Einzelhandel in Haar:An den Nachbarn soll der Lebensmittelmarkt nicht scheitern

Lesezeit: 3 Min.

Lokaltermin an der Ecke Leibstraße und Wasserburger Straße: Der Vorgängerbau ist bereits abgerissen, aber bisher hat sich nichts getan auf dem Grundstück, auf dem der Lebensmittelmarkt angesiedelt werden soll. (Foto: Claus Schunk)

Das Verwaltungsgericht macht den Anwohnern wenig Hoffnung, dass sie die Pläne für einen Vollsortimenter an der Haarer Leibstraße verhindern können. Jetzt fehlt nur noch ein Betreiber.

Von Bernhard Lohr, Haar

Gerade erst sind die Haarer zu Hunderten in der Leibstraße zusammengesessen und haben mit einem White Dinner stilvoll das 100-jährige Bestehen ihrer Einkaufsmeile gefeiert. Doch kaum sind die Tische abgebaut, ist die harte Realität zurück. Der Einzelhandel in der Straße hat mehr denn je zu kämpfen. In dem großen Drogerie-Markt, der über Jahre viele Kunden angelockt hat, sind am Mittwoch die Regale leer. Er schließt nach Angaben einer Verkäuferin, weil ein neuer Markt außerhalb des Ortszentrums eröffnet wird. Am selben Tag verhandelt hundert Meter weiter an der Ecke Wasserburger Straße die neunte Kammer des Verwaltungsgerichts München darüber, ob es noch eine Chance auf ein seit Jahren sehnlich erwartetes Lebensmittelgeschäft in der Straße gibt. Und da wenigstens gibt es einen Lichtblick.

Der Internethandel und die Konkurrenz von Märkten auf der grünen Wiese wie in Parsdorf machen alteingesessenen Einzelhändlern überall das Leben schwer. Ortszentren drohen zu veröden. Die Leibstraße in Haar blutet seit Jahren aus. Das Rathaus kämpft dagegen an und hat unter Mühen eine Buchhandlung ansiedeln können. Doch seit der Schließung eines Vollsortimenters vor bald 15 Jahren sind viele Dinge des täglichen Bedarfs im Zentrum nicht mehr zu bekommen. Zwar kamen im Jahr 2019 Pläne für einen Neubau mit Lebensmittelmarkt, zehn Wohnungen, Büros und Tiefgarage an der Ecke Wasserburger Straße auf den Tisch. Der Vorgängerbau wurde abgerissen, ein Bauzaun sichert das Grundstück. Doch Nachbarn sind wenig begeistert und haben das Projekt vor Gericht gebracht.

Bei der Verhandlung mit dem Vorsitzenden Richter Korbinian Heinzeller geht es am Mittwoch direkt am möglichen Baugrundstück und am Haus der klagenden Anwohner ins Detail. Etwa 20 Personen verfolgen, wie Heinzeller die Fakten aufarbeitet und sehen, wie mit fünf Meter hohen Latten gezeigt wird, wie hoch die 23 Meter lange Mauer werden soll, die den Lärm der anliefernden Lkw abschirmen soll. Die Mauer war nicht von Anfang an dort geplant. Die Anlieferzone sollte erst an der Ecke Leibstraße liegen. Das hätten die Klägerin Anita Steinbauer und ihr Mann Harald gut gefunden. Doch es wurde geändert, und jetzt sollen sie die Mauer sozusagen vor die Nase gesetzt bekommen. Der Markt an sich sei ja in Ordnung, sagt Harald Steinbauer am Rande der Verhandlung. Aber die Wand gehöre hier nicht hin. Anita Steinbauer beklagt fehlende Kommunikation des Rathauses, damals unter der Vorgängerin von Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU). „Es ist von Anfang an zu wenig geredet worden. Das ist schon zwei Jahre gelaufen, bis wir offiziell was gewusst haben. Das macht man nicht.“

Mit Holzlacken wird angezeigt, wie hoch die Bebauung werden soll. (Foto: Claus Schunk)

In der Verhandlung geht es um mögliche Verfahrensfehler, um Lärmgutachten an der viel befahrenen Wasserburger Straße und darum, ob die Leibstraße an der Kreuzung noch mehr Verkehr aufnehmen kann, der durch den Lebensmittelmarkt kommen könnte. Richter Heinzeller arbeitet alles im Schatten des Wohnhauses stehend mit dem Verkehrslärm der Wasserburger Straße im Hintergrund Punkt für Punkt ab. Und er deutet bald an, dass er keine Gründe sieht, die Baugenehmigung zu kippen. „Alleine die Erschöpfung der Leibstraße reicht nicht aus“, sagt er zu dem erwartenden Verkehrszuwachs. Zudem sei fraglich, ob der so eintreten werde.

Der Richter äußert Verständnis für die Nachbarn. Wegen der Wand der Einhausung werde die Zufahrt zum Wohnhaus eng. „Man kommt durch einen Tunnel zu Ihnen“, sagt er. Aber so richtig zieht aus seiner Sicht auch dieses Argument der Klageseite nicht. Der Abstand zum Nachbarbau sei eingehalten. In dem Bebauungsplanverfahren habe man die Belange etwa zum Lärm abgewogen. Auf die Angst, es könnte spätabends noch laut werden, sagt der Richter, er könne das nachvollziehen. Aber: „Es ist halt kein Nachtbetrieb erlaubt.“ Der Gemeinde sei im Bebauungsplanverfahren nichts vorzuhalten.

Der Anwalt der Kläger macht, als er die Felle davonschwimmen sieht, einen Schritt auf die Gegenpartei zu und kommt auf eine Sorge zu sprechen, die das Ehepaar Steinbauer besonders umtreibt: „Wir haben ein gewisses Verständnis für die Einhausung“, sagt Johannes Mohr. Aber eines dürfe nicht passieren, und zwar, dass diese Mauer stehen bleibe, wenn gar kein Lebensmittelmarkt dort einziehen sollte. Er setze auf eine „scharfe“, konkrete Abmachung mit den Bauherrn dahingehend, dass die Mauer dann wieder wegkomme. Anita Steinbauer hat nach eigenen Angaben große Zweifel, dass für die relativ kleine Verkaufsfläche, die in dem Markt an der Ecke Leibstraße und Wasserburger Straße vorgesehen ist, ein Betreiber gefunden wird. Dann würde dort irgendetwas anderes reinkomme und die hässliche Mauer würde bleiben.

Lange war ein Rewe-Markt im Gespräch

Lange hieß es, es werde ein Rewe-Markt in dem Neubau einziehen. Doch Susanne Rießle vom Bauherrn, der R & G Haarer Immobilien GmbH, sagt am Rande des Gerichtstermins, ein Engagement von Rewe sei „nicht sicher“. Das ganze Projekt müsse man erst wieder „ins Laufen bringen“. Die Nachbarn wollen bereits von weiteren Absagen möglicher Betreiber gehört haben.

Wie schwer es ist, Einzelhändler für Flächen an der inneren Leibstraße zu finden, erlebt die Gemeinde gerade mit dem bisherigen Drogerie-Markt. Bürgermeister Andreas Bukowski sagt: „Die Vermietung der Fläche gestaltet sich leider schwierig, obwohl wir seitens der Wirtschaftsförderung aktiv auf potenzielle Mieter zugehen“.

Die Pläne für den Lebensmittelmarkt können aber wohl wieder aufgenommen werden. Die Klage dürfte abgewiesen werden. Richter Heinzeller kündigt ein Urteil für Donnerstag an. Aber die Tendenz sei klar, sagt er. Die Klägerin und die Bauherrin ermuntert er, wegen einer Abmachung zur Wand aufeinander zuzugehen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTödlicher Unfall auf der Isar
:Ein Wildfluss ist nichts für Freizeitkapitäne

Die Bootsverordnung für die Isar wird den Gefahren nach Ansicht des Kanu-Verbands in keiner Weise gerecht – im Gegenteil. Durch die Regelungen habe das Landratsamt sogar zumindest eine „moralische Mitverantwortung“ an tödlichen Unfällen wie vor einer Woche.

Von Iris Hilberth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: