Schultheater:Harte Probe für das Publikum in Haar

Schultheater: Am Anfang konnte das Publikum noch entspannen: Im Laufe des Stückes wurde es von den Schülern durch den Raum gescheucht.

Am Anfang konnte das Publikum noch entspannen: Im Laufe des Stückes wurde es von den Schülern durch den Raum gescheucht.

(Foto: Claus Schunk)

Schüler des Ernst-Mach-Gymnasiums und der Mittelschule stellen sich im Theaterstück "Spurensuche" der NS-Geschichte ihrer Heimatgemeinde.

Von Elisabeth Gamperl, Haar

Wie war es im Krieg? Wie war es mit den Nazis? Was hat die Gemeinde Haar erlebt? Was ist damals in der Psychiatrie passiert? Die Schüler des Ernst-Mach-Gymnasiums und aus der Mittelschule Haar stellten sich diese Fragen und wühlten monatelang in der Vergangenheit ihrer Heimatgemeinde. Daraus entstand das Theaterstück "Spurensuche", das Gänsehaut verursacht und das Publikum am Ende mit der Frage konfrontiert: "Was für ein Mensch will ich sein?"

Es ist ein außergewöhnliches Stück, das am Montag in der Aula des Gymnasiums seine Premiere feierte und noch sechs Mal zu sehen ist. "Spurensuche" kommt ohne Bühne aus. Stattdessen verteilen sich im abgedunkelten Raum Schauspieler und Publikum nebeneinander. Der Zuschauer ist mitten drin. Er lässt sich von den Schülern Befehle erteilen - "Bitte lächeln!" - und wird eineinhalb Stunden lang durch den Raum gescheucht. Teilweise wird das Publikum auch separiert. "Wer ein Handy über 300 Euro hat, dorthin - alle anderen in die andere Ecke!", verlangen die Jugendlichen beispielsweise. Und jeder geht an seinen Platz.

Der Großteil des Textes wurde aus Zitaten zusammengestückelt, bis daraus eine bittere Chronologie der NS-Zeit entstand. Die Zitate stammen aus Gesprächen mit Zeitzeugen, aus Protokollen, Dokumenten und Romanen. Es wurde auch sehr privat: Den Jugendlichen wurde im Vorfeld ein Fragebogen in die Hand gedrückt, um in der eigenen Familie nach Spuren der Vergangenheit zu suchen. "Wir hatten nicht so etwas wie ein Lieblingsessen, wir mussten hungern", wird ein Großvater zitiert.

Die Schüler des Ernst-Mach-Gymnasiums und aus der Mittelschule haben die Quellen selbst zusammengetragen. Sie waren unter anderem im NS-Dokumentationszentrum München, in der Denk-Stätte für die Weiße Rose oder wühlten sich durch die Stadtbibliothek und das Staatsarchiv. "Ich war überrascht, wie begeistert die Schüler in den Archiven stöberten", sagt die Theaterpädagogin Farina Simbeck. Gemeinsam mit Thomas Ritter, dem Theatergruppenleiter des Gymnasiums, unterstützte Simbeck die Schüler bei ihrer aufwühlenden Entdeckungsreise. "Wir hatten am Ende unglaublich viel Material. Es war beklemmend und überwältigend, mit den Schülern dieses Thema aufzuarbeiten", sagte Ritter.

Die rund 35 Schüler arbeiteten seit September vergangenen Jahres an dem Theaterstück. Über die Vergangenheit und die Euthanasie-Verbrechen in ihrer Heimatgemeinde wussten sie anfangs laut Simbeck nicht sehr viel. Dabei hat sich in Haar Fürchterliches abgespielt. Zwischen 1939 und 1945 starben in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar 1800 Patienten an der Unterernährung, der sie dort absichtlich ausgesetzt wurden. 332 Kinder wurden gezielt getötet. Mehr als 2000 wurden von dort in Tötungsanstalten geschickt.

"Mir war das alles nicht so bewusst", sagte etwa Viktoria Langer. Die 14-jährige Schülerin zitiert im Stück ihre Großmutter, die während des Nationalsozialismus Pausenbrot an die Mitschüler verteilt hat. "Das alles zu erfahren, war unglaublich." Ähnlich ging es ihrer gleichaltrigen Schulkollegin Sophie Bogner. Ihr ist etwa die Exkursion in die NS-Tötungsanstalt Hartheim stark in Erinnerung geblieben: "In Dokumenten zu lesen, in denen von lebensunwertem Leben die Rede ist, ist einfach nicht nachvollziehbar und schmerzhaft", sagt Bogner.

Schultheater: Das Schultheaterstück wurde von den Schülern selbst konzipiert.

Das Schultheaterstück wurde von den Schülern selbst konzipiert.

(Foto: Claus Schunk)

Spurensuche erzählt die Geschehnisse anhand einzelner Stichtage. Das Schultheaterstück endet in der Gegenwart und webt auch die derzeitige Flüchtlingssituation und Alltagsrassismus in den Handlungsstrang mit ein. Der Satz "Ich bin kein Rassist, aber" fehlt dabei natürlich nicht.

Das Stück lässt nicht kalt und treibt den Zuschauern bei der Premiere teilweise Tränen in die Augen. Ob sich die Schüler das gedacht hätten? "Es war schlimm zu sehen, wie es manchen während des Stückes ging", sagten die Schülerinnen am Ende der Vorführung. Aber am erstaunlichsten sei gewesen, wie sehr die Zuschauer den Schülern gehorchten. Schülerin Bogner: "Wir haben das Publikum auf die Probe gestellt."

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