Süddeutsche Zeitung

Heizkraftwerk Nord:Kohle-Ausstieg in kleinen Schritten

Die Unterföhringer freuen sich über den Erfolg des Bürgerbegehrens gegen die Steinkohleverbrennung im Heizkraftwerk. Bis zum Ausstieg könnte es allerdings noch dauern.

Von Sabine Wejsada, Unterföhring

Sie sind die Hauptbetroffenen, aber mitstimmen dürfen sie nicht, wenn es noch in diesem Jahr zu einem Bürgerentscheid über die Stilllegung des Blocks 2 im Heizkraftwerk Nord kommt. Die Einwohner Unterföhrings leben im Schatten der Anlage, doch über die Dauer seines Betriebs entscheiden allein die Münchner.

Derzeit deutet viel auf einen Bürgerentscheid hin

Die Landeshauptstadt will das Kraftwerk, das die Stadtwerke betreiben und in dem jährlich 800 000 Tonnen Steinkohle verfeuert werden, bis 2035 laufen lassen. Nachdem die Initiatoren des Bürgerbegehrens "Raus aus der Steinkohle" nun 40 000 Unterschriften gesammelt haben, läuft alles auf ein Bürgervotum hinaus. Die Initiatoren hoffen auf eine Abschaltung des Kohleblocks innerhalb der nächsten fünf Jahre.

Vor allem in der Gemeinde Unterföhring verfolgt man den Erfolg der Bürgerinitiative, die genügend Unterschriften gesammelt hat, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen, erwartungsgemäß mit großem Interesse. Für den Unterföhringer Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer (PWU) könnte man den Kohleblock "lieber heute als morgen abschalten"; er sei aber Realist genug zu wissen, "dass die Wärme- und Stromversorgung durch das Heizkraftwerk gesichert sein muss".

"Man kann nicht einfach den Schalter umlegen", sagt Unterföhrings Bürgermeister

Die Dynamik aber, die mit dem Bürgerbegehren ausgelöst worden sei, "ist auf jeden Fall zu begrüßen", sagt Kemmelmeyer. Die Bürgerinitiative "Raus aus der Steinkohle" hält weder Geld noch den modernen Standard des Blocks für ein stichhaltiges Argument. Denn dieser stößt ihrer Erkenntnis nach immer noch mehr Kohlenstoffdioxid aus als alle Autos und Lastwagen in München zusammen. Für Unterföhring wäre es schon sehr begrüßenswert, die Kohleverbrennung zu reduzieren, sagt Kemmelmeyer, auch wenn ein sofortiger Ausstieg vermutlich nicht machbar sei. "Man kann nicht einfach den Schalter umlegen", sagt der Unterföhringer Bürgermeister. Seiner Meinung nach haben das auch die Initiatoren des Begehrens auf dem Schirm. Diese räumen selbst ein, dass Geothermie nicht sofort die Steinkohle bei der Wärmeproduktion gleichwertig ersetzen könnte.

Für den Unterföhringer Bürgermeister ist es nach wie vor überlegenswert, auch im Heizkraftwerk Nord von Kohle auf Gas umzustellen. Solche Pläne lägen seit langem in der Schublade, diese habe er in seiner Zeit als Gemeinderat bereits gesehen, sagt Kemmelmeyer. Von einem solchen Plan hält Grünen-Kreisrat Markus Büchler nichts. Auf seine Initiative hat der Kreistag Ende 2015 mit deutlicher Mehrheit eine Resolution beschlossen, in der die Stadtwerke München aufgefordert werden, die Schadstoffemissionen der Anlage in Unterföhring schleunigst abzustellen.

Büchler findet zwar, "dass es nicht schaden kann, den Stadtwerken und der Stadt München Druck zu machen", allerdings sei ein Ausstieg innerhalb von fünf Jahren wohl nicht zu machen, "ohne sich ein Eigentor zu schießen". Um Wärme- und Stromversorgung sicherzustellen, "müssten wird die Gaskraft hochfahren", glaubt Büchler. Damit aber zementiere man wieder die Verfeuerung von fossilen Brennstoffen. Das könne nicht im Sinne der Umwelt sein, findet Büchler.

Der oberbayerische Grünen-Chef plädiert für einen Ausstieg auf zehn Jahre

Der oberbayerische Grünen-Chef und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei im Kreistag bevorzugt "ein schrittweises Absenken" der Kohleverbrennung in Block 2 des Heizkraftwerks. Deshalb sieht Büchler die Initiative von SPD, CSU und Grünen im Münchner Stadtrat, die Stadtwerke zu einem früheren Ausstieg als 2035 zu verpflichten, für sinnvoll. Demnach sollten die Betreiber prüfen, ob sie den Block zwischen 2027 und 2029 abschalten könnten.

"Ein solches Zehn-Jahres-Ausstiegsszenario hat für mich Hand und Fuß", sagt Büchler. So sollte der Steinkohle-Verbrauch im Sommer auf ein Mindestmaß zurückgefahren werden und die Stadtwerke verpflichtet, von 2020 an die Kohle-Verfeuerung schrittweise von 800 000 auf maximal 400 000 Tonnen herunterzufahren. Denkbar ist laut Büchler auch, dass der Stadtrat dem Bürgerbegehren ein Ratsbegehren entgegen stellt und die Münchner dann über eine Abschaltung entweder in fünf oder zehn Jahren abstimmen.

Seit 1991 ist der Block 2 des Heizkraftwerks am Netz. Die Bevölkerung im Nordosten Münchens ist wegen der vorherrschenden Westwindströmung am stärksten von dem Schadstoffausstoß betroffen. Privatleute und Kommunalpolitiker aus Unterföhring und Ismaning sowie Bogenhausen kämpfen seit langem für den Ausstieg aus der Kohleverbrennung vor dem Jahr 2035. Dass nun, wenn der Bürgerentscheid denn tatsächlich kommt, nur die Münchner Wähler über eine frühere Abschaltung von Block 2 im Heizkraftwerk abstimmen können, die Unterföhringer aber nicht, nimmt Bürgermeister Kemmelmeyer sportlich. "Das kann man nicht ändern", sagt er und erinnert an die dritte Startbahn des Flughafens, wo es genauso war. Bekanntlich haben die Münchner gegen einen Ausbau des Airports gestimmt.

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SZ vom 18.07.2017/gna
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