Buchhandel:Schmöker aus dem Elektro-Käfer

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Manuela Harm mit ihrem Käfer vor dem Rohbau des Hauses, in dem sie demnächst ihren Laden eröffnet. (Foto: Claus Schunk)

Manuela Harm eröffnet demnächst in Haar eine Filiale ihrer Vaterstettener Buchhandlung. Bis es soweit ist, liefert sie die Ware mit einem auffälligen Oldtimer aus, den ihr Mann mit einem umweltfreundlichen Antrieb versehen hat.

Von Bernhard Lohr, Haar

Manuela Harm steht kaum ein paar Minuten an der Haarer Leibstraße, schon ist sie in Gespräche verwickelt. Die Buchhändlerin trifft Kundschaft und wird wegen ihres Wagens angeredet. Der taubenblaue VW Käfer trägt in geschwungenen roten Lettern die Aufschrift "Der Buchladen". Vor allem aber hat der Oldtimer mit dem Baujahr 1968 zur Verwunderung manches Passanten ein E-Kennzeichen, das ihn als umweltfreundliches Elektroauto ausweist. "Das passiert mir ständig", sagt Harm, als sich gerade ein Mann von ihr verabschiedet hat, der sie darauf angesprochen hatte.

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Die 48 Jahre alte Buchhändlerin, die im Haarer Ortsteil Gronsdorf wohnt, erlebt besondere Zeiten des Umbruchs und des Neuanfangs. Wie bei vielen Einzelhändlern hat die Corona-Krise ihr Geschäft am Vaterstettener Bahnhof auf den Kopf gestellt. Als die Kunden nicht mehr in den Laden kommen durften, wurde die Online-Bestellung wichtiger und es galt plötzlich, einen Lieferdienst aus dem Boden zu stampfen. Die ganze Familie bis hin zu den Freunden der Kinder war gefordert. Den Kunden wurde angeboten, sich die Bücher aus einer Kiste vor dem Laden beim Spaziergang abzuholen. Und Manuela Harm radelte öfter los oder fuhr mit dem Elektrokäfer zum Kunden. Und als wäre es nicht genug, beschloss sie mitten in der Pandemie, in Haar eine Filiale zu eröffnen. Als die Buchhandlung "Lesezeichen" an der Leibstraße ihre Pforten schloss, wurde der Ruf nach einer Buchhandlung ziemlich laut. Und Harm ließ sich auf das Neue ein.

Das Rathaus hatte auch heftig um sie geworben und ihr den roten Teppich ausgerollt. Die Gemeinde lässt an der Leibstraße ein Geschäftshaus errichten mit einer passenden 60 Quadratmeter großen Ladenfläche im Erdgeschoss. Der Bau steht weitgehend, und an dem Gerüst hängt wie ein Werbeposter ein Bild von der künftigen Haarer Buchhändlerin und ihrem Käfer, auf die viele schon sehnsüchtig warten. Möglichst noch im Herbst würde Harm gerne einziehen, die in zehn Jahren mit dem Laden in Vaterstetten in ihre halböffentliche Rolle als Buchhändlerin hineingewachsen ist. Es sei ein "Lernprozess" gewesen, sagt sie. Und: "Ich finde das richtig nett."

An diesem Tag liefert sie eine Papiertasche mit Büchern in den Sennesweg 7 zu Ingrid und Uwe Dankert. Ingrid Dankert winkt schon aus dem Dachfenster, kaum dass Manuela Harm ihren leise wie eine Katze schleichenden Elektrokäfer in der schmalen Straße in Eglfing abgestellt hat. An der Tür kommt das Gespräch schnell auf die Pandemie, die wachsende Online-Konkurrenz. Uwe Dankert nimmt an der Tür mit Maske über Mund und Nase die Tüte entgegen. "Das ist anders, als wenn man bei Amazon bestellt", sagt er, "da kann man ein Gespräch führen." Der anonyme Online-Handel und jetzt das Leben mit Home-Office und Homeschooling: "Das ist nicht so gut für unsere Gesellschaft."

Dabei ist Amazon und das Online-Geschäft nicht mehr wegzudenken. Das weiß das Ehepaar Dankert genauso wie Manuela Harm. "Das ist eine Marktmacht, die kann man nicht mehr brechen", sagt Harm. Aber sie glaubt an eine Zukunft auch für ihren Laden, auch mit Hilfe des Internets. Für sie sei in der Pandemie der Online-Auftritt des Buchladens wichtiger geworden. Viele Kunden bestellten dort und holten dann die Bücher ab oder ließen sie sich liefern. Und dann das Erlebnis, in einem Buchladen in angenehmer Atmosphäre zu stöbern: Irene Dankert sagt, sie sei gerne ins "Lesezeichen" in Haar gegangen, zu den liebenswerten Buchhändlern.

Uwe Dankert vermisst es in der Pandemie, bei Manuela Harm im nahen Vaterstetten schmökern zu können. Gerne ist er mal mit dem Rad hinübergefahren. Ein schöner kurzer Trip. Aber er sei froh, bald in Haar die Filiale zu haben. "Das ist auch so ein Kulturding", sagt er. Ein Leben in einem Ort nur mit Supermarkt und Discounter ums Eck, das reicht ihm nicht.

Als Manuela Harm mit ihrem Hingucker-Auto aus der Hippie-Ära an der Leibstraße parkt, wird sie auch deshalb öfter in ein Gespräch verwickelt, weil in der Einkaufsstraße einiges los ist. Leute steigen aus ihren Autos aus oder laufen vorbei und fragen nach, wer aus dem Oldtimer ein Elektroauto gemacht hat. Der Wagen gehört zu Harms Familie, er war schon ihr Hochzeitsauto. Und als klar war, dass er nicht weggegeben würde, aber man auch etwas gegen den Benzinschlucker tun müsste, baute Manuela Harms Mann vor einigen Jahren schon, als bei VW noch keiner von einer Elektroauto-Offensive sprach, den Elektromotor ein.

Die technischen Standardfragen, die ihr immer wieder gerade von neugierigen Männern gestellt werden, beantwortet Harm routiniert und gerne: 120 Kilometer Reichweite, im Winter 60. 100 Stundenkilometer schnell damit zu fahren, sagt sie, sei "nicht lustig". Und auf die Autobahn begebe sie sich damit sowieso nicht. Ihr ist wichtig, bei schlechtem Wetter damit Bücher ausliefern zu können, ohne die Umwelt zu verpesten. Wo die Hinterbank war, wurde Platz für Batterien geschaffen und für Bücherkörbe. Und mancher, mit dem sie wegen des Autos ins Gespräch kommt, bestellt bei ihr auf der Straße gleich ein Buch.

© SZ vom 18.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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