Justiz:"Man muss als Schöffe auch mal auf den Tisch hauen"

Justiz: Die Amtszeit der Laienrichter ist befristet, aktuell werden wieder neue Bewerber gesucht.

Die Amtszeit der Laienrichter ist befristet, aktuell werden wieder neue Bewerber gesucht.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Alfons Kuhn aus Haar engagiert sich seit 2018 als Laienrichter. Vor der Neuwahl der Schöffen und Jugendschöffen in Bayern wirbt er um Kandidaten - und fordert eine bessere Ausbildung für die Ehrenamtlichen, die gemeinsam mit Juristen Urteile in Strafprozessen fällen.

Von Angela Boschert, Haar

Nach der Insolvenz der Aschheimer Skandalfirma Wirecard müssen sich jetzt der ehemalige Chef und einige hochrangige Mitarbeiter vor dem Münchner Landgericht verantworten. Hundert Prozesstage sind für das Mammutverfahren angesetzt. Sie stehen auch im Terminkalender von zwei Schöffen, die auf der Richterbank das Volk repräsentieren. "Und auch zwei Ersatzschöffen sind von Beginn an dabei", erzählt Alfons Kuhn, der seit 2018 ehrenamtlicher Laienrichter am Landgericht München ist. Der 71 Jahre alte Haarer ist selbst nicht am Wirecard-Prozess beteiligt, er weiß aber aus eigener Erfahrung, dass die Schöffen genau wie die Berufsrichter an allen Sitzungen eines Verfahrens teilnehmen müssen. Sonst ist ein Prozess geplatzt und muss ganz von vorne neu begonnen werden.

In Bayern gibt es etwa 4700 ehrenamtliche Schöffen in der Strafgerichtsbarkeit. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Berufsrichter und entscheiden also darüber, was Recht und Unrecht ist. Das erfordere Verantwortungsgefühl, Mut und Standfestigkeit, sagt Kuhn und betont: "Ich muss alle Informationen kriegen, die ich benötige, um guten Gewissens ein Urteil fällen zu können." Die Richter arbeiteten ganz unterschiedlich, manche erklärten Hintergründe oder juristische Feinheiten, andere weniger.

"Man muss als Schöffe auch mal auf den Tisch hauen, wenn zum Beispiel die zwei Richter in einer großen Verhandlung mehr untereinander reden, anstatt uns Laienrichter einzubinden und uns Zusammenhänge zu erklären", sagt der 71-Jährige nachdrücklich. Man spürt, wie wichtig ihm die Sache ist. Er engagiert sich daher im Vorstand des Landesverbands Bayern der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS) und möchte helfen, Kandidaten für die nächste fünfjährige Amtszeit der Schöffen und Jugendschöffen zu finden, die am 1. Januar 2024 beginnt.

Justiz: Alfons Kuhn gehört dem Vorstand des Landesverbands der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen an.

Alfons Kuhn gehört dem Vorstand des Landesverbands der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen an.

(Foto: Claus Schunk)

"Die Verhandlungen sind sehr unterschiedlich", erzählt er. Mal sei es eine große Strafsache wie bei Wirecard, mal eine Berufung von nur einer Stunde Dauer. Als Schöffe dürfe er keine Details und vor allem Überlegungen aus dem Richterzimmer nennen. Während der Verhandlung dürfe man sich nicht von Emotionen wie der Zu- oder Abneigung gegenüber Angeklagten, Äußerlichkeiten oder Ereignissen im Gerichtssaal beeinflussen lassen, die Mimik und Gestik dürfe nicht verraten, was man denke.

Das ist nicht immer einfach, denn manche Angeklagte starren die Richter ohne Robe an, um sie zu verunsichern, oder versuchen auf andere Weise, sie für sich zu gewinnen. Davor werden Laienrichter zwar bei einer freiwilligen Einführungsveranstaltung gewarnt, aber eine ausführliche Schulung erhalten sie nicht. Kuhn und die DVS kritisieren das seit Jahren. Das Schöffenamt sei eine so verantwortungsvolle Tätigkeit, dass zur Vorbereitung mehr als ein ausführlicher Vortrag und der Besuch einer Justizvollzugsanstalt gehören müssten.

Für das Schöffenamt muss man weder über juristische Kenntnisse verfügen noch Aktenberge durcharbeiten. Gefragt sind vielmehr Lebenserfahrung und gesunder Menschenverstand, Gemeinsinn und vernünftiges Urteilsvermögen. Der Vorsitzende Richter informiert die Schöffen vor Verhandlungsbeginn kurz über den Fall, zu dem sie in der Verhandlung Fragen stellen dürfen.

Einem Vierfachmörder hat der gelernte Wirtschaftsingenieur zwar noch nicht gegenübergesessen, aber Personen, die wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt waren. Das ließ ihn viel nachdenken. Aus einem anderen Fall habe er gelernt, nicht zu urteilen, bevor nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen: Ein Mann war am Amtsgericht wegen Trunkenheit und Fahrerflucht am Steuer eines E-Scooters verurteilt worden und legte beim Landgericht dagegen Berufung ein. Für die Richterin schien die Aktenlage klar und sie empfahl dem Mann, von der Berufung abzusehen. Doch der ließ sich nicht beirren. Bei der Neuverhandlung kamen dann Dinge ans Licht, die am Amtsgericht überhaupt nicht erwähnt worden waren. "Diese neuen Erkenntnisse waren als beweissicher einzustufen, und der Angeklagte wurde freigesprochen", erzählt Kuhn. Details darf er nicht nennen.

Die Laien können den Berufsrichter überstimmen, wenn sie von der Unschuld des Angeklagten überzeugt sind

Der Fall hat Kuhn gezeigt, wie viel Verantwortung Schöffen haben, die an Amts- und Landesgerichten jeweils zu zweit auf der Richterbank neben einem oder mehreren Berufsrichtern Platz nehmen und sich im Verlauf des Prozesses ein Bild über den Sachverhalt und den Angeklagten machen. Schließlich entscheiden sie mit, ob jemand schuldig gesprochen wird und welche Strafe angemessen ist. Das kann auch heißen, jemanden hinter Gitter zu bringen. Aber ebenso, Berufsrichter zu überstimmen und es zu verhindern, weil man von der Unschuld eines Angeklagten überzeugt ist.

Derzeit werden bundesweit Kandidaten für die nächste Amtszeit der Schöffen und Jugendschöffen gesucht. Wer gewählt wird, muss das Amt annehmen und ist vom Arbeitgeber für Verhandlungen freizustellen. Als deutscher Staatsbürger, der bei Amtsantritt zwischen 25 und 69 Jahre alt und nicht vorbestraft ist, kann man sich schriftlich bei seiner Wohnsitzgemeinde als Schöffe bewerben. Die Fristen dafür sind unterschiedlich und werden von den Gemeinden bekanntgegeben. Als Jugendschöffe muss man zusätzlich über eine Befähigung und Erfahrung in der Jugenderziehung verfügen und sich bis 24. April beim Jugendamt des Landkreises. Bürgerinnen und Bürger von Unterschleißheim und Garching können sich für beide Ämter bis Mitte beziehungsweise Ende März bei ihrer Stadt bewerben.

Die Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS) informiert in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen bayernweit über das Schöffenamt, im Landkreis München am Donnerstag, 9. Februar, bei der VHS Taufkirchen, Ahornring 121, Raum 3.1, mit Heiko Tammena sowie am Montag, 6. März, im Bürgerhaus Pullach, Heilmannstraße 2, Vereinsraum, mit Marc Baumann. Beginn ist jeweils um 19 Uhr. Weitere Informationen gibt es unter www.schoeffen-bayern.de und unter www.landkreis-muenchen.de mit Suchbegriff "Jugendschöffe".

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