Naturschutz im Norden von MünchenDie Heide als heimliche Hüterin der Artenvielfalt

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Karg ist die Landschaft in der Fröttmaninger Heide.
Karg ist die Landschaft in der Fröttmaninger Heide. (Foto: Christine Joas)

Auf den kargen Heideflächen nördlich von München fuhren früher Panzer. Heute verbergen sich dort viele Insekten, Amphibien und Pflanzen. Mit einem neuen Buch will der Heideflächenverein den Blick auf diese Naturschönheit vor der Haustür lenken.

Von Irmengard Gnau, Garching

Zuerst ist da dieses Surren. Wie aus einem Orchestergraben voller Streicher tönt es in den Ohren, bringt die Luft zum Schwingen. Das Konzert der Heuschrecken begleitet Spazierende durch die flachen Wiesen und Weiden, die sich von der nördlichen Münchner Stadtgrenze bis nach Eching im Landkreis Freising erstrecken. Hier findet man eine Weite, die in der Region ihresgleichen sucht. Der Horizont öffnet sich, kein Berg drängt in den Blick, das Auge schweift ungestört, nur wenige lichte Kiefernwäldchen säumen das Bild. Schafe weiden in der Ferne. Welche Artenvielfalt sich in diesem ganz besonderen Lebensraum verbirgt, das beschreiben der Heideflächenverein als Herausgeber und Autor Stefan Gerstorfer im jüngst erschienenen Buch „Karge Schönheit zwischen Würm und Isar – Heidelandschaft nördlich von München“.

Auf den ersten Blick ist die Heide nördlich von München eine Landschaft ohne großen Reiz. Eher eintönig wirkt der Magerrasen, der sich über Jahrhunderte auf diesem Teil der Münchner Schotterebene entwickelt hat. Doch je genauer man hinschaut, desto mehr Lebewesen lassen sich entdecken. Die Heide ist eine Welt für sich, ein faszinierender Mikrokosmos aus niedrig blühenden Wiesen und Weiden, die gerade jetzt im Frühjahr und Frühsommer in Tausenden bunten Blüten ihre ganze Pracht entfalten.

Die Münchner Schotterebene ist kein einfacher Lebensraum. Bäume haben es hier schwer, weil Regen auf dem grobkörnigen Schotterboden so schnell versickert, dass ihre Wurzeln nicht genug Feuchtigkeit finden. Zudem enthält das Kalkgestein besonders wenige Mineralien und Nährstoffe. Doch einige Pflanzenarten haben über die Jahrhunderte Methoden entwickelt, dort zu überleben. Mehr als 300 Pflanzenarten haben Experten in der Heide gezählt; sie bilden den Nährboden und Refugium für mehr als 800 tierische Arten von Heidebewohnern, die anderswo zum Teil schon ausgestorben sind, von Schmetterlingen über Wildbienen und Libellen bis hin zu Feldhasen und Goldammern.

Die Heide erstreckte sich einst von München bis beinahe nach Freising, im Gebiet zwischen dem feuchten Moos im Westen und der Isar im Osten. Ein Großteil der Fläche ist heute überbaut oder als Ackerland genutzt. Was übrig blieb, wurde lange eher abschätzig betrachtet. Als „armes, verachtetes Stück Land“ beschrieb der Lehrer und Gelehrte Hans Stieglitz die Landschaft Anfang des 20. Jahrhunderts. Lange wurden die kargen Flächen als militärisches Übungsgebiet genutzt. Bis Ende der Achtzigerjahre fuhren noch Panzer über die Heide am nördlichen Münchner Stadtrand, ließen Gewehrsalven vom Militärgelände südlich von Garching-Hochbrück Fensterscheiben in der Nachbarschaft erzittern. Erst mit dem fortschreitenden Bewusstsein für Artenvielfalt und Umweltschutz rückte die Schönheit und Bedeutung der Heide ins Bewusstsein.

1990 schlossen sich die anliegenden Kommunen Garching, Unterschleißheim, Oberschleißheim, Eching und Neufahrn zusammen, mit dem Ziel, die Heidelandschaft nachhaltig zu bewahren. Später schlossen sich die Landeshauptstadt München sowie die Landkreise München und Freising dem Bund an – der Heideflächenverein war geboren. In Zusammenarbeit mit Landwirten, Verbänden, Wissenschaftlern und lokalen Akteuren ist es gelungen, ein Landschaftskonzept zu entwickeln sowie ein Netzwerk an Expertinnen und Engagierten aufzubauen und sogar einige Flächen wieder zu renaturieren. Heute umfasst die Heide verschiedene Naturschutzgebiete von der europaweit bedeutsamen „Garchinger Heide“ bis zur südlichen Fröttmaninger Heide und dem Mallertshofer Holz.

Wo einst Panzer rollten, weiden jetzt Schafe: die Panzerweise am nördlichen Stadtrand von München.
Wo einst Panzer rollten, weiden jetzt Schafe: die Panzerweise am nördlichen Stadtrand von München. (Foto: Stefan Gerstorfer)
Auch die Blauflügelige Ödlandschrecke lebt in der Heide.
Auch die Blauflügelige Ödlandschrecke lebt in der Heide. (Foto: Stefan Sporrer)

Auf den Flächen finden heute Feldhasen, Rebhühner oder Wachteln einen Rückzugsort, die andernorts durch intensivierte Landwirtschaft kaum noch Verstecke haben. Aus den Gehölzen pfeifen Goldammern und Neuntöter. Flache Pfützen bieten der Wechselkröte, dem Wasserskorpion und dem Sommer-Feenkrebs Lebensraum und den Dutzenden Libellenarten, die durch die Heidelandschaft schwirren, eine sichere Brutstätte.

Autor Stefan Gerstorfer hört man in seinen Texten die eigene Begeisterung für die Heide und ihre Bewohner an. Dem Diplom-Ingenieur für Landespflege gelingt es mit seiner blumigen und zugleich präzisen Sprache, den Lesern Lust darauf zu machen, die Heide selbst zu entdecken. Die Kapitel sind thematisch gelungen zusammengefasst, kurzweilig geschrieben und mit beeindruckenden Tier- und Naturaufnahmen illustriert. Manches Mal stutzt man beim Lesen erstaunt, welch betörende Schönheiten – tierischer oder pflanzlicher Natur – da in den kargen Graslandschaften verborgen leben.

Die Entstehung und Geschichte der Heide wird geologisch wie historisch ausgiebig und spannend beleuchtet. Die Autoren – neben Gerstorfer hat die langjährige Geschäftsführerin des Heideflächenvereins, Christine Joas, an diesem Kompendium über ihr Fachgebiet kenntnisreich mitgewirkt – beschreiben anschaulich, wie durch das Zutun der Eiszeiten, der Natur und des Menschen der Mikrokosmos Heide auf der Münchner Schotterebene erwachsen konnte.

Die Küchenschelle liebt nährstoffarme, durchlässige, trockene und kalkhaltige Böden.
Die Küchenschelle liebt nährstoffarme, durchlässige, trockene und kalkhaltige Böden. (Foto: Stefan Gerstorfer)
Der blaue Enzian ist auch in der Garchinger Heide, einem Naturschutzgebiet innerhalb der Heidelandschaft im Norden von München, zu finden.
Der blaue Enzian ist auch in der Garchinger Heide, einem Naturschutzgebiet innerhalb der Heidelandschaft im Norden von München, zu finden. (Foto: Stefan Gerstorfer)

Neben ihrer inzwischen europaweit anerkannten Bedeutung als Hort der Artenvielfalt beherbergt die Heide auch kostbare Relikte einer bewegten menschlichen Kulturgeschichte, die bis in die Bronzezeit zurückreicht. So lassen sich etwa im Naturschutzgebiet Garchinger Heide noch Hügelgräber erkennen, die vor schätzungsweise 1500 Jahren errichtet wurden. Seither hat der Mensch der Heide Siedlungs- und Ackerflächen abgerungen, sie diente ihm als Weide, als Jagdrevier bayerischer Kurfürsten und nicht zuletzt als Truppenübungsplatz.

Der Heideflächenverein will Leserinnen und Leser mit seinem Buch, wie es im Vorwort heißt, „für die Schätze der Heidelandschaft“ begeistern, und getreu dem Motto „Was man liebt, das schützt man“ motivieren, diesen sensiblen Lebensraum zu achten und zu bewahren. Von der verborgenen Pracht und Vielfalt dieses besonderen Landschaftstyps können sich Anwohnende vielleicht beim nächsten Spaziergang überzeugen. Der Heideflächenverein selbst bietet mit dem Infozentrum Heidehaus unweit der U-Bahnhaltestelle Fröttmaning ein vielseitiges Programm für Kinder und Erwachsene, etwa Entdeckungstouren in den Schulferien.

Stefan Gerstorfer „Heidelandschaft nördlich von München – Karge Schönheit zwischen Würm und Isar“, 280 Seiten, erhältlich beim Heideflächenverein Münchener Norden per E-Mail an info@heideflaechenverein.de oder unter der Telefonnummer 089/3195730 sowie im lokalen Buchhandel.

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