Haar:Eitelkeit und Selfie-Wahn

Haar: Bilder über Fakes und das Wesentliche im Leben: Kunsttherapeutin Helena Petritou (Mitte) arbeitete mit Patienten.

Bilder über Fakes und das Wesentliche im Leben: Kunsttherapeutin Helena Petritou (Mitte) arbeitete mit Patienten.

(Foto: Claus Schunk)

Michael Altingers Kabarett als Grundlage für psychiatrisches Kunstprojekt

Von Julian Carlos Betz, Haar

Schon die Bühnenpräsenz lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Mann versteht, sich in Szene zu setzen. Casual und spritzig, frech und manchmal hart, lockt Michael Altinger das Publikum aus der Reserve in seinem Programm "Hell" und verdient sich den Abend über im Haarer Kleinen Theater eine Lachsalve nach der anderen. Dabei geht es um Übliches, aber auch Ungewöhnliches. Wer hat sich denn schon mal gefragt, wie das eigentlich mit Glastüren im Bad funktioniert? Oder sich Anton Hofreiter als grünen Engel mit Flügeln vorgestellt? Und dann verknüpft Altinger das Ganze noch mit Fragen nach moralischer Integrität. Vor seinem Auftritt fand die Vernissage der Kunstausstellung "Hell" statt, inspiriert von seinem Programm und gestaltet von Psychiatrie-Patienten.

Zu Beginn spielt Altinger den Braven, überzeugten Kantianer, der das moralische Gesetz in sich spürt wie den Sternenhimmel über sich. Da werden Grundsätze erläutert, die Gesellschaft wird als egoistisches Feindbild deklariert und schließlich das Prinzip Verschwörungstheorie anhand des fiktiven Universalerfinders Helmut Luchs demonstriert: "Das Weltgeschehen wird betrieben von 16 Personen." Luchs ist dabei unter anderem für die, so Altinger, Erfindung zahlreicher sinnloser Bedürfnisse wie dem nach Gabionen im Gartenbau oder Stand-Up-Paddles in der Freizeit verantwortlich. Und wer, wenn nicht solch eine unverschämte Person, mit so unverschämten Erfindungen würde sich eignen, um als Buhmann für sämtliche Missstände auf dieser Welt herzuhalten?

Altingers Alter Ego ist also getrieben von den eigenen Ängsten, sei es, weil der Po nicht mehr so straff ist wie zu Jugendzeiten oder die Abhängigkeit von digitalen Produkten unkontrollierbare Ausmaße annimmt. Dabei steht der Programmtitel "Hell", als erster Teil eines über mehrere Jahre geplanten Kabarettprogramms, sinnbildlich für die Schwierigkeiten, denen ein überzeugter Normalbürger mit vernünftiger Neigung zum Guten konfrontiert wird. Anhand eines kleineren Autounfalls, den die Figur zu Beginn noch ehrlich und aufrichtig klären will, aber dann angesichts der unlauteren Methoden des Anderen doch seine Prinzipien aufgibt und zurückschlägt, führt Altinger die Misere der Ellbogen-Kultur vor: wer nicht austeilt, muss einstecken, aber wer austeilt, muss erst recht einstecken. Vor allem wenn der Unfallgegner Helmut Luchs heißt.

Näher an der Realität und damit an der realen 'Hölle', in der sich jeder bewegen muss, ist die Kunst-Ausstellung in Zusammenarbeit mit Psychiatrie-Patienten des Isar-Amper-Klinikums. Mit der Kunsttherapeutin Eleni Petridou wurde hier über fünf Wochen das Programm des Kabarettisten als Grundlage für eine künstlerische Auseinandersetzung genommen. "Wir glauben, alles schneller zu verstehen", erzählt Petridou in ihrer Eröffnungsrede, "alles scheint problemloser vonstatten zu gehen". Aber in Wahrheit befinde man sich auf dem Holzweg und laufe anstelle von echten Vorbildern nur "Fakes" hinterher. Das Ziel, "authentisch" zu sein und sich auch gegen scheinbare Ideale der Medien aufzulehnen, sei wichtig, so Petridou.

Cosima Unseld, die an diesem Projekt teilgenommen hat, sieht das ähnlich: Sie fand das Vorhaben "herausfordernd und interessant", nicht zuletzt, weil sie selbst der Meinung ist, wir würden uns zu weit von unserem eigentlichen Leben entfernt bewegen. Daher wünscht sie sich besonders, sich "auf das zu konzentrieren, was wesentlich ist" und mehr "zu sich selbst und mehr Achtsamkeit" zu kommen. Der Begriff "Achtsamkeit" sei dabei zentral, so die Stationsleitung am Klinikum Lisa Avdic. Um diesen drehe sich die ganze Therapie in ihrem Haus und das sei auch überregional einzigartig. Sie seien sehr offen für interdisziplinäre Projekte - und sie waren zuletzt begeistert von den Ergebnissen. Denn "die haben uns ja inhaltlich nichts hiervon erzählt", so Avdic, erst zur Ausstellung konnten die betreuenden Ärzte sich schließlich auch einen Eindruck verschaffen.

Und tatsächlich, die behandelten Themen sind vielfältig: "Slave of the media" liest sich auf einem der teils mit Collage-Technik angefertigten Bilder, Zeitungs- und Magazinausschnitte zeigen Models und öffentliche Personen. Eitelkeit, falsche Schönheitsideale und der berüchtigte "Selfie-Wahn", all das zirkuliert wild und chaotisch auf den gefühlvoll arrangierten Exponaten.

Sich diesen Ängsten und Bedrohungen zu stellen, kostet in jedem Fall einige Mühe und auch Mut. Belohnt wird man dann in diesem Fall durch die Sichtbarmachung dieser feindlichen Welt, einen hoffnungsvollen Moment der Kontrolle, im Falle von Altinger durch ein befreiendes Lachen.

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