Süddeutsche Zeitung

Haar:Heil im Leiden

Das Ensemble Haar und der Chor "Ensemble di Capello" ergründen im Bürgersaal die ergreifenden musikalischen Tiefen von Bachs Johannespassion.

Von Udo Watter, Haar

Pontius Pilatus gehört nicht gerade zu den Figuren der Bibelgeschichte, die in der Nachwelt großen Respekt genießen. Man denke an Monty Pythons Film "Das Leben des Brian", in dem der von Michael Palin verkörperte Römer durch seinen Sprachfehler amüsiert ("Wirf ihn zu Poden!") oder den Asterix-Band "Die Odyssee", in dem er die Gallier mit seinem ständigen Händewaschen nervt.

Fernab seines populärkulturellen Rufes hat sich der Statthalter von Judäa in der jüdischen historischen Überlieferung die Reputation eines korrupten und brutalen Machtmenschen erworben, und aus christlicher Perspektive gilt er als der etwas rückgratlose Mann, der via Gefälligkeitsurteil den Sohn Gottes dem Hohenpriester Kaiphas und seiner blutdürstenden Meute auslieferte - und damit auch zum Werkzeug des göttlichen Heilsplans wurde.

Im Haarer Bürgersaal verleiht Franz Schlecht Pilatus virile Klangkraft

Wer den Bariton/Bass Franz Schlecht am Sonntag in der Rolle des Pilatus im Haarer Bürgersaal gehört hat, der wird die ambivalente Bibelfigur jetzt vielleicht ein wenig positiver bewerten. Nun hat der römische Statthalter in Johann Sebastian Bachs "Johannespassion", die das Ensemble Haar mit dem Chor "Ensemble di Capello" dort aufführte, ohnehin keinen so schlechten Part - das larmoyante Händewaschen etwa aus dem Matthäus-Evangelium entfällt, und er zeigt sich durchaus renitent gegenüber der zornigen Masse um Kaiphas - aber vor allem war es Schlecht, der mit viriler Klangkraft, beweglicher Stimme und szenischer Eindrücklichkeit der Rolle echte Persönlichkeit verlieh.

Noch häufiger als er kam unter den Solisten indes Tenor Alfons Brandl zum Einsatz, der als Evangelist/Erzähler in seinen Rezitativen und Arien mit klarem, hellem Timbre und seriös ausgefeilter Artikulation überzeugte. Florian Drexel (Bass) als Jesus gefiel ebenfalls, obgleich er nicht ganz so imponierend wie seine männlichen Kollegen agierte. Die beiden Gesangs-Solistinnen fielen dagegen ab, bei Ira Maria Scholz (Sopran) störte trotz reizvoller Stimme das schwer verständliche Timbre und Monika Fröhlich-Schweiger (Alt) kam stimmlich doch etwas blass daher, was gerade einem der dramatischen Höhepunkte des Werks, der Arie "Es ist vollbracht", einiges von seiner Wirkung nahm.

"Ensemble di Capello" und das Haarer Ensemble traten erstmals zusammen auf

Generell war es aber ein eindrucksvoller und bewegender Konzertabend, der sich dem Publikum im Bürgersaal bot. Dirigent Winfried Grabe, der künstlerische Leiter des Haarer Ensembles, ließ Orchester und Chor gleich beim ergreifenden Eingangschor "Herr, unser Herrscher" dramaturgisch stimmig walten. Er führte seine Klangkörper mit markanten Bewegungen und bei allem gefährlichen Anschwellen und Wogen ob der tragischen heilsgeschichtlichen Ereignisse, übertrieb er es nicht mit Tempo und Temperament.

Der Chor "Ensemble di Capello", der zum ersten Mal zusammen mit dem Haarer Ensemble auftrat, zeigte sich stimmlich und dynamisch meist auf der Höhe. Berührend in den klagend-innerlichen Chorälen, mit angemessener Verve und Elan in den Passagen, in denen er als Stimme der jüdischen Volkswut agierte ("Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten ihn dir nicht überantwortet") - und natürlich gibt man sich als starkbrüstiger Sänger auch mit entsprechendem vokalem Zorn einem "Weg, weg mit dem, kreuzige ihn" hin.

Suboptimal hingegen war das temporeiche Dialogisieren mit Bass Franz Schlecht in der Arie "Eilt, ihr angefochtnen Seelen", das immer wieder eingeworfene "Wohin" wirkte mitunter ein wenig blass und mutlos. Aber generell hat Chorleiter Andreas Obermayer, der am Sonntag versiert an Orgel und Spinett das musikalische Geschehen begleitete, ein eindruckvolles Vokalensemble aufgebaut.

Im Orchester spielten Laien und Berufsmusiker gemeinsam

Natürlich kommt dem Orchester in diesem Werk, in welchem Bach das Leiden und Sterben Christi nach dem Evangelium Johannes' zeigt, und das in seiner Vielschichtigkeit und Dichte zu den größten Kompositionen geistlicher Musik gehört, eine tragende Rolle zu. Das Wechselspiel zwischen Turbachören (Volk), Dialogen, Arien und Chorälen (Kommentare der gläubigen Gemeinde) erfordert versierte und hoch konzentrierte instrumentale Begleiter.

Das Haarer Ensemble, bestehend vornehmlich aus engagierten Laien und einigen Berufsmusikern, meisterte diese Herausforderung, wobei die exponierter agierenden Protagonisten des Orchesters ihren professionellen Hintergrund virtuos demonstrierten.

Am Ende dieser Passionsgeschichte nach Johannes steht nicht so sehr das blutige Leiden Christi und die Trauer über seine Kreuzigung im Fokus, sondern die Erfüllung des göttlichen Heilplans. Der Chor freut sich auf die Himmelfahrt und, als Verkörperung der gläubigen Gemeinde, sanft jubilierend auf die Erlösung am Jüngsten Tag. Auch die Solisten, ob nun vorher Pilatus, Jesus oder Evangelist, stimmten in den Lobgesang ein - und der dem letzten Choral folgende Applaus war dann alles andere als sanft.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2016/gna
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