Süddeutsche Zeitung

Halbzeit im Münchner Landratsamt:Der Rastlose

Landrat Christoph Göbel hat sich bei der Ankunft Tausender Flüchtlinge Sporen als Krisenmanager verdient. Inzwischen sind die Themen im Kreistag weniger spektakulär, doch der Gräfelfinger CSU-Politiker ist nicht weniger arbeitsam.

Von Martin Mühlfenzl

Wenn es in ihm kocht, nimmt der Kopf eine leicht rötliche Färbung an, tippt der Zeigefinger der rechten Hand auf die Tischplatte. Das Haupt nach vorne gerichtet drehen sich die Augen gefährlich funkelnd in Richtung desjenigen, den er als Auslöser seiner Unzufriedenheit ausgemacht hat. Es wird dann ganz still im Sitzungssaal am Mariahilfplatz, Christoph Göbel muss die Stimme nicht erheben, um sich Gehör zu verschaffen. Alle im Raum wissen, dass der oberste Kommunalpolitiker im Landkreis München gleich ernst machen wird.

Es kommt bei Landrat Göbel (CSU) nicht oft vor, dass er die Macht und Autorität, die das Amt natürlich mit sich bringt, ausspielt. Unlängst war das allerdings so. Als ihm ein Vertreter des MVV zu der Frage, ob eine Buslinie in Unterschleißheim um eine Station verlängert werden könnte, entweder keine Antwort geben konnte - oder wollte - ließ Göbel ihn gnadenlos auflaufen und führte ihn mit nadelstichartigen Nachfragen vor. Am Ende ließ er den Ausschuss einfach abstimmen, die Buslinie soll verlängert werden. Egal, was der MVV sagt - oder eben nicht.

Ein Regionalbus, eine Station mehr oder weniger, das mag nach einer Kleinigkeit klingen. Doch ist der Nahverkehr fester Bestandteil im Werkzeugkasten eines Landrats. Die Bürger spüren es sofort, wenn sich Bus-Taktungen ändern und eine Haltestelle mehr oder weniger kann so eine ähnliche Wirkung entfalten, wie wenn Christoph Göbel an den ganz großen Rädern der Politik dreht. Die nämlich prägten seine ersten drei Jahre als Landrat: die Versorgung und Integration tausender Flüchtlinge, die Schulbau-Offensive und - natürlich - die Mobilität.

Was aber hat Göbel in diesen drei Jahren erreicht? Ist er der Richtige im Amt? Otto Bußjägers Antwort kommt einer Liebeserklärung gleich. "Christoph Göbel ist ein absoluter Glücksfall für den Landkreis München", sagt der Kreisrat der Freien Wähler, der mit dem Christoph natürlich per Du ist. Und weil das noch nicht reicht eine kleine Prophezeiung Bußjägers: "Er kann ein ganz, ganz großer Landrat werden."

Am Wahlabend, dem 30. März 2014, war es die pure Erleichterung, die Göbel und seinen Getreuen nach dem Sieg in der Stichwahl gegen seine Kontrahentin von der SPD, Annette Ganssmüller-Maluche, anzusehen war. Da lag sich der neue Landrat mit seinen Gefährten aus Junge-Union-Zeiten in den Armen; wie Schulbuben, die mit Ach und Krach die Mathearbeit nicht versemmelt haben, hüpften sie durch das Foyer des Landratsamtes. Viele glaubten damals, ein schwacher Landrat von Weidenbuschs und Schelles Gnaden würde in die Behörde am Mariahilfplatz einziehen. Sie alle haben sich getäuscht. Das ist so offensichtlich, dass auch bei Grünen und SPD der Respekt vor Göbel nach drei Jahren enorm ist.

Vor allem seine Haltung und sein Einsatz - ohne Rücksicht auf sich selbst - verschaffen dem 42-Jährigen Achtung. "Wir müssen wirklich froh sein, gerade beim Thema Flüchtlinge einen solchen Landrat zu haben", sagt der Fraktionschef der Grünen, Christoph Nadler. "Das Tempo, das er vorlegt, ist wirklich beeindruckend."

Tatsächlich vergeht kaum eine Bürgerversammlung und Informationsveranstaltung in einer der 29 Städte und Gemeinden des Landkreises, an der Göbel nicht teilnimmt. Die Umstellung seines Dienstwagens auf ein Elektrofahrzeug wird allein deshalb verhindert, weil der Landrat schlicht zu viele Kilometer abspult.

Sogar die ehemalige SPD-Kontrahentin ist voll des Lobes

Auch seine Stellvertreterin und in der Stichwahl unterlegene Mitbewerberin von der SPD, Annette Ganssmüller-Maluche, adelt Göbel in der Flüchtlingspolitik. Ihm sei es zu verdanken, dass die Menschen schnell und menschenwürdig untergebracht worden seien. "Er hat sich da als Krisenmanager wirklich bewährt", sagt Ganssmüller-Maluche.

Dann stockt sie kurz - und auch die Eloge findet ein jähes Ende. "Mittlerweile ist die Arbeit im Landratsamt verbesserungswürdig. Vor allem viele Helferkreise fühlen sich allein gelassen", sagt die Sozialdemokratin. Immer wieder erreichten sie Klagen über mangelnde Kommunikation mit der Stabsstelle Asyl, die Göbel als eigenes Referat ins Leben gerufen hat, um die Arbeit zu professionalisieren. Probleme bei der Erteilung mit Arbeitserlaubnissen würden laut, die Feel-Home-Häuser, sagt Ganssmüller-Maluche, seien nicht mehr zeitgemäß. "Noch mal", sagt sie. "Ich kann mich null Komma null über die Zusammenarbeit mit dem Landrat beschweren. Aber im Amt gibt es viel zu tun."

Die stellvertretende Landrätin weiß natürlich auch, dass das Landratsamt unter ständiger Beobachtung durch die Staatsregierung steht. Immer wieder wird kolportiert, der Freistaat nehme direkt Einfluss auf die Asylpolitik des Landkreises , etwa bei der Vergabe von Arbeitserlaubnissen oder der Anerkennung von Asylbewerbern. Landrat Göbel sitzt hier zwischen den Stühlen. Er ist selbst Christsozialer, weiß, dass er alle Fraktionen braucht, wenn es um die gesellschaftliche Akzeptanz seiner eher liberalen Asylpolitik geht. Er muss die Helferkreise ebenso bei der Stange halten wie die Bürgermeister.

Manchmal aber fährt er unmissverständliche Attacken gegen die Staatsregierung. Sagt, die Flüchtlinge müssten arbeiten, sonst drohten Konflikte in den Unterkünften. Fordert mehr finanzielle Unterstützung. Preist das Sicherheitskonzept mit Wachleuten in allen Unterkünften als Pilotprojekt und will auch hierfür Geld vom Freistaat. Fordert mehr Unterstützung bei der Erledigung eigentlich staatlicher Aufgaben auf kommunaler Ebene.

Es ist der Spagat eines ewig Rastlosen. "Ich weiß nicht, was er, was wir als Kreistag, noch alles hätten machen können", sagt Otto Bußjäger und meint nicht nur die Flüchtlingspolitik. Göbel habe die Mobilität vorangetrieben, den ersten Radschnellweg auf den Weg gebracht, die Schulbauoffensive gestartet, eine neue Energievision aufgelegt. Und doch bleibe einiges zu tun, sagt der Grüne Christoph Nadler: "Beim Thema Mobilität würde ich mir noch mehr wünschen, auch bei der Umstellung auf erneuerbare Energie."

Und die Genossin schaltet in den Angriffsmodus: "Mir fehlen die Fakten, die Ergebnisse", sagt Ganssmüller-Maluche. "Wenn er in dem Tempo weitermacht, wird er nicht ein Zehntel von dem erricht haben, was Johanna Rumschöttel erreicht hat." Rumschöttel war Landrätin vor Göbel. Oder was Annette Gannsmüller-Maluche hätte erreichen können? "Hätte ich die Wahl gewonnen, hätte es den Spatenstich für die U-Bahn nach Martinsried schon gegeben", sagt sie. "Aber auch da ist noch nichts passiert. Es sind viele schöne Worte, er ist viel umjubelt worden. Aber was ist wirklich erreicht worden bisher?"

Helmut Blank aus Ottobrunn, der für das Landratsamt Kompetenzanalysen für Flüchtlinge erstellt, sagt, dem Landrat werde vertraut, denn er höre zu. Bußjäger erzählt: "Wenn ich ihm um 2 Uhr nachts eine E-Mail schreibe, habe ich um 2.04 Uhr eine Antwort."

Was in den drei Jahren im Kreis sicher anders geworden ist: Noch nie wurde bei Sitzungen so viel gelacht. Das liegt freilich daran, dass die CSU ihre Hausmacht zurückerobert hat und keine Fundamentalopposition mehr gegen eine rote Landrätin betreiben muss. Doch sicher hat es auch mit einem Landrat zu tun, der nur selten seine Macht ausspielt. Und das eigentlich nie gegen Kollegen im Kreistag.

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SZ vom 15.05.2017/wkr
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