Haar:Das Drama jenseits der Bühne

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Die Münchner Volkssängerbühne, die heuer ihr 60-Jähriges feiert, sagt die kommende Spielzeit in ihrem Stammhaus, dem Kleinen Theater, Corona-bedingt ab. Auch andere Ensembles hat es 2020 schwer getroffen

Von Udo Watter, Haar

Klischees genießen bei Menschen, die ihren Verstand nicht nur aus Versehen bekommen haben, einen schlechten Ruf, aber sie haben andererseits auch identitätsstiftenden Charakter - zumal sie mitunter auf gewissen Wahrheiten beruhen. Der Altbayer etwa hat historisch betrachtet kein großes Talent zum eleganten Bonvivant oder zum philosophischen Systemdenker, dafür ist kreativen Köpfen dieses Stammes gerne ein kräftiger, mitunter anarchischer Humor zu eigen, der auch keine Scheu vor Derbheiten kennt. Und dass die Bayern sich gerne und leidenschaftlich auf der Bühne präsentieren, zeigt eine reiche Volkstheater-Szene, die von Komödienstadel bis zu sozialkritischen Stücken reicht.

Die Münchner Volkssängerbühne etwa, die seit 2016 das Kleine Theater Haar als Stammhaus nutzt, gehört zu den originelleren Ensembles im Kulturleben von Stadt und Region, die Gruppe um den Vorsitzenden und Spiritus Rector Roland Beier lässt sich zwar von der Tradition inspirieren, hat aber vor allem durch respektlos-freche und mitunter durchgeknallte Neubearbeitungen von Klassikern oder Stücken aus eigener Feder sich einen Namen gemacht. 1960 von Hannes König, dem Gründer des Valentin-Musäums, mit der Idee ins Leben gerufen, die Traditionsstücke der ehemaligen Volkssänger dem Publikum wieder zugänglich zu machen, durfte die Theatergruppe heuer einen runden Geburtstag feiern. Doch statt "60 Jahre und kein bisschen heiser" ist das Motto nun "Losgelegt und ausgebremst". Die Volkssängerbühne hat ihre Saison 2021 abgesagt. Oder wie sie auf ihrer Homepage formuliert: zu Grabe getragen. "In der Saison 2021 wollten wir uns endlich einmal wieder von unserer ernsthaften Seite präsentieren, ein Drama war geplant und ein Drama wurde es dann auch. Aber leider anders, als wir uns das vorgestellt haben", sagt Beier, der als Autor, Regisseur und Schauspieler für die Volkssängerbühne prägend ist und mit seiner Frau Bärbel, die ebenfalls Ensemblemitglied ist, in Haar wohnt. "Corona hat uns, wie allen anderen Bühnen auch, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachten wir uns, und gingen frohgemut an die Arbeit für unsere neue Inszenierung ,Dees ewig Spui von Tod & Deife'", so Beier. Der gebürtige Unterhachinger hat das Stück geschrieben, es ist nach etlichen Jahren, in denen die Münchner Volkssängerbühne Komödien aus seiner Feder inszenierte - zuletzt Anfang 2020 "Die Weißwurstprinzessin" - mal wieder ein ernster Stoff. Es geht um Magdalena, die verarmte Protagonistin, die im Rückblick ihre Geschichte erzählt. Eine Geschichte aus dem München um 1930. Sie begann im Wohlstand und endet nach dem Börsencrash und der Weltwirtschaftskrise in bitterer Armut, in der Magdalena dann nach faustischer Manier einen Deal mit dem Teufel eingeht. Die Arbeit ging Beier nicht so leicht von der Hand wie bei manchen seiner überdreht-komischen Werke ("Ich weiß schon, warum ich nicht so oft Dramen schreibe"), zumal er emotional tief in die von ihm erfundenen Figuren eintauchte - die diesmal häufig unangenehme Charaktere waren. "Es gibt viele Arschlöcher in dem Stück" sagt er und lacht.

Nun, letztlich vollendete er das Drama, die Proben gestalteten sich zwar dann wegen der Hygiene-Vorgaben schon etwas schwieriger, aber man war zuversichtlich, Kostüme wurden gemacht, Trailer gedreht. Als dann freilich ein prägendes MVB-Mitglied positiv getestet wurde, bedeutete dies eine prägnante Zäsur, da zwei Familienmitglieder auch noch betroffen waren. Es bedeutete, nicht nur die zehn Tage Quarantäne mit abzusitzen, sondern den Vorgaben des Gesundheitsamts folgend, noch zusätzlich zwei Wochen zu Hause zu bleiben, weil man sich bis zum letzten Tag anstecken könne. Somit ergab sich eine Ausfallzeit von fast einem Monat. "Das heißt: Sollte so ein Fall am Anfang unserer Spielsaison eintreten, würden acht von zehn Vorstellungen ausfallen. Dies wiederum würde für uns bedeuten, dass wir acht Vorstellungen rückabwickeln müssten, was mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden wäre, den wir finanziell nicht stemmen können." Die Volkssängerbühne, die ihre Stücke stets Anfang des Jahres zu inszenieren pflegt und heuer mit den Vorstellungen der "Weißwurstprinzessin" noch Glück hatte, dass sie vor der Ankunft der Pandemie statt fanden, hat nun alle geplanten Vorstellungen für Januar und Februar 2021 gecancelt. "Wenn nur eine Saison ausfällt, kommen wir finanziell mit einem blauen Auge davon", so Beier. Er kenne andere Kollegen, die mit ihren Ensembles gleich den Ausfall zweier Spielzeiten verkraften mussten - Frühjahr und Herbst 2020 -, manch Theaterverein hat sich inzwischen aufgelöst.

In der Tat gehören freie Ensembles und auch Laien-Theater zu den von der Pandemie stark betroffenen Gruppen. War es für die, die es wagten, ohnehin schon schwer in diesem Jahr, Proben im Zeichen der Hygienemaßnahmen zu realisieren, so hat der neuerliche kulturelle Shutdown diverse Projekte komplett vermasselt. In Unterföhring, wo die Bürgerbühne und Regisseurin Anschi Prott wenigstens noch das Stück "Ja, wo gibt's denn so was?" zum Bürgerhaus-Jubiläum Ende Oktober auf die Bühne bringen konnte, musste andererseits die Laienspielgruppe sowohl Frühjahrs- wie Herbstsaison absagen.

Traurig waren auch die jungen Gfildner von der G'fildner Bühne Lohhof, die ihr für November terminiertes Stück "Der verschwundene Zwergenhut" absagen mussten und darauf hoffen, die Vorstellungen im Herbst 2021 nachholen zu können. Die Proben und die Gestaltung der Kostüme waren erst einmal umsonst. Der Garchinger Theaterverein "Zeitkind" hat seine Produktion "Frau Müller muss weg", ebenfalls verschieben und absagen müssen. Die Volksbühne Neubiberg-Ottobrunn hat ihre beiden geplanten Inszenierungen im November und Dezember/Januar unabhängig vom Shutdown schon seit Längerem ad acta gelegt. Ein Hygienekonzept für die Zuschauer wäre unter Umständen noch umzusetzen gewesen, so die Verantwortlichen, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen für die Mitglieder auf, unter und hinter der Bühne seien aber nicht realisierbar.

Die Lust am Theaterspielen wird in Bayern (und anderswo) natürlich nicht verschwinden, aber Dramen haben die Ensembles heuer eher neben der Bühne erlebt.

© SZ vom 13.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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