Den Sound für den Tag, an dem die Nachricht von der Haarer Stadterhebung die Runde macht, hat das Rathaus gleich mitgeliefert. Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) hat die Pressemitteilung auf Instagram mit der bekannten Soulnummer „I feel good“ akustisch unterlegen lassen. Und ja: Gespräche mit Bürgern und Kommentare auf Social Media zeigen, dass viele Haarer die Neuigkeit in einem Hochgefühl aufnehmen. Dabei muss das nicht zwangsläufig so sein. In Unterschleißheim etwa herrschte im Jahr 2000 anfangs Skepsis, ob man als Stadt besser dastehen werde. Unterhaching würde wohl auch die Bedingungen erfüllen, verzichtet aber gleich darauf, den Titel anzustreben.
Es ist kaum zehn Jahre her, da grassierte auch in Haar die Angst vor Verstädterung. Der Kampf gegen den Bau eines zweiten Hochhauses an der B 304 spaltete die Gemeinde und führte zum ersten Bürgerentscheid überhaupt, der dann aber krachend scheiterte. Das Hochhaus steht mittlerweile und viele in Haar haben offenbar ihren Frieden mit der Rolle als urbanes Zentrum gefunden, das in der Hochhaussiedlung im Jagdfeld und an der B 304 sowieso jeder erkennt. Seit den Siebzigerjahren ist Haar eine Vorstadt von München. Jetzt wird man selbst Stadt.
Mit dieser Entwicklung ist Haar im Raum München nicht allein. Die Gemeinden wachsen, der Bau weiterführender Schulen kennt kaum Grenzen und Weltfirmen und Forschungseinrichtungen siedeln sich an. So erscheint Garchings Stadterhebung im Jahr 1990 mit seinem TU-Campus und seinen vielen wissenschaftlichen Instituten rückblickend fast zwingend. Im Jahr 2000 folgte im Landkreis München das mit seinen damals schon 25 000 Einwohnern stark wachsende Unterschleißheim. Zuletzt wurden 2011 Olching und Puchheim im Nordwesten zur Stadt. Doch gerade Haar wurden 2001 auch Grenzen aufgezeigt. Das Innenministerium lehnte damals einen Antrag mit der Begründung ab, Haar sei mit 19 000 Einwohnern zu klein. Zehn Kommunen im Umland lägen darüber. Inzwischen ist Haar auf 25 000 Einwohner gewachsen.
Dabei sieht man keinesfalls überall eine Stadterhebung als Segen. Ein drastisches Beispiel ist Gröbenzell im Landkreis Fürstenfeldbruck, wo das Ministerium 2011 die Rangerhöhung dem Rathaus sogar auf dem Silbertablett angeboten hat. Gröbenzell sollte mit den Nachbarn in Olching und Puchheim Stadt werden. Doch es regte sich Widerstand, und bei einem Bürgerentscheid stimmte fast eine Zweidrittelmehrheit dafür, Gemeinde zu bleiben und es bei dem als angemessen angesehenen informellen Titel einer „Gartenstadt“ zu belassen. Viele sahen das prägende Grün am Ort in Gefahr, und manches mehr.
In Unterhaching herrscht politisch sowieso weitgehender Konsens darüber, dass man Gemeinde bleibt. Dabei fehlt es nicht am Selbstbewusstsein. Man sieht sich als Geothermie-Pionier mit einer bei 26 000 Einwohnern nicht zu leugnenden Zentrumsfunktion. Dazu kommt die Rolle als Heimat eines deutschlandweit bekannten Fußballklubs. Dennoch kommt laut Drittem Bürgermeister Richard Raiser (CSU) eine Stadterhebung „nicht in Frage“. Man halte es wie die Spielvereinigung Unterhaching, die als Underdog den Großen die Stirn biete wie das berühmte „gallisches Dorf“ bei Asterix. „Wir leben sehr gut damit“, sagt Raiser.
Dabei sieht Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD) durchaus Chancen in einer Stadterhebung. Unterschleißheim habe diese gut getan, sagt er. „Stadt passt zu uns.“ Das hätten in Unterschleißheim nicht von Beginn an alle so gesehen. „Es gab schon kritische Stimmen“, erinnert sich Böck an die Konflikte, die er 2000 als junger Gemeinderat erlebt hat. Manche hätten befürchtet, das enge, fast dörfliche Miteinander könnte leiden. Es herrschte Angst vor ausuferndem Wachstum und allen Übeln, die mit Verstädterung in Verbindung gebracht werden. Aber viele Befürchtungen hätten sich nicht bestätigt. Man habe das Gute der Gemeinde bewahrt und sei als Stadt gewachsen. Unterschleißheim hat heute etwa 30 000 Einwohner.
Dabei war die Stadterhebung für Garching wie auch Unterschleißheim schon ein Startschuss für eine rasante Entwicklung gerade bei der Infrastruktur. Böck streicht die heutige Urbanität heraus, bei der Ärzteversorgung und beim öffentlichen Nahverkehr. Heute könne man ohne Auto in Unterschleißheim gut leben. In Garching hält heute die U 6 an drei Stationen. Der dortige Zweite Bürgermeister Jürgen Ascherl (CSU) spricht gerne vom Ansehen der als „Universitätsstadt“ zusätzlich geadelten Kommune. „Das hört sich gut an.“
Die Baustellen bleiben
Das Innenministerium bestätigte am Mittwoch auf Anfrage offiziell, dass Haar zur 318. Stadt in Bayern erhoben wird. Haar weise „städtisches Gepräge“ auf und mit dem Jagdfeld eine „Kernbildung im Mittelpunkt“. Besonders betont das Ministerium, dass „die ursprünglich dörfliche Weilerstruktur bereits Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Errichtung der Heil- und Pflegeanstalt in Eglfing überformt“ worden sei. Das Klinikum als herausragenden Faktor streicht am Mittwoch auch Bürgermeister Bukowki heraus. Haar sei Standort eines der größten Zentren für psychische Gesundheit deutschlandweit. Lange habe Haar dies verdrängt. „Das ist kein Makel“, sagt er, man könne stolz darauf sein.
Allerdings hat Haar auch Baustellen. So ist die seit Jahren vom Kultusministerium genehmigte Realschule nicht in Sicht. Die stark wachsende Fachoberschule hält in einem Provisorium mühsam den Unterricht aufrecht. Und künftig kämpft dann die Stadt und nicht mehr die Gemeinde darum, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen. Bürgermeister Bukowski sieht bei all der Freude große Aufgaben vor sich. Aber gerade die Stadterhebung biete „nochmal mehr Motivation, sich zu entwickeln“, sagt er. „Ich denke, eine Stadt ist nie abgeschlossen.“