Haar:Schatten der Klinik

Haar, Rathaus, Aufstellung der Skulptur Restlicht

Werner Mally (Mitte, mit Bürgermeisterin Gabriele Müller und Klinik-Geschäftsführer Jörg Hemmersbach) hat die Skulptur eigens für Haar gefertigt.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die Skulptur "Restlicht" des Münchner Künstlers Werner Mally wird vor dem Rathaus in Haar aufgestellt. Auch ohne Sonnenschein gelingt es dem Kunstwerk, die dunkle Vergangenheit der Gemeinde zu beleuchten.

Von Markus Mayr, Haar

Trotz tiefhängender Wolken und düsterem Tageslicht funktioniert das Kunstwerk. Durch die 400 Löcher im quadratischen Baldachin fällt ein Rest von Licht. Er macht an der Decke die acht Jahreszahlen sichtbar, deren Ziffern in die Platte gebohrt sind. Allerdings hat die Sonne an diesem Tag nicht die Kraft, die Zahlen 1938 bis 1945 im Schatten des stählernen Himmels auf den gepflasterten Boden zu schreiben.

"Der Zeitpunkt der Aufstellung ist ungewöhnlich", sagt der Künstler Werner Mally am Donnerstagmittag. Vor dem Seiteneingang zum Rathaus in Haar wurde just vorher seine Skulptur "Restlicht" fest installiert. Es ist seine zweite. Die erste zieht seit 2012 in den Sommermonaten als nomadisches Kunstwerk durchs Land und stand etwa schon in München am Siegestor. Das soll auch so bleiben, findet Mallys Kurator Stefan Graupner: Es sei ein schönes Bild. Restlicht I kreist um Restlicht II, das seinen festen Platz gefunden hat.

Werner Mallys Baldachin soll an die Gräuel in der Pflegeanstalt erinnern

Der eigens für Haar angefertigte Baldachin soll dauerhaft in der Kommune bleiben. Das Isar-Amper-Klinikum und mit ihm die Gemeinde nehmen mit diesem Kauf die besondere Verantwortung wahr, in der sie stehen. "Restlicht ist eine würdige Erinnerung an die damaligen Gräueltaten", sagt Jörg Hemmersbach, der Geschäftsführer der Klinik.

Sein Krankenhaus ist die Einrichtung, die der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar nachfolgte. Wie das Münchner NS-Dokumentationszentrum zusammengefasst hat, ermordeten Ärzte und Pfleger dort zwischen 1939 und 1945 etwa 1800 Patienten, darunter 332 Kinder. Nach NS-Ideologie waren ihre Leben nicht lebenswert.

Seit geraumer Zeit erinnern die Klinik und die Gemeinde schon an diese NS-Verbrechen im Namen der Sterbehilfe. Auf dem Gelände Haar I des Krankenhauses liegt schon seit mehr als zwei Jahrzehnten ein entsprechender Gedenkstein. Und die Skulptur Mallys soll in zwei Jahren vom Rathaus auf das Areal Haar II umziehen. Dann wird die Klinik dieses vollständig geräumt haben, der Ausbau zum Wohngebiet Jugendstilpark wird abgeschlossen sein.

Bis der Jugendstilpark fertig ist, steht das Kunstwerk vor dem Rathaus

Deshalb habe der Baldachin bis dahin vorerst einen Platz vor dem Rathaus bekommen, sagt Bürgermeisterin Gabriele Müller. "Das Kunstwerk in einem Umfeld von Kränen und Baggern zu haben, scheint mir seiner nicht würdig zu sein." Klinik-Geschäftsführer Hemmersbach gefällt die Zwischenstation vor dem Rathaus sogar außerordentlich gut. Er lobt die "exponierte Lage". Man müsse darunter durchgehen, wenn man zur Verwaltung wolle. In Richtung Künstler sagt er dann: "Ähnlich wie die Stelen in Berlin kann man diese Skulptur auch erobern."

Die unterschiedlich hohen Sockel des Berliner Holocaust-Mahnmals machten von sich reden, weil Besucher auf ihnen nach Herzenslust herumturnen können. Mallys eigener Kunst kommt diese Art der erfahrbaren, der greifbaren Erinnerung entgegen. Sein Werk hier sei "keine Bewältigungsstrategie", sagt er, "sondern ein offenes Forum". Es lädt zum darunter Verweilen ein.

"Und wenn die Sonne scheint", sagt der 60-Jährige, "wird die Zeit sichtbar: auf uns, auf unserem Gegenüber, auf dem Boden". Soll der Schatten der Geschichte lesbar gemacht werden: die grausamen Jahre von der Reichspogromnacht 1938, über die Besetzung von Mallys Geburtsland Tschechoslowakei, der ersten Aggression nach außen bis hin zum Kriegsende 1945. Damit sich die Besucher jetzt in der dunklen Jahreszeit nicht auf die Sonne verlassen müssen, kündigt Bürgermeisterin Müller an, einen Leuchtstrahler anzubringen.

Die eintätowierten KZ-Nummern haben Werner Mally inspiriert

Wenn das Restlicht dann 2017 an seinen wohl endgültigen Standort in Haar II umzieht, soll es "dort sehr präzise nach dem Sonnenstand ausgerichtet werden", lässt der Künstler wissen. Die gebohrte Schrift im Stahlhimmel soll im rechten Winkel von Süden angestrahlt werden. Auf der Nordseite soll eine Betonwand als Projektionsfläche dienen, wenn von Herbst bis zum Frühjahr die Sonne in einem flachen Winkel einfällt.

Werner Mallys hat ein sehr persönliches Verhältnis zu diesem einen seiner Kunstwerke, wie er erzählt. Am Arm des Großvaters seiner Frau hat er zum ersten Mal die Nummer gesehen, die Nazis KZ-Häftlingen tätowierten. Bevor sie mit deren "Entmenschlichung" begannen. Mit Restlicht gelang Mally die Verwandlung dieser symbolhaften schwarzen Tinte in Licht, das den Schatten der Vergangenheit erhellt.

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