Medizinische Versorgung:Ärzte schmerzlich vermisst

Medizinische Versorgung: Kinderarzt Philipp Schoof kann in Unterföhring nur Kinder aus der Gemeinde behandeln.

Kinderarzt Philipp Schoof kann in Unterföhring nur Kinder aus der Gemeinde behandeln.

(Foto: Claus Schunk)

Im Landkreis fehlen Haus- und Kinderärzte. Der Grund sind die vielen Praxen in der Stadt. Landrat Göbel hat daher an Gesundheitsministerin Huml geschrieben.

Von Daniela Bode, Bernhard Lohr und Stefan Galler

Wer sich in Brunnthal um diese Jahreszeit eine Erkältung einfängt, hat es doppelt schwer: Er muss, womöglich noch mit Fieber, sehen, wie er nach Ottobrunn oder zumindest Höhenkirchen kommt. Denn am Ort gibt es bisher keinen Hausarzt - in einer Gemeinde, die nicht auf dem strukturschwachen Land liegt, sondern mitten im Großraum München. Doch das soll sich nun immerhin ändern: Zwei Allgemeinärztinnen wollen im Gemeindehaus eine Gemeinschaftspraxis eröffnen. Der Umbau soll im Mai beginnen - vorausgesetzt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) genehmigt ihren Antrag.

Denn das ist das Problem: Ein Arzt kann nicht einfach eine Praxis eröffnen. Die Vergabe von Kassenzulassungen ist stark reglementiert, um Überversorgungen zu vermeiden. Zulassungen werden von der KVB in Planungsbereichen vergeben, und da zählen die Stadt München und der Landkreis zusammen, auch wenn ein Allgemeinarzt in Schwabing Patienten in Brunnthal wenig hilft. Offiziell ist der Landkreis daher ausreichend mit niedergelassenen Ärzten versorgt, tatsächlich gehören lange Wartezeiten und Praxen, die über Überlastung klagen, zum Alltag.

Medizinische Versorgung: Kinderarzt Philipp Schoof kann in Unterföhring nur Kinder aus der Gemeinde behandeln.

Kinderarzt Philipp Schoof kann in Unterföhring nur Kinder aus der Gemeinde behandeln.

(Foto: Claus Schunk)

Denn die Praxen sind im Landkreis zudem äußerst ungleich verteilt. Grünwald etwa hat bei 11 000 Einwohnern zwölf Hausärzte, in Unterschleißheim sind es bei 30 000 Einwohnern mit 13 kaum mehr. Landrat Christoph Göbel (CSU) hat sich jetzt in einem Brief an Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) mit der Bitte gewandt, ihren "Einfluss auf die Vergabe von Kassenzulassungen gerade im hausärztlichen Bereich geltend zu machen". Er erfahre häufig von Fällen, in denen ältere kranke oder gehbehinderte Menschen keine medizinische Betreuung in Wohnortnähe erhielten oder in denen Arztpraxen wegen Überlastung keine Patienten mehr aufnähmen, so der Landrat in seinem Brandbrief an die Ministerin. Darin fordert Göbel, von der "stark schematisierten zentralen Berechnungsgrundlage" bei der Ärztezulassung abzuweichen.

Dass im Landkreis immer mehr Ärzte benötigt werden, liegt zum einen daran, dass dieser immer mehr wächst; mittlerweile leben mehr als 350 000 Menschen hier. Auch die Lebenserwartung steigt und damit der Anteil alter und kranker Menschen. Doch nicht nur für sie fehlen Ärzte, sondern auch für die kleinen und jungen Patienten.

Seit Jahren setzt sich Unterföhring, eine der kinderreichsten Kommunen Bayerns mit 1448 Kindern unter zehn Jahren, für eine Kinderarzt-Praxis ein. Seit 2014 gibt es wenigstens eine Filiale. Die betreibt Kinder- und Jugendarzt Philipp Schoof neben einer Gemeinschaftspraxis in Bogenhausen. Er hält das bestehende System für überholt. "Diese Regelungen bestrafen Engagement", sagt Schoof, der gerne eine Niederlassung in Unterföhring aufmachen würde. Dann könnte er mehr Kinder versorgen. Weil Filialpraxen rechnerisch zur Hauptpraxis zählen, ist seine Patientenzahl gedeckelt.

220 Hausärztinnen und -ärzte

gibt es in den 29 Städten und Gemeinden des Landkreises München - damit kommt rechnerisch ein niedergelassener Arzt auf 1590 Einwohner. Damit ist die Versorgung auf den ersten Blick gewährleistet, denn laut einem aktuellen Beschluss des Bedarfsausschusses, dem Ärzte, Kliniken und Krankenkassen angehören, muss in Deutschland eine Quote von einem Arzt pro 1609 Patienten gewährleistet sein. Allerdings variiert die Quote der niedergelassenen Hausärzte in einzelnen Kommunen erheblich.

"In Unterföhring nehmen wir nur noch Unterföhringer auf." Kinder aus Nachbargemeinden leite er in die Hauptpraxis in Bogenhausen weiter, sagt der Arzt, der Obmann des Berufsverbands für Kinder- und Jugendärzte für Stadt und Landkreis München ist. Auch wegen eines Mangels an Fachpersonal komme es zu Engpässen. Akutsprechstunde habe er nurmehr wochentags von 10 Uhr bis 11.

30 Uhr, donnerstags gar nicht. Barbara Capelle, die eine Kinder- und Jugendpraxis in Unterhaching betreibt, würde ebenfalls gerne weitere Patienten aufnehmen, kann aber nicht. Familien aus Nachbarkommunen müsse sie wegschicken. Grund seien die Vorgaben der kassenärztlichen Vereinigung und die Deckelung beim Budget. Dank einer zweiten Kinderärztin als Jobsharing-Assistentin habe sie zwar Kapazitäten, "aber die Leistungen bekomme ich nicht bezahlt", sagt sie. Überschreite sie das vorgesehene Budget, müsse sie sogar Strafe zahlen.

Ihr Unterföhringer Kollege Schoof sieht die Bedarfsplanung der KVB kritisch. Wie viele Patienten auf einen Arzt kommen dürften, sei eine rein mathematische Größe. Bei der Verteilung der Ärzte werde zudem geschaut, wie weit der nächste Arzt entfernt und ob der Weg dorthin zumutbar sei. Deshalb sei in Unterföhring keine eigene Praxis möglich. "Dabei sind solche Dinge wie Computerspielsucht oder Fettleibigkeit bei Kindern, die heute eine Rolle spielen, gar nicht berücksichtigt", beklagt Schoof.

Medizinische Versorgung: Die beiden Allgemeinmedizinerinnen Claudia Bibracher (links) und Christina Adamczyk wollen in Brunnthal die erste Hausarztpraxis eröffnen.

Die beiden Allgemeinmedizinerinnen Claudia Bibracher (links) und Christina Adamczyk wollen in Brunnthal die erste Hausarztpraxis eröffnen.

(Foto: Claus Schunk)

Zurück nach Brunnthal. Dort hat Bürgermeister Stefan Kern (CSU) nach jahrelangen Bemühungen und Tausenden Euro für Anzeigen die beiden Allgemeinmedizinerinnen Claudia Bibracher und Christina Adamczyk zusammengebracht, die in der Gemeinde wohnen und bisher in Oberhaching und Unterhaching in Praxen arbeiten. Die Räume im Gemeindehaus, in denen beide ihre gemeinsame Praxis eröffnen wollen, stellt die Gemeinde günstig zur Verfügung. Dennoch sagt Bibracher: "Es ist schon ein Wagnis für uns beide." Das Ganze sei mit hohen Kosten verbunden. Bedarf sei aber offenbar vorhanden. Kollegen aus umliegenden Gemeinden wie Höhenkirchen-Siegertsbrunn, wo es immerhin sieben niedergelassene Ärzte gibt, oder Sauerlach (fünf) hätten sie beglückwünscht und würden gerne Patienten nach Brunnthal schicken.

Dass die Gemeinde nun überhaupt erstmals eine allgemeinärztliche Praxis bekommen könnte, liegt daran, dass die beiden Medizinerinnen die kassenärztliche Zulassung eines Arztes aus Nymphenburg übernehmen. Von der KVB, die die Mitnahme der Zulassung nach Brunnthal noch genehmigen muss, fühlen sich die Ärztinnen unterstützt. Dort erkenne man die Probleme im Umland. Der Schritt von Bibracher und Adamczyk ist in jedem Fall ungewöhnlich: Niedergelassene Ärzte zieht es mit ihren Praxen selten aufs Land und in der Regel in Gegenden mit eher gut betuchten Patienten. Das bestätigt Brigitte Dietz, Kinder- und Jugendärztin in Taufkirchen und stellvertretende Landesvorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Bayern: Ein neuer Kinderarzt in München werde sich vermutlich nicht im Hasenbergl niederlassen, wo es großen Bedarf gebe, sagt Dietz, sondern in Nymphenburg oder Bogenhausen. Im Landkreis wäre das genauso.

"Es müsste viel kleinteiliger geplant werden." Wie ihr Unterföhringer Kollege Schoof und Landrat Göbel kritisiert Dietz das starre System. Dass es trotz offizieller Überversorgung mit Kinderärzten im Landkreis de facto nicht ideal aussieht, hänge auch mit veralteten Zahlen zusammen. "1993 gab es eine Niederlassungssperre, seitdem gab es keine neuen Zulassungen", sagt die Kinder- und Jugendärztin. Aber sehr wohl mehr Kinder. Ende 2018 lebten bereits mehr als 35 000 unter Zehnjährige im Landkreis. Trotzdem sind nach neuen Berechnungen des gemeinsamen Bundesausschusses zwar vier weitere Niederlassungen für die Stadt vorgesehen, aber keine weiteren für den Landkreis, wie KVB-Sprecher Martin Eulitz der SZ bestätigt.

Claudia Bibracher und Christina Adamczyk wollen in Brunnthal auch Kinder behandeln und natürlich ältere Menschen. Sie denken an Hausbesuche und Besuche in Seniorenheimen sowie psychotherapeutische Versorgung. Bibracher arbeitete früher in der Psychiatrie, ehe sie umsattelte. Warum? "Ich wollte mal wieder jemanden mit Schnupfen sehen."

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