Baustellen in Höhenkirchen:Diese Ruhe!

Baustellen in Höhenkirchen: Wo sich sonst die Autos stauen, herrscht derzeit gähnende Leere: die Rosenheimer Straße in Höhenkirchen.

Wo sich sonst die Autos stauen, herrscht derzeit gähnende Leere: die Rosenheimer Straße in Höhenkirchen.

(Foto: Claus Schunk)

Wegen Straßenarbeiten ist das Ortszentrum für Monate vom Durchgangsverkehr abgeschnitten. Während Anwohner das genießen, klagen Einzelhändler und Wirte über Umsatzeinbußen.

Von Bernhard Lohr, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Mancher wäre glücklich. Doch Florian Squarra, 38, schaut alles andere als begeistert drein, als er sagt, es ist "wie Sonntag, einfach Ruhe" - und zwar jeden Tag. Dem Geschäftsführer des gleichnamigen Schreibwarenladens an der Rosenheimer Straße in Höhenkirchen ist es an diesem Mittwochnachmittag eindeutig zu still.

Er will ja seinen Laden vollbekommen, und das ist schwierig geworden, seit das Ortszentrum eine Groß- und Dauerbaustelle ist. Erst haben die Wasserwerke eine Leitung in der Rosenheimer Straße erneuert, jetzt steht der Umbau der Kreuzungen an der Friedenseiche und an der Brunnthaler Straße bevor. Seit Wochen geht es für Autofahrer nur auf verschlungenen Wegen durch den Ort.

Kalt lässt das in Höhenkirchen-Siegertsbrunn niemanden, wobei jeder auf andere Weise betroffen ist. Lkw mit mehr als 7,5 Tonnen werden weiträumig umgeleitet. Der übrige Verkehr sucht sich seinen Weg durch den Ort, wobei in der Wächterhofstraße, der Ottobrunner Straße, der Altlaufstraße und der Esterwagnerstraße zig Halteverbotschilder aufgestellt worden sind, damit dort die Autos gut durchkommen. Während sich ruhige Seitenstraßen in Wohngebieten zu Ausweichstrecken entwickelt haben, sind Geschäftsleute wie Squarra vom Verkehr und von ihren Kunden abgeschnitten.

Als von Anfang April an in mehreren Bauabschnitten die Wasserleitung erneuert wurde, war die innere Rosenheimer Straße einseitig gesperrt. Der Verkehr floss in der Einbahnstraße über Wochen nur noch in Richtung Süden nach Aying und Egmating. Seit Ende Juni ist die Straße im Kreuzungsbereich an der Friedenseiche komplett zu. Von Süden kann man noch hinfahren zu Squarra.

"Ich habe es viel lieber, dass es zugeht wie auf dem Stachus"

Wenn die Arbeiten an der Wasserversorgung abgeschlossen sind, beginnt das Staatliche Bauamt mit dem Umbau der zentralen Kreuzung zu einem Minikreisel, auch an der Kreuzung zur Brunnthaler Straße wird ein solcher geschaffen. "Ich habe es viel lieber, dass es zugeht wie am Stachus", sagt Squarra. Auch Josefine Gaar, die auf der anderen Straßenseite einen Schuhladen betreibt ist die belebte Straße zigmal lieber als die Ruhe.

Auch wenn Laufkundschaft für sie weniger wichtig ist, wie sie sagt. Mancher in der Gemeinde dürfte sich wie im Belagerungszustand fühlen. Auch die Sportplatzstraße ist wegen des Baus einer Linksabbiegespur mit Überquerungshilfe auf Höhe des Neubaugebietes ab der Einmündung Münchner Straße bis Einmündung Ottobrunner Straße voll gesperrt. Bis 18. August ist das dort so geplant.

Bürgermeisterin Ursula Mayer (CSU) versucht, um Verständnis für die Einschränkungen zu werben. Beim Straßenfest kürzlich hatte sie sich ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Vorsicht Baustelle" übergezogen und gab gemeinsam mit Mitarbeitern aus dem Rathaus an einem Infostand Auskunft über die verzwickte Verkehrslage. Man habe bewusst mehrere Baustellen miteinander verknüpft, um die Dinge in einem Zug zu erledigen, sagt Mayer.

Die Erneuerung der Wasserleitung sei dringend geboten gewesen und die Baustelle gut abgewickelt worden. Von den Minikreiseln erwartet sich Mayer einen besseren Verkehrsfluss im Ort. Aber bis es soweit ist, muss improvisiert werden. Umleitungsstrecken habe man bewusst nicht ausgeschildert, sagt Mayer, weil das die Anwohner der betroffenen Straßen verständlicherweise aufbringen würde. Der Verkehr habe sich auch so irgendwie eingespielt, findet die Rathauschefin. Die kommunale Verkehrsüberwachung sei verstärkt im Einsatz. Es werde auch viel geblitzt. Insgesamt führe die Lage "zu einer Verlangsamung des Verkehrs".

Tatsächlich finden im Ort manche das ganz gut so. Helmut Dedecius, 79, war im Schreibwarenladen Squarra und will gerade los. "Es ist schön ruhig", sagt er, "und ich bin in Rente und fahre viel mit dem Rad." Die Straßensperrungen störten ihn deshalb nicht. Es sei die beste Entscheidung gewesen, 2008 aus der Stadt rausgezogen zu sein. Wer am Ort wohnt und mit Fahrrad oder auch zu Fuß seine Einkäufe erledigt, ist derzeit im Vorteil.

So wie auch Annett Heyde, die mit Einkaufstasche gerade von Robert's Bio-Genussmarkt Richtung Rosenheimer Straße läuft. "Ich bin viel zu Fuß unterwegs", sagt sie gut gelaunt. Die Baustelle nehme sie gelassen. "Wenn es sein muss, muss es sein." Der zufällig vorbeikommende Gemeinderat Otto Bußjäger von den Unabhängigen Bürgern pflichtet bei: "Eine Straße muss irgendwann mal saniert werden." Er würde nicht auf die Idee kommen, Medikamente woanders zu holen als in der Schloss-Apotheke, sagt er, nur weil die Anfahrt gerade schwierig sei.

Dennoch kämpfen die Geschäfte mit deutlichen Umsatzrückgängen. Nicht nur Florian Squarra beklagt das, dem die Laufkundschaft abhanden gekommen ist. Und das nicht nur für ein paar Tage oder Wochen. Nach der schwierigen Zeit mit der Wasserleitungsbaustelle muss er jetzt voraussichtlich bis Ende Oktober damit zurecht kommen, in einer Sackgasse sein Geschäft zu betreiben. - Zunächst war von Anfang Oktober die Rede.

Der Durchgangsverkehr ist weg und all die Leute fehlen, die morgens oder abends auf ihrem Arbeitsweg kurz Halt machen und etwas einkaufen. Robert Neveling, 52, vom benachbarten Bioladen trifft das auch. Drei, vier Leute sind am Mittwochnachmittag im Laden, der mit seiner breiten Palette an Waren - laut Neveling 4500 Produkte - einem Supermarkt gleicht. Viel frisches Obst und Gemüse ist in der Auslage. Neveling kommt aus seinem Büro und erzählt, wie ihm 30 Prozent des Umsatzes weggebrochen seien, als wegen der Einbahnstraße die Kunden aus Aying,

Faistenhaar und Brunnthal andere Strecken gefahren seien. Er habe seinen Laden erst vor einem Jahr geöffnet, sagt er. Vergangenen Sommer habe die enorme Hitze das Geschäft getrübt, und die Baustelle jetzt sei "schon heftig". Dabei sei er ein Start-up, das Geschäft sei im Aufbau. Neveling hat sich vorgenommen, in der Bahnhofstraße an die Autofahrer Werbezettel zu verteilen, die an der geschlossenen Bahnschranke stehen. Er habe keine andere Wahl, sagt er.

Ein Problem ist für die Läden, dass manch Auswärtige verunsichert sind und meinen, die Geschäfte seien wegen der Baustellen gar nicht zu erreichen. Deshalb hat die Gewerbegemeinschaft Plakate aufgehängt, auf denen zu lesen ist: "Trotz Bauarbeiten, unsere Geschäfte sind für sie da". Etwas ratlos schaut Thomas Bendig, 52, drein. Sein Lokal "Feuer und Stein" erlebte über Jahre einen immensen Aufschwung. Gäste mussten reservieren, es war angesagt und meist voll. Doch derzeit sind in dem Lokal und im Biergarten an der gesperrten Kreuzung auffallend viele Tisch frei. "Ja, klar", sagt der Chef, "man merkt's."

Im Vergleich zum Vorjahr mache er wohl 50 Prozent weniger Umsatz. Die Straßensperrung spiele eine Rolle, sagt Bendig. Aber ob es die Baustelle alleine ist, da ist er skeptisch. Denn im Gewerbegebiet Brunnthal-Nord hat eine Filiale des Pizza-Ladens "L'Osteria" aufgemacht. Da muss derzeit offenbar jeder mal hin, um über die Riesenpizzen zu staunen und manchmal auch, um über den Service zu klagen, wie man öfter hört. "Da muss man durch", sagt Bendig über die aktuelle Durststrecke. Es klingt nach Durchhalteparole, so wie bei Squarra, der sagt: "Das stehen wird durch."

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