Haar:Vorlesung als Abrechnung

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Mehr Professor als Politiker: Joachim Starbatty drängt in Haar auf Veränderungen in der Europolitik. (Foto: Bardehle)

Vom Hörsaal in den Bürgersaal: Der AfD-Politiker Starbatty zieht in Haar vor 240 Zuhörern den deutschen Ausstieg aus dem Euro in Betracht

Von Bernhard Lohr, Haar

Jürgen Rose ist nicht zum Vergnügen da. Er macht es sich so bequem wie gerade nötig. Er hat seine Jacke noch an, den Stift und den Block aber griffbereit. Der Rentner ist aus Bregenz mit dem Zug nach Haar gekommen. Er sitzt am Freitagabend erwartungsfroh in dem mit knapp 240 Personen fast voll besetzten Bürgersaal. Er will hören, wie das so ist mit dem Euro, der Europäischen Zentralbank und mit Griechenland. "Ich hoffe, dass ich einige gute Ideen bekomme", sagt Rose. Denn er will bei seinem örtlichen AfD-Stammtisch ein Referat über den Euro halten. Sein Ideengeber: Joachim Starbatty, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen, und Europapolitiker der Alternative für Deutschland (AfD).

Den Professor kann der Politiker Starbatty nicht ablegen. Er wirkt bei seinem Auftritt, als hätte er seine volkswirtschaftliche Vorlesung vom Hörsaal in den Bürgersaal verlegt. Er scheut sich nicht, komplexe Zusammenhänge darzulegen, und die Mehrzahl der Zuhörer schätzt offenbar genau das. Man will lernen, verstehen und nickt kräftig, als der Dozent erklärt, warum aus seiner Sicht eine Union der "Ungleichen" nicht funktionieren kann. Diese wissenschaftlich nachvollziehbaren Fakten und Gesetzmäßigkeiten, so seine Botschaft, hätten aus dem als Friedensunion angepriesenen Europa eine "Streitgemeinschaft" gemacht. Doch so professoral das alles wirkt, was Starbatty vor den überwiegend älteren Semestern im Haarer Bürgersaal in ruhigen Ton vorträgt; die politische Botschaft gibt es scheinbar nebenbei oben drauf. Und die ist unmissverständlich. Sollte Griechenland nicht aus der Währungsunion ausscheiden, sagt Starbatty, dann müsse es Deutschland eben selber tun. "Schluss mit der Eurorettung, Rote Karte für Draghi" - so ist unübersehbar neben dem Rednerpult die Bühne plakatiert.

Es sind Plakate, die seit Wochen in Haar und in Teilen des Landkreises nicht zu übersehen sind. Die AfD sieht sich im Münchner Umland, der einstigen Hochburg der Liberalen, als Nachfolgerin der FDP. Etwa 160 Mitglieder zählt die Partei laut Kreisvorsitzendem Ulrich Riediger. Rührig ist sie in Haar, wo Ulrike Schütt vergangenen Oktober den ersten Ortsverband im Landkreis gründete und wo sich monatlich zu politischen Stammtischen ein treues Publikum versammelt. Von den 240 Zuhörern im Bürgersaal sind aber die wenigsten aus Haar und Umgebung, und manche kommen sogar von Bregenz angefahren, um dort im Ortsverband den nächsten politischen AfD-Stammtisch vorzubereiten.

In Haar macht Ulrike Schütt mit viel Einsatz Basisarbeit. Sie begrüßt an dem Starbatty-Abend am Eingang die Leute persönlich, verteilt einen eigens zu dem Anlass angefertigtes Hochglanz-Flugblatt, hält Mitgliedsanträge bereit und drückt Gästen einen Teilnehmerfragebogen in die Hand. Sie sollen sagen, warum sie gekommen sind, wie sie aufmerksam wurden auf die Veranstaltung und was für Themen sie noch interessieren würden. Viele Mitglieder aber hat der AfD-Ortsverband Haar/Grasbrunn/Putzbrunn noch nicht an sich gebunden. Etwa 15 Mitglieder zähle man, sagt Schütt, genau kann sie es aus dem Stegreif nicht sagen.

An diesem Abend in Haar ist die AfD mit Starbatty ganz die Partei der Eurokritiker. Kein Wort über eine angebliche Islamisierung Europas, kein Wort über Pegida. Auf dem Tisch am Eingang in den Bürgersaal liegt neben dem Mitgliedsantrag ein Flugblatt, das die angeblich "explodierende Kriminalität" thematisiert. Stephan Schmidt aus Aschheim macht im AfD-Landesvorstand die Programmarbeit. Er sagt am Rande des Abends in Haar, im Exportland Bayern stünden Wirtschaftsthemen im Vordergrund. Doch ihm bereite auch der Zuzug Sorgen. "Das wird dann zum Problem, wenn die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft nicht ausreicht."

Mancher der aus dem Gasthof zur Post rüberschaut zur AfD-Veranstaltung, wundert sich über den vollen Saal. Unglaublich: 240 Zuhörer bei der AfD. Das ist zu hören. Viele hat offensichtlich die Euro-Rettungspolitik angelockt. Volker Pongratz aus Haar bekennt, er habe Sorge um seine Ersparnisse. Einer der jüngeren Besucher der AfD-Veranstaltung ist Florian Krämer aus Ottobrunn. Er sagt, die Politiker, die gewählt worden seien, hätten nichts zu entscheiden. Die Fäden zögen im Hintergrund Wirtschaftsbosse, die nicht gewählt seien. Ähnliches hatte Starbatty gesagt. Ein älterer Herr regt am Schluss noch an, dieser möge seine Rede zum Nachlesen ins Internet stellen - wie ein Student, der sich aufs Examen vorbereitet.

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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