SZ-Serie: Tatort Region, Folge 25:Die Kreissäge als letzter Ausweg

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Im Januar 2016 finden Mitarbeiter eines Spezialteams des Bundeskriminalamtes die Leiche von Alexander H. im Garten des Hauses in Haar. (Foto: Robert Haas (Bearbeitung: SZ))

2008 tötet Gabi P. in Haar ihren Lebensgefährten, ein halbes Jahr später vergräbt ihr neuer Freund die Leiche im Garten. Erst sieben Jahre später kommt der Mord ans Tageslicht.

Von Martin Mühlfenzl

Frauen morden anders als Männer. Sie planen ihre Taten meist sehr detailliert, gehen oft heimtückischer und weniger brutal oder aus dem Affekt heraus vor. Frauen, die zu Mörderinnen werden, sehen sich selbst häufig in einer privaten Sackgasse - und erkennen dabei nur noch einen Ausweg. Der ehemalige Kriminalhauptkommissar und Autor Stephan Harbort hat das in seinem Werk "Wenn Frauen morden" kenntnisreich beschrieben - und auch auf den Umstand hingewiesen, dass männliche Gewalt die gesellschaftlich anerkannte Norm ist, wenn Verbrechen begangen werden. Männliche Raserei, Brutalität, Schonungslosigkeit. Eine Frau, die mit einem Handwerksgerät, einem Werkzeug einen anderen Menschen tötet? Eigentlich unvorstellbar.

Gegen 6 Uhr morgens am 20. Januar 2016 drücken die Mitarbeiter eines Spezialteams des Bundeskriminalamtes die Klingel auf einem der beiden grünen Stempen, die den Eingangsbereich des Hauses in der Gemeinde Haar bilden. Es liegt noch Schnee im Garten und auf dem Bürgersteig, es ist kalt. Gabi P. öffnet die Tür, die Beamten zücken den Haftbefehl, sie leugnet nicht. Als sie gefragt wird, wo sich die Leiche befindet, deutet sie in den Garten. Auf die Frage, wie Alexander H. gestorben ist, macht sie kreisende Bewegungen mit der Hand. Da wissen die Spezialbeamten Bescheid.

Als Teenagerin lernte Gabi P. damals Alexander H. kennen, der sich auch Basti nannte; er war vier Jahre älter als sie. Ihre Mutter verbot die Beziehung zunächst, als Gabi P. 18 wurde, zogen die beiden aber in dem kleinen, beschaulichen Haus in Haar zusammen, das die Mutter geerbt hatte.

Eine Bedingung der Mutter war, dass eine Schulfreundin mit einzog. In der Folge wohnten immer wechselnde Frauen in der Wohngemeinschaft; Gabi P. und Alexander H. richteten sich im Dachgeschoss ein. Und dort passierte dann auch das Verbrechen - an einem Tag im Dezember 2008. Eine Tat, an die sich Gabi P. nicht mehr erinnern konnte, oder wollte, wie sie Jahre später in der Verhandlung vor dem Landgericht München II zu Protokoll gab.

Frauen morden leiser, schreibt Stephan Harbort, häufig vergifteten sie ihre Partner. Gabi P. warf die Handkreissäge an.

Den Eltern erzählte Gabi P., Alexander H. sei mit einer anderen Frau davon

Als die Adoptiveltern von Alexander H. Tage nach dem Mord im Dezember 2008 bei Gabi P. nachfragten, wo ihr Sohn denn sei, sagte sie, er sei mit einer anderen Frau auf und davon. Mit einer dieser Frauen, mit denen Gabi P. und Alexander H. immer wieder eine Art Dreiecksbeziehung eingingen.

Die Eltern wollten der Aussage nicht so recht glauben, engagierten sogar einen Privatdetektiv - ohne Erfolg. Nahezu sieben Jahre lang wussten sie nichts über den Verbleib ihre Sohnes, mäanderten zwischen Hoffnung und Schmerz. Als alles vorbei war - auch die Hoffnung -, und die Erkenntnis durchdrang, der Sohn ist tot, konnte Adoptivvater Wieland H. nur fragen: "Habe ich etwas übersehen?"

Das Viertel in Haar, in dem das Haus steht, gleicht einer Parksiedlung. Schmucke, kleine Häuser, viel Grün. Eine Anwohnerin, die nicht genannt werden will, sagt, sie habe nie mitbekommen, dass mit den Bewohnern etwas nicht gestimmt haben könne. Alles unauffällig. So spielt das Leben nun mal, herausgeputzte Fassaden, gepflegte Vorgärten, und niemand weiß, was sich dahinter abspielt.

Gabi P. studierte Waldorf-Pädagogik, Alexander H. Anglistik. Die Eltern von Alexander H. bezeichneten Gabi P. als "nett und liebevoll", sie war bei Familienfeiern mit dabei. Sieben Jahre verbrachte das Paar gemeinsam. Im Prozess vor dem Landgericht entsteht dann das Bild eines Paares, das vom gutbürgerlichen, in geraden Bahnen verlaufenden Leben abweicht. Von viel Alkohol ist die Rede, von Drogen, Magic Mushrooms, vermüllten Zimmern und ständigen Zankereien. Und von Gewalt. Gabi P. berichtet unter Ausschluss der Öffentlichkeit von Schlägen und verbalen Erniedrigungen, die sie zu erleiden hatte.

Gabi P. gesteht die Tat und muss sich vor dem Landgericht München II verantworten. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Und sie berichtet von den sexuellen Vorlieben ihres Freundes, die in Richtung SM gingen, sexuellen Misshandlungen. Davon, dass sie Frauen und auch Männer in Bars ansprechen und sie mit nach Hause bringen sollte. Eine dieser Frauen, die mit den beiden eine Dreiecksbeziehung eingegangen war, sagte, Gabi P. habe ihrem Freund zuliebe bei allem mitgemacht - bei sexuellen Praktiken, die ganz klar in Richtung "Hardcore" gegangen seien.

Ein Bild, das der Anwalt der Eltern von Alexander H. so im Prozess nicht stehen lassen wollte. Das Ansehen des Opfers werde in den Schmutz gezogen, sagte der anwaltliche Vertreter; und die Eltern müssten sich einem "Feuerbad" aussetzen. Die Mutter von Alexander H. sagt, ihr Sohn sei liebenswürdig, humorvoll und intelligent gewesen und anderen Menschen gegenüber nicht aggressiv. Von Hardcore-Sexpraktiken hätten die Eltern nichts gewusst.

Im Dezember 2008, berichtete Gabi P., habe sie Alexander H. wieder einmal genötigt, jemanden zu organisieren - diesmal ein Kind. Er wollte es dann im Keller einsperren. Da sei es ihr zu viel geworden, sie habe ihn aus dem Haus geworfen. Doch er kam zurück - und dann, so argumentierte die Staatsanwaltschaft, habe sie den Plan gefasst, ihn zu töten.

Es geschah am Abend, im Dachgeschoss. Es sollte Versöhnungssex werden. Wie offenbar schon mehrmals verlangte Alexander H. von Gabi P, ihn ans Bett zu fesseln, er setzte sich eine abgeklebte Schwimmbrille auf. Alles muss dunkel für ihn gewesen sein. Neben dem Bett lag eine Handkreissäge, die er zum Dachausbau hergenommen hatte; Gabi P. griff zu, warf sie an und legte sie an Hals und Brust an. Alexander H. muss sehr schnell bewusstlos, wenn nicht sofort tot gewesen sein. Ein halbes Jahr lang ließ sie den Leichnam an Ort und Stelle liegen.

Die ersten Fälle der Serie sind bereits als Dossier im digitalen Kiosk der SZ oder unter sz.de/krimidossier verfügbar. (Foto: N/A)

Gabi P. fand einen neuen Freund, Bekannte berichteten, sie habe in dieser Zeit wie befreit gewirkt. Ihr neuer Lebensgefährte fand die Leiche, doch statt zur Polizei zu gehen, vergrub er sie mit Hilfe eines Freundes im Garten. Und über das Geschehene legte sich der Mantel des Schweigens.

Dass der "Kreissägen-Mord", wie die Tat landläufig genannt wurde, doch noch aufgeklärt werden konnte, ist dem Alkohol geschuldet. Den neuen Freund von Gabi P. ließ die Sache offenbar nie ganz los, im Rausch erzählte er es einem Freund: "Wir sind Mörder." Über mehrere Ecken gelangte diese Information zur Polizei. Am 20. Januar 2016 standen die Spezialbeamten vor dem Haus mit dem großen Garten in Haar. Gabi P. gestand sofort.

Ihr Motiv aber ist bis heute nicht ganz geklärt, vieles blieb im Vagen, im Dunklen. Wie unter der Schwimmbrille, die Alexander H. getragen hatte. Auch weil Gabi P. bei vielen Fragen schwieg oder angab, sich nicht erinnern zu können.

Lebensgefährtin Gabi P. hat Alexander H. etwa sieben Jahre vor dem Fund mit einer Kreissäge auf dem Dachboden getötet, ihr neuer Freund den Leichnam daraufhin hinter dem Gebäude vergraben. (Foto: Robert Haas)

Vor dem Landgericht München II wurde Gabi P. im Mai 2017 wegen Totschlags zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes gefordert. Doch die erste große Strafkammer sah das Mordmerkmal der Heimtücke als nicht erwiesen an; auch sonst hätten keine weiteren niedrigen Beweggründe vorgelegen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Revision.

Seit etwa zwei Jahren sitzt Gabi P. ein. Die Adoptiveltern von Alexander H. haben mittlerweile Gewissheit darüber, was ihrem Sohn widerfahren ist. Hass, sagten sie, verspüren sie nicht.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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