Süddeutsche Zeitung

Herz für Blumen:Schneeweiß und duftend

Lesezeit: 3 min

Charlotte Knott aus Ismaning zieht wilde Geranien aus Italien. Sie wehrt sich gegen Pauschalkritik von Insektenfreunden an der Pflanzenart. Der Garten der 81-Jährigen ist ein Kleinod und steht im Einklang mit der Natur

Von Bernhard Lohr, Ismaning

Sie heißen "Prinzessin Purpurella" oder "Baronesse Sophia". Und wo diese edlen Geschöpfe oder eine ihrer ordinären Verwandten auftauchen, staunen die Menschen ob der Pracht. Pelargonien oder auch Geranien sind die beliebtesten Balkonpflanzen in Deutschland und haben zugleich schon immer polarisiert. Vielen gelten sie als Inbegriff des Spießertums.

Doch nun, da Insektenschützer alles Blühende darauf hin abklopfen, ob es Bienen Nahrung bietet, drohen die Blumen endgültig in Verruf zu geraten. Haar hat seine schmückenden Geranien jetzt vom Rathaus verbannt und bekommt Rückendeckung vom Naturgarten-Experten Reinhard Witt. Jemand wie Charlotte Knott aus Ismaning liebt auch die Natur, doch Geranien zu verteufeln, hält sie für übertrieben.

Der Garten der 81-Jährigen gleicht einem Biotop. Hier ragt der Stamm eines abgestorbenen Zwetschgenbaums in die Höhe, an dem Meisenknödel hängen. Dort treibt ein Apfelbaum Knospen: Charlotte Knott bleibt auf dem Weg durch ihr kleines Reich hinter ihrem Reihenhaus nach jedem Meter stehen. Es gibt ja viel zu erzählen. Zu jedem Gewächs fällt ihr eine Geschichte ein. Mit vielen Ecken verbindet die Ismaningerin etwas. "Das ist mein schönstes Platzerl", sagt sie und bleibt vor ihrem Gartenhaus stehen, wo sie von einer Bank aus gerne entspannt ins Grüne schaut. Knott liebt ihren Garten und verfolgt mit Freude, wie die Jugend für Klimaschutz und Insekten auf die Straße geht.

Wenn die gebürtige Münchnerin, die mit ihrem Mann in Ismaning ein Haus baute und 1966 an die Osterfeldstraße zog, von ihrem Leben mit der Familie mit drei Kindern spricht, dann erfährt man von den kleinen und großen Freuden und Mühen des Lebens, die es heute noch gibt. Auch in den Sechzigerjahren war Wohnraum knapp und teuer. Und so jubelten die Familien der Männer von der Münchner Berufsfeuerwehr, als die Stadt auf Ismaninger Flur Grund in Erbpacht anbot.

Eine besonders schöne Geschichte erzählt Charlotte Knott oben am Fenster ihres Schlafzimmers, wo sie einige Töpfe Geranien über den Winter gebracht hat. Sie tragen schon weiße Blüten. "Es sind Duftgeranien", sagt sie. "Riechen Sie mal." Die Pflanzen, die sie Jahr für Jahr im Frühling in schwere Terrakottatöpfe umsetzt, die schon vorbereitet am Rand ihrer Terrasse stehen, hat um das Jahr 1960 herum ihre Mutter von einem Italienurlaub an der Riviera mitgebracht. Knotts Vater war wie ihr Mann bei der Berufsfeuerwehr. Die Geranien ihrer Mutter hingen am Balkon der Dienstwohnung an der Hauptfeuerwehrwache. Für Knott sind es tolle, natürliche Pflanzen. "Diese Geranien wachsen in Italien wild an Felsmauern und blühen weiß."

Doch der Naturgarten-Experte Reinhard Witt, der viele Gärten im Landkreis München gestaltet hat, kann tatsächlich selbst den wilden Geranienarten wenig bis nichts abgewinnen. Er sagt, Geranien stammten ursprünglich aus Südafrika und hätten wie viele andere reine "Gartenschauarten", wie er sie nennt, für die heimische, europäische Insektenwelt keinen Wert. Diese erfreuten vielleicht den Menschen, aber nicht die Tierwelt.

Dabei sehen Knotts Geranien aus Italien anders aus als die Pflanzen, deren schwere Blütendolden von vielen Balkonen hängen. Sie sind eben nicht überzüchtet, ungefüllt, wie man sagt, verfügen also noch über Staubblätter, die Pollen tragen. Aber Witt macht da keinen großen Unterschied. Man solle lieber Ackerglockenblumen oder Bergsteinkraut pflanzen. Jede solche heimische Pflanzenart ernähre zehn Tierarten.

Charlotte Knott hat ihren Garten nicht nach einem Plan angelegt, mit dem Ziel, ein naturnahes Biotop zu schaffen. Mit ihrem Mann pflanzte sie Mitte der Sechzigerjahre zunächst Rosen. Doch bald schauten sie, möglichst keine Chemie mehr einzusetzen und die Natur zu ihrem Recht kommen zu lassen. Knott erinnert sich, wie ihr Mann sich eine Kastanie auf der Gemeinschaftsfläche vor dem Haus wünschte, unter der man sitzen und sich treffen könnte. Es wurde auch eine gesetzt, doch nicht alle fanden das toll. Der Baum kam weg. "Die Gemeinde hat den dann woanders eingepflanzt." Knott hofft angesichts der jungen Leute auf ein Umdenken, darauf, dass die Natur mehr Raum findet und Gärten nicht wie geleckt aussehen müssen.

Die Ismaningerin nimmt die Jugend in Schutz, wie jüngst, als sie zufällig an einem Freitag über den Münchner Marienplatz spazierte und erlebte, wie ein älterer Herr - "so in meinem Alter" - Schüler einer "Fridays-for-future"-Demonstration aufforderte, in die Schule zu gehen. "Warum schimpfen Sie die Kinder so?", fragte sie ihn. "Die machen genau das Richtige. Wir sind es, die die Natur kaputt machen." Charlotte Knott nimmt sich selbst da nicht aus, obwohl sie eine Fotovoltaik- und Solarthermieanlage auf dem Hausdach hat und eine Pelletheizung im Keller. 2012 erhielt sie dafür einen Umweltpreis des Landkreises.

"Der Mensch kann ohne Natur nicht leben. Die Natur braucht uns überhaupt nicht", sagt die Ismaningerin überzeugt. An ihren Geranien freilich hängt ihr Herz.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4439882
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.