Rettungswesen:Wenn Alarm Panik auslöst

Rettungswesen: Ein Probealarm kann Traumata reaktivieren, die Kriegsflüchtlinge bei Fliegeralarmen erlebt haben.

Ein Probealarm kann Traumata reaktivieren, die Kriegsflüchtlinge bei Fliegeralarmen erlebt haben.

(Foto: Patrick Scheiber/imago)

Aus Rücksicht auf Geflüchtete aus der Ukraine haben Gemeinden und Feuerwehren zuletzt auf Sirenenproben verzichtet.

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Heulton einer Sirene geht jedem durch Mark und Bein. Für viele Geflüchtete aus der Ukraine ist es noch schlimmer: Sie haben im Krieg ähnliche Alarme erlebt, auf die hin dann Raketen und Bomben einschlugen. Deshalb werden bei ihnen durch Sirenen, wie diese Woche beim bayernweiten Probealarm, traumatische Erlebnisse wieder wach. Ängste werden ausgelöst, wie es die Darija Hanika gerade bei Kindern erlebt, die mit ihren Familien in Haar Schutz gefunden haben. Haar hat zuletzt wie viele Gemeinden deshalb bewusst auf Sirenenalarme verzichtet. Der Landesfeuerwehrverband hatte dazu geraten.

Manchmal reicht schon ein Flugzeug, das dicht über die Dächer hinwegdonnert, und bei den Geflüchteten steigen Ängste wieder hoch. Darija Hanika hat es bei einem Brunch mit den Geflüchteten am Ort erlebt. Kinder hätten verängstigt nach oben geblickt, erzählt die Frau aus Ottendichl bei Haar, die selbst aus der Ukraine stammt und dem Helferkreis als Dolmetscherin dient. "Was ist da am Himmel los?", fragten sich die Kinder. "Sie ziehen dann ohne Aufforderung ihre Jacken an und sagen, man muss jetzt runter in den Bunker oder Keller." Auch sie selbst zucke bei dem Alarmton zusammen. Durch den Krieg in der Heimat stiegen seit ein paar Monaten schreckliche Bilder vor dem inneren Auge auf.

Großflächig ganze Gemeinden und Ortsteile zu beschallen - schon seit der Flutkatastrophe im Ahrtal hatte ein Umdenken begonnen. Durch den Krieg in der Ukraine gilt umso mehr, dass es wichtig ist, Menschen, die keine Warn-App nutzen und vielleicht nicht einmal ein Handy haben, im Krisenfall schnell zu erreichen. Mehr und mehr Gemeinden überarbeiten ihr Alarmierungskonzept. Sirenen, die zuletzt rein zur Alarmierung ehrenamtlicher Feuerwehrmänner genutzt wurden, werden aufgerüstet.

Rettungswesen: Eine Sirene in Haar befindet sich auf dem Dach der Polizeikaserne an der Wasserburger Straße, wo heute das Impfzentrum ist.

Eine Sirene in Haar befindet sich auf dem Dach der Polizeikaserne an der Wasserburger Straße, wo heute das Impfzentrum ist.

(Foto: Claus Schunk)

Im Landkreis waren am bayernweiten Probealarm nur drei Sirenen beteiligt. Die Feuerwehrsirenen laufen zur Probe meist zu Monatsbeginn, in Haar etwa am ersten Samstag um 11 Uhr die Sirene auf der alten Polizeikaserne an der Wasserburger Straße. Doch diese blieb im April stumm, weil Geflüchtete nicht aufgeschreckt werden sollten. Laut Haars Kommandant Arne Seifert hat der Feuerwehrverband den Verzicht bayernweit zunächst für zwei Monate angeregt, damit Zeit ist, Kriegsflüchtlinge zu informieren, wozu die Probeläufe notwendig sind. "Das Aussetzen im April war kein großer Verlust", sagt Seifert. Die Alarmierung der Einsatzkräfte laufe ohnehin elektronisch über Piepser.

Rettungswesen: Bisher fehlen Lager, Duschen und Aufenthaltsräume für die Feuerwehr, sagt Kommandant Arne Seifert.

Bisher fehlen Lager, Duschen und Aufenthaltsräume für die Feuerwehr, sagt Kommandant Arne Seifert.

(Foto: privat)

Über Flugblätter, die der Landesfeuerwehrverband zur Verfügung stellte, erfuhren Schutzsuchende seither auf Deutsch, Englisch und in kyrillischer Schrift auch, dass die knapp 7700 freiwilligen Feuerwehren in Bayern "weder politisch noch polizeilich organisiert" sind, keinen militärischen Hintergrund haben sowie jede Religion und Weltanschauung respektieren. Niemand müsse bei Probealarm Angst haben. "There is no reason to worry."

In Haar ist Anfang Mai wieder die Sirene zur Probe gelaufen, weil die Botschaft nach Einschätzung von Kommandant Seifert angekommen ist. Dabei geholfen habe, dass die Ukrainer nicht in großen Unterkünften lebten, sondern engen Kontakt zu Bekannten, Verwandten und Helfern hätten. Koordinatorin Silvia Estermann freilich erinnert daran, dass auch Geflüchtete aus anderen Weltregionen traumatisiert seien. Diese dürften nicht übersehen werden.

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