Pflegenotstand:Nervenprobe auf Station

Heckscher-Klinikum Haar, 2019

Das Heckscher-Klinikum Haar ist Teil des Verbunds der Kliniken des Bezirks Oberbayern (KBO) und im Bereich , Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie tätig.

(Foto: Claus Schunk)

An der neuen Heckscher-Klinik in Haar ist mangels Personal nur eine der drei Abteilungen in Betrieb, die Forensik nebenan längst überbelegt. Mediziner sehen die psychiatrische Grundversorgung im Raum München in Gefahr.

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Personalmangel in der Pflege trifft die Kliniken des Bezirks in Haar: Zweieinhalb Jahre nach ihrer Eröffnung hat die dort neu errichtete Niederlassung der Heckscher-Klinik für schwerkranke Kinder und Jugendliche erst eine von drei Stationen in Betrieb nehmen können. Auch das deutlich größere Isar-Amper-Klinikum in Haar (IAK) schlägt Alarm: Die Qualität der psychiatrischen Grundversorgung im Raum München stehe auf dem Spiel. Die Forensik ist längst überbelegt. Die Lage verschärft, dass infolge Corona und dem Zuzug in die Region die Patientenzahlen steigen. Hoffnung liegt auf einer neuen Regierung in Berlin.

Leere Betten auf Stationen, die trotz moderner Ausstattung nicht belegt werden können: Das erinnert an Zustände in vielen Kindertagesstätten, in denen Gruppenräume verwaist sind, weil Fachpersonal fehlt, das diese mit Leben erfüllt. Die Folgen für Eltern sind gravierend. Noch ist der Fall an der kleinen Spezialeinheit der Heckscher-Klinik in Haar eine Ausnahme. Psychiatriepatienten werden im Münchner Raum bisher versorgt. Aber der Chef des Klinikbetriebs des Bezirks Oberbayern, Martin Spucki, warnt mit IAK-Geschäftsführer Franz Podechtl und weiteren Klinik-Chefs aus ganz Deutschland davor, dass sich die Situation bundesweit zuspitzen könne. Bei einem Pressegespräch aus Anlass der Jahrestagung der Fachgruppe psychiatrische Einrichtungen im Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) in Haar appellierten sie an die Politik, den Pflegeberuf attraktiver zu machen, Studienanforderungen für Ärzte herunterzuschrauben und ein "Bürokratiemonster" zu verhindern.

So drohen vor allem kleinen Einheiten zusätzliche Schwierigkeiten, wie sie das IAK in München und in der Region mit acht Standorten aufgebaut hat, um dezentral zum Beispiel in Schwabing und Fürstenfeldbruck wohnortnah für Psychiatriepatienten da zu sein. Eine Richtlinie zur Personalausstattung sieht einschneidende Budgetkürzungen bis zu 70 Prozent für Berufsgruppen vor, wenn sich nachträglich erweist, dass auch nur eine Stunde in der Pflege eines Patienten nicht personell hinterlegt ist. Laut IAK-Chef Podechtl könnte schon ein Krankheitsfall in Fürstenfeldbruck schwerwiegende Folgen mit sich bringen. Die Regelung ist wegen der Pandemie für dieses und kommendes Jahr ausgesetzt. Danach aber gefährde das Sanktionssystem gerade kleine, personell wenig flexible Einheiten, betonen die Klinikchefs. Berlin müsse das korrigieren, die Personalnot bekämpfen und die Psychiatrie besser finanzieren.

In Bayern sind die Psychiatrie-Kliniken noch relativ gut aufgestellt, heißt es. Beim Klinikbetrieb des Bezirks will man auch trotz drohender Budget-Probleme die verfolgte Strategie fortführen, den großen "Klinik-Tanker" in Haar mit vielen Betten in einen dezentralen und großteils ambulant agierenden Betrieb umzuwandeln. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung beschleunigt. Digitale Sprechstunden wurden etabliert. Patienten werden heute wie auf Station zuhause versorgt. Mit Hilfe stationsäquivalenter Einheiten könne man bei hoher Qualität den Patientenzuwachs auffangen, ohne auf Station Personal aufzubauen, so Podechtl.

VKD-Präsident Josef Düllings fordert, mehr darauf zu achten, wie es Patienten nach ihrer Entlassung aus der Klinik geht. Dafür fehle es an Psychotherapeuten. "Wenn ein Patient fünf, sechs Monate auf einen Psychotherapieplatz warten muss, dann ist der Drops gelutscht. Dann geht der Patient wieder ins Krankenhaus."

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