Kinderbetreuung:Haar arbeitet an Aktionsplan gegen die Kita-Krise

Kinderbetreuung: Die Lage in den Kindertagesstätten ist angespannt wie nie. Die Gemeinde will Ende Juni einen Aktionsplan vorlegen, wie der Mangel an Betreuungsplätzen behoben werden kann.

Die Lage in den Kindertagesstätten ist angespannt wie nie. Die Gemeinde will Ende Juni einen Aktionsplan vorlegen, wie der Mangel an Betreuungsplätzen behoben werden kann.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Das Rathaus sucht Gebäude und Betreiber für dringend benötigte neue Einrichtungen. Ein überraschender Schritt soll die Personalsuche erleichtern.

Von Bernhard Lohr, Haar

Das Haarer Rathaus arbeitet an einem Aktionsplan, um die akute Kita-Krise in der Gemeinde in den Griff zu bekommen. Zum einen sollen Gebäude kurzfristig für die Kinderbetreuung umfunktioniert werden, zwei Liegenschaften hat man dabei konkret im Blick. Zudem laufen Gespräche mit potenziellen neuen Betreibern und Kooperationspartnern, die kurzfristig in Haar Einrichtungen eröffnen könnten. Als weiterer Schritt wird erwogen, den Personalschlüssel zu erhöhen, damit das Arbeiten in Einrichtungen am Ort für Erzieherinnen und Erzieher attraktiver wird.

Erst vergangene Woche hat das Rathaus bekannt gemacht, dass 152 Betreuungsplätze im Kindergartenjahr 2023/2024 fehlen, weil es an Personal und Gebäuden mangelt. Die Notlage für viele Eltern mit kleinen Kindern nimmt damit bisher nicht gekannte Ausmaße an. Und das nicht nur in Haar. In unmittelbarer Nachbarschaft in Vaterstetten demonstrierten vergangenen Donnerstag 500 Menschen vor dem Rathaus, um gegen die unhaltbaren Zustände zu protestieren. Dort hatte Bürgermeister Leonhard Spitzauer (CSU) alle Mühe, sich gegen die aufgebrachten Mütter und Väter Gehör zu verschaffen. So weit ist es in Haar noch nicht. Aber es gärt seit Wochen. Spätestens mit der satten Gebührenerhöhung bei dem privaten Betreiber Kindertagesstätte Haar gGmbH Ende März blicken Eltern am Ort mit Sorge auf das, was noch kommt. Jetzt drohen viele Kinder ohne Platz zu bleiben. Die SPD sieht Versäumnisse im Rathaus.

Die SPD kritisiert Versäumnisse im Rathaus

Vor allem kreidet die Haarer SPD-Spitze Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) an, dass aktuell für 40 Krippen- und 13 Kindergartenkinder sogar Räumlichkeiten fehlen. Anders als beim Personalmangel kämen die Probleme hier nicht von außen, sagt SPD-Vorsitzender Raul Würfl: "Die Gemeinde und der Bürgermeister haben in drei Jahren keine neuen Betreuungseinrichtungen gebaut und nicht mal geplant und das, obwohl viele Familien nach Haar ziehen. Dann fehlen natürlich die Kapazitäten." Offensichtlich habe man im Rathaus falsche Prioritäten gesetzt und ein "falsches Planungsverständnis". Die SPD fragt, ob man nicht zu viel Energie in die Organisation der 950-Jahr-Feier und in den Aufbau einer Wirtschaftsförderung gesteckt habe, statt sich der Entwicklung bei der Kinderbetreuung zu widmen.

Im Rathaus sitzen derweil Bürgermeister Bukowski und Sachgebietsleiterin Marietta Ernst mit Mitarbeitern in Krisenrunden beisammen. Ein kurzfristiges Treffen mit Betreibern von Einrichtungen fand statt. Und man sieht sich offenbar auf gutem Weg, die Krise einzudämmen. So würden in den kommenden Wochen zwei Gebäude näher geprüft, in denen Kinderbetreuung zügig ermöglicht werden könnte, teilt die Gemeinde mit. Auch denke man daran, weitere Großtagespflegen zu schaffen, die schnell Kinder aufnehmen könnten. Damit bestehende Kooperationspartner in Haar an Fachkräfte kommen, ist das Rathaus mittlerweile sogar bereit, an dem in den Kooperationsverträgen festgelegten Personalschlüssel zu Gunsten der Fachkräfte zu drehen. Sprich: weniger Kinder pro Erzieherin und Erzieher, um die Arbeit attraktiver zu machen.

Das galt bis vor kurzem noch als Tabu, was dazu führte, dass die Gemeinde und die Kindertagesstätte Haar gGmbH jüngst nicht zueinander fanden, als es darum ging, die bis zu 150-prozentigen Gebührenerhöhungen bei dem privaten Betreiber abzuwenden. Der private Betreiber lehnte es ab, sich auf den Haarer Personalschlüssel von 9,7 einzulassen, weil man Abstriche an der Qualität ablehnte, wie es hieß. Auch sorgte man sich davor, dass das Personal abspringen könnte. Genau das ist offenbar das Problem auch in anderen Einrichtungen. Das Rathaus strebt nun eine Diskussion im Gemeinderat an, wie den Betreibern beim Personalschlüssel entgegengekommen werden kann. Als weitere mögliche Maßnahme, Personal zu halten oder zu finden, werden Springerkräfte ins Spiel gebracht, um in den Einrichtungen kurzfristig fehlende Fachkräfte ersetzen zu können.

Die Gründe für die extrem hohe Zahl an Eltern auf der Warteliste sind aus Sicht des Rathauses vielschichtig. Als größtes Problem wird der Personalmangel in den Einrichtungen der freien Träger ausgemacht. 26 Fachkräfte fehlen aktuell. Zudem ist Haar in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Unter anderem im Jugendstilpark und am Gronsdorfer Bahnhof wurden viele Wohnungen neu bezogen. Weitere Baugebiete entstehen gerade, etwa das Annelies-Quartier an der äußeren Leibstraße, wo ein Bauträger für 100 Millionen Euro 85 Wohnungen sowie Gewerbe- und Handelsflächen schafft, die kommendes Jahr bezugsfertig werden sollen. "Ich habe in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisiert, dass Haar zu schnell wächst. Wir werden uns nun so gut als möglich den Auswirkungen des Wachstums stellen und trotz extrem knapper Haushaltsmittel investieren. Die notwendigen Betreuungsplätze werden geschaffen", sagt Bürgermeister Bukowski.

Nicht zuletzt geht man im Haarer Rathaus davon aus, dass die zunehmend schwierige wirtschaftliche Situation in vielen Familien dazu führt, dass beide Elternteile auf Berufstätigkeit angewiesen sind, um über die Runden zu kommen. Dadurch werde ein Betreuungsplatz fürs Kind wichtiger denn je, heißt es.

Die Gemeinde will allen Familien, die eine Absage für einen Betreuungsplatz erhalten haben und allen Interessierten am Mittwoch, 28. Juni, im Bürgerhaus den Aktionsplan vorstellen. Beginn ist um 18.30 Uhr.

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