Süddeutsche Zeitung

Haar:Von Mädchen und Magnolien

In den Ateliers in der Hans-Pinsel-Straße in Haar arbeiten fünf Künstler Tür an Tür. Ihre erste gemeinsame Werkschau vor geladenen Gästen an diesem Wochenende zeigt eine breite Stilvarianz, von Abstrakt bis zum "Fantastischen Realismus"

Von Franziska Gerlach, Haar

Corinna Weiss ist jedes Mal froh, wenn ihre Mädchen wieder da sind. Auch wenn sie nur beim Rahmen waren. Nachdem sie innerhalb von anderthalb Jahren annähernd 50 von ihnen gemalt hat, eines zauberhafter als das andere, ist eine persönliche Beziehung entstanden. "Das sind irgendwann die Kinder", sagt die Künstlerin. Jetzt gerade hat sie alle um sich versammelt, an den Wänden und auf Staffeleien warten die Bilder auf ihren großen Auftritt, denn: An diesem Wochenende wird Weiss "die Mädels" zum ersten Mal öffentlich präsentieren.

Vor 200 geladenen Gästen wird nicht nur Weiss ihren Werkzyklus "Die Botschaften hinter dem Sichtbaren" ausstellen, auch Hannes Höfler, R. Fancher Brinkmann, Mario Gerschlauer und Maria Öhlin-Lostetter haben zur Eröffnung der Hans-Pinsel-Ateliers im Haarer Gewerbegebiet geladen, als Gast ist zudem die Porzellanschmuckkünstlerin "Porzarella" dabei. Gemeinsam nutzen die Künstler das Haus mit den großen Fenstern, auch eine Modefirma und ein Finanzdienstleister haben dort ihre Büros.

Weiss ist im Mai 2014 eingezogen, etwa zur selben Zeit wie R. Fancher Brinkmann. Anfang 2015 kam Hannes Höfler dazu. Beide waren zuvor im "Lebensraum Kunst" in Hohenbrunn. Nun arbeiten sie in Haar wieder Tür an Tür. Konkurrenzdenken? Nicht doch. "Das Schöne ist, dass jeder etwas Anderes macht", sagt Weiss. Insofern sei es eher so, dass man sich auch einmal einen Rat holen könne, wenn man mit einem Bild nicht weiter komme, sich unschlüssig ist, ob es bereits fertig sei oder nicht. Auch Höfler und Brinkmann bestätigen das angenehme Miteinander im Haus. Wenn allerdings bei Weiss die Tür zu ist, braucht sie ihre Ruhe, weiß Höfler, der sich auf Aquarell- und Acrylmalerei spezialisiert hat. Er versteht das. Manchmal müsse man sich eben konzentrieren.

Zehn Jahre ist es her, dass Weiss ihre Karriere in der Verlagsbranche gegen die Malerei getauscht hat. Heute fährt sie täglich in ihr Atelier, selbst als es in diesem Sommer so brütend heiß war, arbeitete sie ohne Unterlass an den Mädchen mit den vollen Lippen und den dunklen Augen, die einen sogleich fesseln und hineinziehen in das Bild. Mit immer anderen Techniken schafft die Ottobrunnerin Wesen von sinnlicher Schönheit, nur einmal stellt sie ihnen einen jungen Mann zur Seite, ein knabenhafter Typ ist es, manchmal flankieren auch Fabeltiere ihre Mädchen. Wer über ihre soziohistorische Dimensionen sinniert, wird Bezüge zu Paul Gauguin und seinen Südsee-Bildern herstellen, vielleicht auch zu Gustav Klimt oder Marc Chagall, ihr Kunstprofessor ordnete Weiss dem Fantastischen Realismus zu, dem bei ihr aber nichts Düsteres, Schweres anhaftet. Warm und freundlich sind die Weiss' Welten, ihre Kunst verführt regelrecht zum Träumen. Wie man diese Realitätsflucht allerdings gestaltet, bleibt jedem selbst überlassen. Ist es ein Reh, das sich da an das Mädchen schmiegt, fragt man sich, befinden sie sich vielleicht in einem Märchenwald? Und schon ist man mittendrin in der Geschichte, die ihre Bilder erzählen.

Auch wer die Magnolien betrachtet, die Hannes Höfler geschaffen hat, wird sich womöglich inmitten zierlicher Äste wiederfinden. Der Hintergrund ist in einem satten Blau gehalten, Weiß und Rosa setzten sich die Blüten davor ab, ein wohl dosiertes Spiel der Kontraste ist dem gelernten Tiefdruckretuscheur hier geglückt, auf den ersten Blick wirkt das im Treppenhaus gehängte Bild wie eine Fotografie. Originalgetreu, aufs Wesentliche reduziert. Und im Übrigen so völlig anders als die Kunst von R. Fancher Brinkmann. Die gebürtige Amerikanerin stellt schon seit 1995 aus, trotzdem freut sie sich darauf, ihre Bilder nun in der neuen Ateliergemeinschaft zu präsentieren.

Die studierte Architektin widmet sie sich gerne dem Akt, das Zeichnen liegt ihr. Hauptsächlich hat sich Brinkmann aber dem Abstrakten verschrieben. "November has come" lautet der Titel jenes Bildes, auf dem sie die Lichtverhältnisse dieses für gewöhnlich unwirtlichen Monats in Öl eingefangen hat. Über die gesamte Fläche erstreckt sich die Annäherung von Hell und Dunkel, oben im Bild ist es noch Tag, von unten aber schiebt sich bereits die Nacht hinauf, so beharrlich wie ein Bergsteiger auf den Weg zum Gipfel verleibt sich das bleierne Schwarz die warmen Gelbtöne ein - so scheint es zumindest, wenn man die Ratio für einen Augenblick ausblendet.

Bleibt die Frage, wo das Motiv des Mädchens bei Corinna Weiss herkommt? "Ich weiß es nicht", sagt sie und schmunzelt. Doch dass sie ihren Stil gefunden hat, etwas ganz eigenes, das sehr gut ohne Vergleiche auskommt, das ist ihr wohl bewusst.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2015
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