Die größte Sorge einiger Anwohner hat der Bürgermeister schnell zerstreut: Nein, Haar wird nicht zum deutschen Cape Canaveral. "Selbstverständlich sollen hier keine Raketenstarts stattfinden können", sagte Andreas Bukowski (CSU) zu Beginn der Debatte im Gemeinderat in der es darum ging, ob der Raketenbauer Isar Aerospace aus Ottobrunn mit Hauptverwaltung und Produktionsstätte in die Gemeinde geholt werden soll. Dafür wirbt Bukowski seit einiger Zeit. Und am Dienstag hat nun der Gemeinderat bei sechs Gegenstimmen aus Reihen von SPD und Grünen mit großer Mehrheit zugestimmt, tatsächlich vorbereitende planerische Schritte für eine Ansiedlung auf der Finckwiese im Osten der Gemeinde zu unternehmen. Die Gespräche mit den Gründern der Ottobrunner Weltraum-Firma sollen vertieft werden.
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Die Aussicht, das wohl spannendste Start-up im Landkreis München an den Ort zu holen, hat in Haar manchen elektrisiert und einige abheben lassen. Ein kostenlos verteiltes Mitteilungsblatt hatte am Ort die Nachricht mit einem Foto einer startenden Rakete bebildert, was der eine oder andere missverstand. Doch abgesehen vom angeblichen Startplatz in Haar, den sich Isar Aerospace für seine Raketen in Norwegen für einen Erstflug 2023 gesichert hat, haben die Pläne der Firma tatsächlich Substanz. Obwohl Studenten das Unternehmen erst 2018 gegründet haben, ist es heute mit gut 170 Millionen Euro finanziert. Die Auftragsbücher sind voll. 40 Raketen sollen im Jahr produziert werden, um damit kleine und mittlere Satelliten ins All zu befördern, die zum Beispiel zur Ortung und zur Wetterbeobachtung genutzt werden könnten. Der Markt gilt als zukunftsträchtig. Die Firma braucht Platz.
Auf dem Gelände am östlichen Ortsrand könnten 24 Meter hohe Bauten entstehen
Außer Haar ist Taufkirchen im Rennen, wo bereits ein Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan gefasst wurde, sowie auch Ottobrunn. Bis 2026 soll eine Produktion am neuen Standort stehen, heißt es vom Unternehmen, das noch keinen Termin nennt, wann die Standortentscheidung fallen soll. Haar ist nun eine weitere Option. Wie jetzt bekannt wurde, verhandelt die Dibag Industriebau AG als Eigentümerin der Finckwiese auch mit dem Unternehmen. Es geht um Baurecht auf sechs Hektar Fläche, bei einer Bruttogeschossfläche von 80 000 Quadratmetern und Hallen mit einer Höhe von bis zu 24 Metern. Bukowski betonte, dass keine plumpen Industriebauten errichtet würden. Vielmehr solle etwas entstehen, was als sogenannte "Signature architecture" die Identität der Raumfahrt-Firma widerspiegle. Diese gehöre pfiffigen, jungen Leute, die auch über nachhaltige Energie und Mobilitätskonzepte für den Standort nachdächten. Für Mitarbeiter dort sei es "selbstverständlich, aufs Auto zu verzichten".
Über solche Dinge haben Vertreter von Isar Aerospace kürzlich den Gemeinderäten berichtet, nachdem Bukowski erst eine Bruchlandung erlebt hatte, als er Anfang Juni im Bauausschuss schon eine positive Grundsatzentscheidung zu der Firmenansiedlung herbeiführen wollte. Auf Antrag der Grünen flog der Punkt damals von der Tagesordnung. Nun fühlten sich die Gemeinderäte besser informiert, wobei die Kritiker nicht verstummten. SPD-Fraktionschef Thomas Fäth bemängelte, er halte bis zu 24 Meter hohe Gebäude für zu massiv. Für letzteres erntete Fäth freilich von Seiten der CSU Kopfschütteln. Ausgerechnet die SPD, der "kein Hochhaus hoch genug" sein könne, rede von zu hohen Gebäuden, sagte CSU-Sprecher Dietrich Keymer.
Die zentrale Frage ist für Haar ohnehin, ob und wann von dem Unternehmen Gewerbesteuer zu erwarten ist. Die Kasse im Rathaus ist leer und die Aussichten sind düster, seit mit dem Pharmakonzern MSD der wichtigste Steuerzahler Haar den Rücken gekehrt hat. Fäth äußerte die Befürchtung, in der sich schnell verändernden Weltraum-Sparte könne es schnell passieren, dass ein Milliardär solch ein junges Unternehmen aufkaufe und Steuern dann andernorts fällig würden. Ton van Lier (Grüne) warnte, ein im Aufbau befindliches Unternehmen wie Isar Aerospace werde wegen zu erwartender Abschreibungen keine Gewerbesteuer zahlen. Bis zu 20 Jahre und länger könnte die Gemeinde leer ausgehen.
Doch Bürgermeister Bukowski sieht die Gemeinde nicht in der Position, solche Gedankenspiele anzustellen. Er sagte, man habe die Lage intensiv sondiert. "Wir haben große Unternehmen angesprochen." Viele verkleinerten sich gerade. Man könne lange warten, bis sich Siemens oder die Allianz in Haar niederließen. "Wir können nicht auf den Märchenprinzen warten." Isar Aerospace sei eine spannende Firma, die attraktive Arbeitsplätze nach Haar bringen und auch andere Firmen mitziehen könne, sagte Bukowski. Eine Ansiedlung könne einen "Impuls" geben.
Die Optimisten, die mittelfristig viel Positives erwarten, behielten die Oberhand. Ob das Haarer Angebot zündet, ist offen. "Wir können uns nur bemühen, der Beste zu sein", sagte CSU-Mann Keymer. Ein Kriterium dürfte am Ende auch der Gewerbesteuersatz sein: Taufkirchen lockt damit, dass 2024 der Hebesatz von 310 auf 250 Prozent sinken wird. Haar hat mit einem Hebesatz von 350 Prozent deutlich schlechtere Karten.