bespricht er sich mit den Mitgliedern. Es wird über das vergangene Jahr resümiert und die neue Saison organisiert. Dazu gehört auch die Auswahl der Gemüsesorten. Was nicht genug Abnehmer findet, wird in der nächsten Saison aus dem Angebot genommen.

Wenn es die viele Arbeit zeitlich zulässt, beschäftigt sich Siggi Fuchs mit seiner Leidenschaft: der Erhaltung und Rekultivierung alter Sorten. Im Tomatenanbau verwendet der Münchner ausschließlich die Saat alter Sorten. Mittlerweile sind es 51. Dabei ist Fuchs oft experimentierfreudiger als die Gemeinschaftsmitglieder: "Weiße Tomaten baue ich erst gar nicht an, da traut sich keiner ran." Die Pflanzenzucht durch Großkonzerne und die Verbreitung von Hybridsaatgut sind Siggi Fuchs ein Dorn im Auge. Der Schwund der Sortenvielfalt geht für ihn vor alle m mit dem Verlust der Geschmacksvielfalt einher. Der Münchner experimentiert deshalb auch mit Anbauexoten - zur Freude von Sina Burckhardt. "Wir essen jetzt ganz anders und vielfältiger", sagt die Vegetarierin. So finden Pflanzen, die einen im Geschmack an Austern erinnern oder Microgreens (Keimpflanzen) wie Koriander, Radieschen und gelber Senf, die auf Kressehöhe geschnitten werden und Salate verfeinern, einen Platz im Sortiment der Waldwirtschaftsgemeinschaft.

In diesem Jahr kommt auf Fuchs und seine Mitglieder noch eine Neuerung zu: die offizielle Umstellung auf Bio. Das Naturland-Siegel garantiert eine zu 100 Prozent ökologische Landwirtschaft. Für Fuchs bedeutet die Zertifizierung gemäß der Naturland-Richtlinien vor allem eine genaue Dokumentation seiner Anbauweise mit Bio-Saatgut. Ändern wird sich für seine Arbeit selbst aber nichts - ist doch der biologische Anbau seit jeher für ihn eine Selbstverständlichkeit. "Das Siegel dient vor allem dazu, den Menschen letzte Zweifel an der Bio-Qualität zu nehmen."

In dieser Saison holen 135 Abnehmer ihr Gemüse bei Fuchs ab, davon acht aus der direkten Höhenkirchener Nachbarschaft. "Wir sind noch neu hier, das wird sich noch rumsprechen", sagt Siggi Fuchs. Expandieren möchte er mit seiner Gemeinschaft jedoch nicht. Mit zwei regelmäßigen Kräften ist die Arbeit auf dem Höhenkirchener Feld gerade so zu bewerkstelligen. "Viel mehr geht nicht mehr." Dabei sieht Fuchs seine Gemeinschaft auch nicht in Konkurrenz mit Angeboten von Supermärkten und Gemüseläden. "Wir sind etwas Spezielles, wir haben keine wirkliche Konkurrenz." Dass die solidarische Landwirtschaft zukünftig eine größere Rolle in der Lebensmittelversorgung spielen wird, glaubt der Münchner nicht. "Wir werden immer eine Nische bleiben."

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Quelle:
SZ vom 19.08.2015
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