Das Drama gehört zum Theater wie die Kamera zu einem Kinofilm. Aber wenn die Filmteams im Kleinen Theater an der Haarer Casinostraße anrücken, dann läuft das erstaunlich undramatisch ab. Stattdessen wirkt es fast gemütlich. "Das Erste, was aufgebaut wird, ist immer das Büfett. Dann haben wir hier den ganzen Tag etwas zu essen und zu trinken", sagt Intendant Matthias Riedel-Rüppel und lacht. Bevor also beim Film irgendwer ans Arbeiten denkt, wird erst einmal gemeinsam Kaffee getrunken. Eine Teambuilding-Maßnahme, die man sich durchaus in anderen Branchen abschauen könnte.
Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb Riedel-Rüppel die Räume des Kleinen Theaters so gerne an Filmproduktionsfirmen vermietet. Die Zusammenarbeit laufe außerdem immer sehr kooperativ und respektvoll ab. "Ich hatte nie das Gefühl, dass sie Besitz von meinem Theater ergreifen", sagt er. Im Gegenteil: Filmteams sind oft gut ausgestattet und wenn etwas kaputt geht, dann wird es schnell repariert. Der Bayerische Rundfunk zum Beispiel bringt immer eine Hebebühne mit, und wenn eine Glühbirne ausgewechselt werden muss, dann wird das eben auch noch schnell und ohne großes Aufheben erledigt. Daher ist Besuch von Film und Fernsehen im Kleinen Theater immer eine willkommene Abwechslung.
Filmdrehs genehmigt Riedel-Rüppel dann, wenn gerade kein anderes Programm im Theater läuft - etwa zur Wiesnzeit. So sind dort schon unter anderem Szenen für einen Münchner "Tatort" mit Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl entstanden, für eine Folge von "Polizeiruf 110" sowie für "Aktenzeichen XY" und "Fünf Freunde".
Wobei Riedel-Rüppel zugeben muss, dass er schon das ein oder andere Mal geschluckt hat, als der Charakter des Theaters für Dreharbeiten stark verändert wurde - wie etwa bei dem Thriller "Ballon" von Michael Bully Herbig (2018). Der beruht auf einer wahren Begebenheit und behandelt die Flucht der Familien Strelzyk und Wetzel 1979 aus der DDR mit einem Heißluftballon. Die erste Szene - eine Jugendweihe - wurde im Kleinen Theater gedreht. Um DDR-Flair in dem Jugendstilgebäude zu schaffen, wurden sogar die Scheinwerfer abmontiert und gegen Beleuchtung aus den Siebzigerjahren ausgetauscht. Einiges wurde abgeklebt. Und der große Theatersaal wurde mit Fahnen und Wappen der DDR dekoriert, sogar die Uhr wurde dafür abgehängt.
"Wenn der ursprüngliche Stil des Hauses so verfälscht wird, dann wird mir schon ein bisschen mulmig", sagt Riedel-Rüppel. Aber grundsätzlich sei die Kunst ja frei, und Verwandlung gehöre eben zum Film dazu. Das gelte für die Schauspieler wie für die Orte, an denen gedreht wird. Und wer wüsste das besser als ein Mensch vom Theater? Außerdem: Wenn Riedel-Rüppel hinterher im Kino sitzt und den fertigen Film sieht, dann ist er schon stolz darauf, dass Szenen davon in seinem Theater spielen. Gleichzeitig wird der Film für ihn aber auch ein wenig entzaubert. Denn wenn man die Hintergründe kenne, dann werde einem erst wirklich bewusst, wieviel Show in so einem Film steckt.
So kam es zum Bespiel für eine Tatort-Folge zu einer besonders irrwitzigen Verwandlung. Die Innenaufnahmen wurden im Kleinen Theater gemacht, für die Außenaufnahmen hat man aber dann das Portal der Oberbayerischen Heimstätte, also das Gebäude gegenüber, verwendet. Dieses wirkte mit seiner Veranda und dem weitläufigen Eingang imposanter. "Das ist dann besonders lustig, wenn Miroslav Nemec durch die Tür der Oberbayerischen Heimstätte geht und im Kleinen Theater landet", sagt Riedel-Rüppel. Im Film habe man - im Gegensatz zum Theater - eben unbegrenzte Möglichkeiten. Das sei spannend und lustig zugleich. Und es mache nochmal deutlich, dass Theater und Film dann doch zwei unterschiedliche Baustellen sind.
Gerade die Beschränktheit des Theaters, was die Kulisse angeht, habe aber einen gewissen Charme, da sie dadurch die Fantasie des Zuschauers viel mehr anrege, sagt Riedel-Rüppel. Im Film hingegen werde dem Zuschauer genau diese kognitive Leistung von den Filmemachern mit viel Akribie abgenommen. Denn um die perfekte Illusion zu kreieren, muss jedes Detail stimmen. Viel werde dann auch im Nachhinein noch wegretuschiert, wie etwa die Brandmeldevorrichtungen für den "Ballon", da diese in den Siebzigerjahren noch kein Standard waren. Von insgesamt drei Drehtagen sind dann am Ende zirka fünf Minuten Film herausgekommen. Da werde einem bewusst, wie viel Arbeit dahintersteckt.
Turbulent ging es im Kleinen Theater zu, als eine Folge des Polizeirufs 110 (2019) gedreht wurde. Für "Der Ort, von dem die Wolken kommen" wurde unter den Stühlen herumgekrochen, außerdem musste der große Theatersaal die ganze Zeit im Nebel liegen. Geschossen wurde natürlich auch, weshalb die Polizei vorher informiert werden musste, damit sie nicht anrückt.
Filmdrehs finden aber nicht nur im Kleinen Theater statt. Der gesamte Jugendstilpark bietet seit seinem Verkauf und den damit verbundenen Umbauarbeiten eine gute Kulisse für Dreharbeiten. Viele Gebäude stehen noch leer, und so sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Filmszenen auf dem gesamten Gelände entstanden. Unter anderem für den Kinohit "Vaterfreuden" von und mit Matthias Schweighöfer (2014) und für das Kriminaldrama "Zwei allein" (2014) mit Elmar Wepper und Johanna Bittenbinder sowie weitere zahlreiche Kurz- und Fernsehfilme.
Ein Ort der Verwandlung, das ist der Jugendstilpark mit seiner bewegten Geschichte auch selbst. Auf dem ehemaligen Psychiatriegelände, auf dem die Nazis von 1939 bis 1945 grausame Verbrechen verübten, entsteht gerade eine luxuriöse Wohnsiedlung. Und mittendrin steht das Kleine Theater. "Ein bisschen war es immer wie in einer Blase, und das soll Theater ja auch sein", findet Riedel-Rüppel. Auch wenn das Kleine Theater ebenfalls so manche Verwandlung erlebt hat - es diente schon als Bettenlager, als Apotheke und in den Fünfzigerjahren sogar selbst einmal als Kino. Dort, wo heute die Technik untergebracht ist, war früher der Projektionsraum. Die Klappstühle auf der Empore zeugen noch von der Zeit, als das Theater ein Kinosaal war.
"Dass so viel im Jugendstilpark gedreht wird, wird sich aber sicher ändern, wenn die Umbauarbeiten abgeschlossen sind und alles bewohnt ist", glaubt Riedel-Rüppel. Und dann wird irgendwann wieder nur das Theater als Oase der Verzauberung und Inszenierung übrig bleiben.