Hilfsangebote:Emotionale Nähe aus der Distanz

Hilfsangebote: Luisa Finzi, Leiterin der Familienberatung, hat erlebt, dass sich bei Paaren bestehende Probleme verstärkt haben.

Luisa Finzi, Leiterin der Familienberatung, hat erlebt, dass sich bei Paaren bestehende Probleme verstärkt haben.

(Foto: Familienberatung Ismaning)

Die Familienberatung Ismaning erlebt in der Coronakrise Menschen in großer Not. Online eröffnen sich neue Möglichkeiten

Von Sabine Wejsada, Ismaning

Seit mehr als einem Jahr bestimmt Corona das Leben im Land: Kontaktbeschränkungen, Kurzarbeit, Homeoffice, Distanzunterricht und die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus oder dem Verlust des Arbeitsplatzes, ganz zu Schweigen von der Sorge um Angehörige und Freunde. Besonders betroffen sind Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche, die unter prekären oder schwierigen Umständen über die Runden kommen müssen. Professionelle Hilfe ist schwerer zu bekommen. Fachstellen mussten schließen - oder sich umstellen. Bei der Familienberatung Ismaning ist letzteres gelungen, wie Leiterin Luisa Finzi bilanziert.

Die nicht konfessionelle Fachstelle wird vom Zweckverband "Kommunale Schwangerenberatung der Region München Nord/Ost" getragen, dem die Landkreise München, Ebersberg, Erding und Freising sowie die Kommunen Ismaning, Unterföhring und die Stadt Garching angehören. Thematisch habe sich die Pandemie "wie ein roter Faden" durch die Arbeit gezogen, sagt Finzi. Besonders auffallend: Corona gehörte häufig zu den Gründen, warum eine Frau ihre Schwangerschaft abbrechen wollte, wobei die Pandemie bei keinem Fall den alleinigen Ausschlag gegeben habe.

Die Familienberatung Ismaning bietet seit mehr als 40 Jahren ihre Hilfe an. Klienten sind Frauen, Männer und Familien, die sich zu Themen rund um die Geburt mindestens bis zum dritten Lebensjahr, kostenlos beraten lassen können. Finzi und ihr Team sind Ansprechpartnerinnen bei einer Schwangerschaftskonfliktsituation, bei allen Fragen zur Schwangerschaft, bei Problemen in der Beziehung, bei unerfülltem Kinderwunsch und sonstigen familiären Problematiken.

Auch bei den Beratungen nach der Geburt des Kindes haben die Fachleute in Ismaning festgestellt, dass die coronabedingten Einschränkungen vor allem Konflikte in Partnerschaften und Probleme in der Erziehung der Kinder offengelegt haben. Doch "der allgemeine Eindruck, den wir gewinnen konnten, ist, dass Corona nur teilweise neue Probleme in die Familien und in die Partnerschaften gebracht hat", heißt es im Jahresbericht der Familienberatung. Vielmehr hat die Pandemie nach Einschätzung von Finzi bestehenden Schwierigkeiten verstärkt oder ans Licht gebracht. Habe sich ein Paar "unter normalen Lebensbedingungen" schon mal aus dem Wegen gehen können, sei diese Chance durch Heimarbeit, Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen auf ein Minimum reduziert worden. Zudem hätten die Beratungen gezeigt, dass noch mehr Väter durch das Arbeiten daheim "plötzlich intensiver mit erzieherischen und schulischen Fragen konfrontiert wurden, mit denen bis dahin vorrangig die Mütter beschäftigt waren". Selbst stabile Partnerschaften meldeten eine Überforderung bei dem Versuch, Arbeit, Kinder und Beziehung gleichermaßen gerecht zu werden. Der Wegfall sozialer Kontakte und familiärer Netzwerke, die bei der Erziehung und Betreuung der Kinder mithalfen, haben Eltern, insbesondere Alleinerziehende, in eine psychische und emotionale Überlastungssituation gebracht. Auch wirtschaftliche Probleme sind vielfach Thema der Beratungen gewesen.

Vor große Probleme hat Corona nach Erfahrungen der Familienberatung all jene Menschen mit psychischen Erkrankungen und traumatischen Erfahrungen gestellt, die sich 2020 an die Familienberatung Ismaning wandten. "Die Isolierung, die allgemeine Angst, der Zwangskontext durch die notwendigen Restriktionen haben die Situation von bereits instabilen Menschen verstärkt", so das Fazit. Vor allem zu Beginn der Pandemie hat es auf beiden Seiten eine große Verunsicherung gegeben, bei Klienten und Beraterinnen, wie Luisa Finzi sagt. Besondere Einschränkungen erlebten ihren Worten nach etwa schwangere Frauen mit einem Abbruchwunsch in den Arztpraxen, weil sie coronabedingt ohne Begleitpersonen zum Termin erscheinen sollten. Mütter mussten ihr Kind ohne den Partner auf die Welt bringen, was Paare bei solch einem einmaligen Ereignis hart getroffen hat. "Die Frage, inwieweit Schwangeren und das ungeborene Kind durch eine Corona-Infektion stärker betroffen sein könnten beziehungsweise welche Auswirkungen diese haben könnte, beschäftigt Schwangere und uns bis heute sehr", so die Leiterin der Familienberatung.

Rückblickend aber hat die Corona-Pandemie für die Beratungsstelle in Ismaning auch einen "kleinen Zugewinn gebracht, nämlich die Einführung der Videoberatung". Heute sehen Finzi und ihr Team darin eine Erweiterung der digitalen Kompetenzen und ein zusätzliches Angebot. Mittlerweile fragten viele Klienten gezielt nach Videoberatung und zögen dieses Modell dem persönlichen Kontakt vor, so die Erfahrung. Die Videoberatung sei in kurzer Zeit zu einem wichtigen Bestandteil des Angebots geworden - und soll auch nach Ende der Corona-Krise Bestand haben.

Denn es sei möglich, trotz der physischen Distanz emotionale Nähe zu vermitteln, so Finzi. Zudem seien die Online-Beratungen für viele Klienten aus zeitlichen Gründen ein Vorteil, weil die Fahrzeit nach Ismaning wegfällt und der Termin von zu Hause aus stattfinden kann, obwohl die Kinder nicht in Kita oder Hort sind. "Speziell für alleinerziehende Elternteile, die durch die eingeschränkte Kinderbetreuung oder Schulschließung stärker betroffen sind, ist die Zeit- und Wegersparnis ein großer Gewinn." Für Finzi und ihre Kolleginnen wirken manche Klienten während einer Beratung per Video fokussierter als im persönlichen Umgang. Was womöglich daran liegt, dass "Ablenkungen" wegfielen und sich die Betroffenen zu Hause in einem geschützten Raum fühlen.

Freilich stößt die Videoberatung auf Grenzen, wenn das Netzwerk in der Beratungsstelle überlastet oder die Internet-Verbindung beim Klienten nicht stabil genug ist. Darüber hinaus sei eine emotionale Regulierung oder eine Deeskalation beispielsweise bei Paarkonflikten via Bildschirm eine große Herausforderung, räumt Finzi ein. All das, was im zwischenmenschlichen direkten Kontakt möglich wäre, fällt größtenteils weg: Gestik, Mimik, Pausen, spontane Handlungen, wie ein Glas Wasser oder Taschentuch anbieten geht per Video nur sehr eingeschränkt.

Die im Gesetz verankerte Möglichkeit für Frauen, im existenziellen Schwangerschaftskonflikt wohnortnah eine persönliche Beratung in einer Stelle ihrer Wahl zu erhalten, sei ein hohes Gut, auch in Corona-Zeiten, wie Luisa Finzi betont. Deshalb könne die digitale Sprechstunde die persönliche Beratung nicht vollständig ersetzen, in Ismaning sieht man darin vielmehr eine zeitgemäße und sinnvolle Ergänzung, wenn alle gesetzliche Vorgaben insbesondere im Hinblick auf die Anonymität und des Datenschutzes eingehalten werden.

Persönliche Beratungen sind im Bedarfsfall fast immer möglich gewesen und sollen wieder vermehrt stattfinden. Seit Anfang Mai 2020 verfügt die Familienberatung über mobile Plexiglaswände - zum Schutz aller im analogen Gespräch. Für die Konfliktberatungen konnten Finzi und ihr Team den großen Saal im Gemeindezentrum nutzen. Mit genug Abstand, Schutzwänden, offenem Fenster sei es gelungen, von Anfang an das Angebot größtenteils aufrechtzuerhalten.

Nach 23 Jahren im Sozialzentrum an der Reisingerstraße hat sich die Beratungsstelle mitten in der Pandemie eine neue Bleibe suchen müssen. Der Umzug war nach den Worten von Finzi "ein enormer Kraftakt - mental, emotional und auch physisch". Wegen des Lockdowns seien Besichtigungen von Objekten erst Mitte Juni möglich gewesen, der Mietvertrag für das neue Domizil an der Reichenbachstraße wurde Anfang Oktober unterschrieben, seit Anfang Februar stehen die hellen Räume für die zehn Festangestellten der Familienberatung und weitere Honorarkräfte zur Verfügung. "Wir müssen hier noch gut ankommen", sagt Luisa Finzi und meint damit, dass die Beratungsstelle nun mitten im Gewerbegebiet sitzt, quasi als eine Art "Exot" zwischen den Unternehmen. Einen Vorteil hat der Standort: Der S-Bahnhof ist näher als von der Reisingerstraße. Das ist gut, wenn Ratsuchende wieder persönlich in die Beratung kommen dürfen und wollen.

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