Süddeutsche Zeitung

Heizkraftwerk Nord:Der Ärger löst sich nicht in Rauch auf

Nach dem Veto der Bundesnetzagentur gegen die Abschaltung des Kohleblocks sind die Anwohner in Unterföhring wütend auf die Stadt. Sie hoffen, dass die Anlage nur gedrosselt weiter betrieben wird.

Von Ulrike Steinbacher und Sabine Wejsada, Unterföhring

Sie haben es kommen sehen: Dass die Bundesnetzagentur den Kohleblock im Heizkraftwerk München-Nord für systemrelevant hält, wundert in Unterföhring, auf dessen Flur die Anlage steht, niemanden. "Ich bin Realist genug, dass ich genau das erwartet habe", sagt Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer von der Parteifreien Wählerschaft (PWU). Dennoch werde sich die Gemeinde in der Sache "rechtlich begleiten lassen", kündigt er an. So sei man auf der Suche nach einem "vernünftigen Juristen, der unsere Belange vertritt". Auch im Hinblick auf etwaige Vorhaben der Stadtwerke München, auf dem Gelände des Heizkraftwerks "durch die Hintertür" eine Gasanlage zu errichten.

Der örtliche Gemeinderat hatte im Januar dieses Jahres einen entsprechenden Antrag des Münchner Energieversorgers in Bausch und Bogen abgelehnt. Unterföhring befürchtete seinerzeit, am Ende zwei mit fossilen Brennstoffen betriebene Anlagen auf seinem Ortsgebiet stehen zu haben - den Kohleblock und ein Gaskraftwerk.

In der vergangenen Woche hat nun die Bundesnetzagentur die Stilllegung des Münchner Steinkohlekraftwerks untersagt - mit der Begründung, dass die Versorgungssicherheit für die Stadt ohne den Kohleblock nicht zu garantieren sei. Stadtwerke und CSU fühlen sich bestätigt, Gegner rund um das Bürgerbegehren hoffen nun auf eine möglichst zeitnahe Drosselung der Anlage. Das erwartet auch der Unterföhringer Bürgermeister. Eine Klage gegen den Weiterbetrieb des Kohleblocks wird es seinen Worten zufolge nicht geben, den Bescheid der Bundesnetzagentur und die Werte in einem TÜV-Gutachten, über das der Münchner Stadtrat am 19. November beraten wird, "aber wollen wir juristisch überprüfen lassen", sagt Kemmelmeyer.

Laut Bescheid der Bundesnetzagentur in Bonn darf der Kohleblock nicht in drei Jahren abgeschaltet werden, auch wenn das die Münchner im Herbst 2017 in einem Bürgerentscheid so beschlossen haben. Die Anlage in Unterföhring habe Systemrelevanz, heißt es im offiziellen Bescheid vom 28. Oktober. Ein stillgelegtes Kraftwerk würde die Stromversorgung in der Stadt gefährden. Und weil eine Alternative fehle, dürfe der Block nicht vor Ende des Jahres 2024 abgeschaltet werden. Der Grünen-Landtagsabgeordnete und Kreisrat Markus Büchler aus Oberschleißheim sieht in dem Bescheid "ein totales Versagen der Groko im Münchner Stadtrat, was die Energiepolitik angeht". Dass "Bayerns größte CO₂-Schleuder" weiter gebraucht werde, sei Beweis, dass SPD und CSU in den vergangenen knapp sechs Jahren viel zu wenig für den Ausbau der regenerativen Energien, etwa der Geothermie, unternommen hätten und "es vorgezogen haben, dreckige Kohle zu verbrennen".

Büchler fordert die Stadtwerke dazu auf, "den Kohleblock so wenig wie möglich zu nutzen". Die Unterföhringer Anlage sei nicht "zum Gelddrucken" geeignet, sagt der Abgeordnete der Grünen und versichert, dass man "ganz genau hinschauen" werde, was im Heizkraftwerk München-Nord künftig geschehen wird. Wolfgang Stubenrauch vom Unterföhringer Aktionsbündnis "Raus aus der Steinkohle" und Josef Trundt von der lokalen Agenda haben dies ebenfalls im Sinn. Beide sind nach eigenen Angaben nicht überrascht, dass die Bundesnetzagentur ihr Veto eingelegt hat. Das sei erwartbar gewesen, sagt Stubenrauch. Jetzt müsse man anstreben, dass Block 2 nur zum absoluten Reservebetrieb diene und CO₂-reduziert laufe.

Für bedauerlich hält Landrat Christoph Göbel (CSU) die Entscheidung der Bundesnetzagentur. "Im Sinne der Klimaziele des Landkreises wäre der schnellstmögliche Ausstieg aus der Kohleverfeuerung der beste Weg." Der Kreis habe sich bereits 2015 klar positioniert und München aufgefordert, die vom Block 2 ausgehenden Schadstoffemissionen so schnell wie möglich zu reduzieren. Nun sei er auf die Diskussion im Münchner Stadtrat gespannt und hoffe, "dass dort alles darangesetzt wird, die Anlage so weit wie möglich zu drosseln und baldmöglichst ganz abzuschalten".

Auch in Bogenhausen war der Widerstand gegen das Verfeuern von Steinkohle im benachbarten Kraftwerk München Nord immer groß, gerade dort erzielte der Bürgerentscheid hohe Zustimmungsraten. Auch der örtliche Bezirksausschuss hatte sich 2017 hinter die Forderung gestellt, den Kohleblock abzuschalten. Dass er nun doch am Netz bleibt, kommentiert die Bogenhauser Bezirksausschussvorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) mit einem Satz: "Ich find's bescheuert." Sie sei keine Energie-Expertin, räumt Pilz-Strasser ein, und so müsse sie die Tatsachen einfach zur Kenntnis nehmen, wenn auch "mit einem höchst unglücklichen Gefühl im Bauch". Ihrer Meinung nach hätten die Stadtwerke nicht mit allergrößter Hartnäckigkeit daran gearbeitet, den Bürgerentscheid umzusetzen, auch wenn sie diese Einschätzung nicht belegen könne.

Als Beispiel führt die Grünen-Politikerin den Plan des Unternehmens an, als Ersatz für den Kohleblock dezentrale Gasheizwerke über das Stadtgebiet zu verteilen - aus ihrer Sicht eine "Schnapsidee". Den Bürgerentscheid anzustrengen, hält sie auch in Nachhinein noch für richtig, obwohl er letztlich gescheitert ist. "Ein Bürgerentscheid bewegt grundsätzlich was in den Köpfen."

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SZ vom 05.11.2019
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