„Ich bin Europäer mit griechischen Wurzeln“, sagt Apostolos Kotsis stolz, wenn er nach seiner Herkunft gefragt wird. Seit 1993 lebt der gebürtige Grieche in München, seit 1998 ist die Gemeinde Haar sein Zuhause. Seinen Weg nach Deutschland fand er eher zufällig. Nach fünf Jahren Militärdienst in Griechenland wollte er die Welt sehen. Eigentlich sollte es nach Japan gehen, doch als das nicht klappte, führte ihn seine Reise nach Deutschland. Hier gefiel es ihm so gut, dass er blieb.
Die deutsche Effizienz, das Gesundheits- und Sozialsystem, die Ordnung – all das hat ihn damals beeindruckt. „Das war ein richtiger Kulturschock“, erinnert sich Kotsis lächelnd. „Im Vergleich zu Griechenland kam mir hier alles so unglaublich leise vor. Die Zeitungsautomaten, bei denen man zuerst die Zeitung herausnimmt und dann erst das Geld einwirft, oder die Art, wie man in den Bus einsteigt – solche kleinen Unterschiede hinterlassen einen großen Eindruck.“ Andererseits kämpfte er anfangs mit der Bürokratie: Dass sein griechischer Personalausweis kein Ablaufdatum hatte und nicht in lateinischer Schrift ausgestellt war, löste bei deutschen Behörden und an Flughäfen regelmäßig Kopfschütteln aus.
Als Apostolos Kotsis damals nach Haar kam, gab es nur zwei griechische Familien im Ort, aber das habe ihn nie gestört – im Gegenteil. „Wir wurden hier wirklich herzlich aufgenommen, und jeder hat geholfen, wo er nur konnte“, erzählt der dreifache Vater. „Ich habe nie Ausländerfeindlichkeit erlebt.“ Im Laufe der Zeit habe er gelernt, das Beste aus den beiden Kulturen zu übernehmen. Heute feiere er das Maibaumfest genauso gerne wie das griechische Osterfest. Dieser gegenseitige Respekt sei es, was Europa für ihn ausmache. „Wir teilen dieselben Werte, wir helfen einander und wir stehen im Notfall füreinander ein“, erklärt Kotsis, der für die SPD im Haarer Gemeinderat sitzt.
Deshalb wünsche er sich eine verbesserte Zusammenarbeit in Fragen der Migration und Verteidigungspolitik. An zu vielen Stellen hapere es noch in Europa. „Es ist einfach nicht tragbar, dass die Länder an den EU-Außengrenzen die gesamte Last der Migrationskrise tragen müssen, während andere sich komplett aus der Verantwortung ziehen.“
Besorgt beobachtet Apostolos das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte und eine „Mein-Land-zuerst-Mentalität“, die er zunehmend wahrnehme. Während der Griechenland-Krise sei er oft unangenehm auf das Thema angesprochen worden, mit Vorwürfen wie: „Ihr faulen Griechen, ihr schuldet uns Geld.“ Das habe schon wehgetan. Auch die unfaire Verteilung von Sitzen im Europäischen Parlament ärgere ihn. „Wir können nicht über Gleichberechtigung reden, wenn wir nicht gleichberechtigt vertreten sind“, sagt Kotsis. Denn auch wenn ein europäischer Bundesstaat noch Zukunftsmusik ist, wünsche er sich, dass dieses Ideal eines Tages Realität wird.
In der Serie „Mein Europa“ stellt die SZ bis zur Wahl des EU-Parlaments am 9. Juni Menschen aus dem Landkreis München vor, in deren Leben die europäische Einigung eine besondere Rolle spielt.

