Süddeutsche Zeitung

Isar-Amper-Klinik Haar:Zuhause die Sucht bekämpfen

Die Fachklinik des Bezirks setzt verstärkt auf niedrigschwellige Angebote wie die Methadon-Ambulanzen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, sagt ihre Unterstützung zu.

Von Bernhard Lohr, Haar

Die vor zwei Jahren gegründete Klinik für Suchtmedizin und Psychotherapie des Isar-Amper-Klinkums konzentriert die stationäre Behandlung fortan in Haar und baut ambulante Hilfen aus. Die Einrichtung unter dem Dach des Bezirks eröffnet im Herbst eine zweite psychiatrische Institutsambulanz samt Tagesklinik am Schwabinger Krankenhaus. Niederschwellige Angebote werden gestärkt. Besonderes Augenmerk gilt den bestehenden Methadon-Ambulanzen in München, Haar und Grafing im Landkreis Ebersberg. Bei einem Besuch in Haar äußerte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Daniela Ludwig (CSU) Verständnis für die Forderung nach kontrollierten Drogenrückzugsräumen.

Konstant hohe Zahl an Drogentoten

Der Konflikt um die Einrichtung solcher Räume und um die Entkriminalisierung leichter Drogen wird in Bayern seit Jahrzehnten hart ausgefochten. Die Staatsregierung ist in dieser Sache hart. Wobei es Risse in der Abwehrhaltung gibt. Prominente CSU-Politiker wie Bezirkstagspräsident Josef Mederer, der für die Kliniken des Bezirks verantwortlich ist, fordern solche geschützten Räume für Abhängige.

"Es ist leider die Erfahrung, dass Bayern konstant hohe Zahlen bei Drogentoten hat", sagt Mederer. Fachleute erklärten, es reiche nicht, was man bisher tue. "Wir brauchen Drogenrückzugsräume." Sucht sei eine Krankheit. Kranke müssten heraus aus den versifften Ecken und aus der Illegalität. Ludwig ging bei ihrem Besuch in Haar auf den Großkonflikt nicht direkt ein. Aber sie sagte den Medizinern: Sie stehe in dieser Sache "eher auf der Seite Ihres Präsidenten".

Ansonsten galt es in Zeiten der Corona-Pandemie, nicht nur zu politisch brisanten Themen Abstand zu halten. Die Suchtklinik residiert in einem schmucklosen Siebzigerjahrebau auf dem Gelände des Isar-Amper-Klinikums. Der schönste Raum von "Haus neun" liegt wohl im obersten Stockwerk. Als sich die Politikerin aus Berlin mit Klinikchef Ulrich Zimmermann und Pflegedienstleiterin Lena Heyelmann im Ergotherapie-Raum mit großen Fenstern und Werkbänken in gebührender Distanz für ein Foto aufstellten, bildeten knallbunte Bilder von Patienten den Hintergrund. Auf einem Zettel an der Wand stand zu lesen: "Das Leben ist ein Geschenk."

Nach Überzeugung von Daniela Ludwig muss die Medizin alles tun, damit Menschen dieses Geschenk nicht wegwerfen. Sie erklärte als Ziel ihrer Arbeit, Suchtkranke von einem Stigma zu befreien. Man müsse sie als zu therapierende Kranke ansehen und, wie sie sagte, "Schadensminimierung" betreiben. Es gelte, Leben zu retten, ganz konkret.

Hilfsangebote müssen zu den Menschen kommen

Die Einrichtung von Drogenkonsumräumen steht dabei bisher nicht auf ihrer Agenda. Aber die CSU-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Rosenheim zeigte sich angetan von den progressiven Ansätzen an der Suchtklinik etwa was den Aufbau von Substitutions-Ambulanzen angeht, an denen Suchtkranke Methadon bekommen, um ihnen ein einigermaßen geregeltes Leben zu ermöglichen. Ludwig ermunterte die Klinik, diesen Weg weiterzugehen. Auf dem Land, sagte sie, "sind wir noch nicht so gut, wie wir sein könnten." Die Hilfsangebote müssten zu den Menschen kommen.

Eingerichtet wurde die Suchtklinik in Haar nach neun Jahren ohne eine solche Spezialisierung. Man verfolge damit das Ziel, ergänzend zur Regionalisierung der Klinikangebote auch einen "Leuchtturm" am Standort in Haar zu schaffen, sagte Margitta Borrmann-Hassenbach vom Vorstand der Bezirkskliniken. Dort soll man in Wissenschaft und Therapie Maßstäbe setzen. Die Klinik soll Impulse geben, um bei der Versorgung Suchtkranker besser zu werden.

Peter Brieger, Ärztlicher Direktor am Isar-Amper-Klinikum, beobachtet nach eigener Aussage mit Sorge die zunehmende Trennung von Sucht und Psychiatrie. Einrichtungen zur Suchthilfe seien so schlecht beleumundet, als handle es sich um Parteibüros der rechtsextremen NPD. Eine erfolgreiche Behandlung funktioniere nur im Zusammenspiel mehrerer Disziplinen, multimodal, sagte Brieger.

Nach Meinung der Drogenbeauftragten Ludwig sollen Lockerungen, die in der Notsituation der Corona-Pandemie eingeführt worden sind, beibehalten werden. So wurden ambulante Angebote verstärkt. Eine Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums ermöglichte, Patienten das Substitut nach Hause zu bringen oder es diesen fürs Wochenende mitzugeben.

Chefarzt Zimmermann berichtete von erfolgreichen Fällen, bei schwerabhängigen Patienten einen Entzug mit einem nur drei Tage währenden stationären Aufenthalt durchzuziehen. Die engmaschige ambulante Versorgung mit Hausbesuchen habe besser funktioniert als erhofft, sagte Zimmermann. An der Klinik in Schwabing werde man Termine ohne Anmeldung anbieten. Videosprechstunden werde es geben.

Beim Aufbau von Hilfen auf dem Land leistet die Suchtklinik Pionierarbeit. Lena Heyelmann stellte eine vor einem Jahr gegründete "Plattform Substitutionsberatung Oberbayern" vor. Für die Ambulanz in Grafing habe Corona wie ein "Booster" gewirkt und Patientenzahlen nach oben getrieben, sagte sie. Chefarzt Zimmermann setzt sich in einem bundesweiten Netzwerk für die Wiederzulassung des Medikaments Antabus ein, das bei Alkoholkonsum zu Übelkeit führt. Zimmermann sagte zu dem Medikament, "es ist völlig klar, dass das ein großer Segen wäre für die Patienten". Doch die Pharmaindustrie habe kein Interesse daran, weil es nicht rentabel sei. Ludwig sagte zu, das Thema mit nach Berlin zu nehmen. Sie beackere "mehrere Baustellen". Eben sei eine dazugekommen.

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SZ vom 05.08.2020
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